Debatten über die Stellung der Frau in der Gesellschaft werden seit Jahrzehnten geführt, sie sind in den letzten Jahren im Zuge der Gender-Diskurse und der #MeToo-Bewegung aktueller denn je.
Die Ausstellung IKONA im Ikonen-Museum in Recklinghausen legt als erste Ikonen-Ausstellung einen breiten Fokus auf die Darstellung heiliger Frauen in der christlich-orthodoxen Kunst.
Sie ist die erste Zusammenarbeit zwischen den drei bedeutendsten Ikonen-Museen Westeuropas in Recklinghausen, Frankfurt/Main und Kampen/Niederlande. Über siebzig Exponate aus den Sammlungen der drei Museen und aus Privatbesitz fokussieren das breite Spektrum und die thematischen Spannungsfelder weiblicher Heiligkeit.
Zu Beginn der Ausstellung werden biblische Frauen vorgestellt, die das christliche Frauenbild maßgeblich geprägt haben, insbesondere Eva und Maria: Evas Ungehorsam und „Schuld“ am Sündenfall verurteilte Frauen zu einem Leben in Demut und Buße, während Maria als Mutter Christi (und „Neue Eva“) entscheidenden Anteil an der Überwindung dieser Schuld hatte. Sie vereinte in sich Keuschheit, absoluten Gehorsam gegenüber Gott und das standhafte Erdulden von (seelischem) Schmerz und war das maßgebliche Vorbild für alle heiligen Frauen.
Sündenfall, Russland (Palech), 2000 Papiermaché, Eitempera, Gold, Lack 19,2x12,8x15,8cm. Privatsammlung (CH)
Der Hauptfokus liegt jedoch auf Märtyrerinnen, Asketinnen und Herrscherinnen. Dabei stehen vor allem Ikonen, die ungewöhnliche Handlungen und Ereignisse zeigen, im Mittelpunkt: So wird die heilige Thekla mit einem Evangelium wiedergegeben, womit sie als Verkünderin von Gottes Wort identifiziert wird – für eine von kirchlichen Lehrämtern ausgeschlossene Frau eigentlich eine undenkbare Darstellung. Auch zu aktuellen Debatten finden sich Anknüpfungspunkte: Dabei hat die heilige Fomaïda sogar das Zeug zur „Ikone der #MeToo-Bewegung“: Sie wurde zur Märtyrerin, weil sie sich gegen die sexuellen Übergriffe ihres Schwiegervaters zur Wehr setzte, der sie schließlich ermordete.
Viele heilige Frauen handeln erstaunlich selbstbestimmt und selbstbewusst: Sie verweigern die Ehe, halten öffentliche Reden, fordern männliche Autoritäten heraus und erdulden – wie die heilige Marina von Antiochia – „mannhaft“ Einsamkeit, Folter und Tod. Auf vielfache Weise überschreiten sie die im sozialen Alltag geltenden Geschlechtergrenzen und unterlaufen Erwartungen, die bis in die Neuzeit hinein an Frauen gestellt werden. Bis zu einem gewissen Grad gilt dasselbe für Herrscherinnen, wenn diese aus dem Schatten ihre Ehemänner oder Söhne heraustreten und selbst Macht ausüben.
Die Ausstellung IKONA macht diese Spannungsfelder zum Thema und leistet damit einen Beitrag, die Wahrnehmung und die Darstellung von Frauen in der christlich-orthodoxen Kultur zu beleuchten, ihren Wurzeln nachzuspüren und weibliche Handlungsspielräume auszuloten.
IKONA. Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst
Zu sehen vom 12. November 2023 bis 17. März 2024, im Ikonen-Museum Recklinghausen, Kirchplatz 2a, 45657 Recklinghausen
Geöffnet dienstags bis sonntags und feiertags 11 bis 18 Uhr; Heiligabend und Silvester 11 bis 14 Uhr, montags geschlossen
In Kooperation mit Ikonenmuseum Frankfurt am Main und Ikonenmuseum Kampen (NL)
Für die Ausstellung wird ein Angebot an Sonderführungen und Fachvorträgen vorbereitet. Eine individuelle Tour ist mit dem dreisprachigen Audioguide
(40 Minuten, Deutsch, Englisch, Niederländisch) möglich.
Katalog: IKONA. Heilige Frauen in der orthodoxen Kunst / Heilige vrouwen in de orthodoxe kunst, hrsg. von Liesbeth van Es, Konstanze Runge, Lutz Rickelt, Kampen, Frankfurt, Recklinghausen 2023 (D/NL, ca. 200 Seiten)
Weitere Informationen (Ikonen-Museum)
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