Bildende Kunst
Bucerius Kunst Forum: Miró. Malerei als Poesie

Jeder kennt ihn, jeder liebt ihn: Joan Miró (1893-1983), der Sonne-Mond-und Sterne-Maler, gehört zweifellos zu den populärsten Künstler des 20. Jahrhundert.
Auf Mallorca und in seiner Geburtsstadt Barcelona hegen und pflegen zwei kapitale Stiftungen den umfangreichen Nachlass, Poster und Kalenderblätter in Millionenauflage zeugen von seinem Ruhm. Umso erstaunlicher, dass einer derartigen Lichtgestalt der Moderne heute noch neue Perspektiven abzuringen sind. Und doch, es gibt sie: In der Ausstellung „Miró. Malerei als Poesie“ beleuchtet das Bucerius Kunstforum zum ersten Mal die enge Beziehung des Katalanen zur zeitgenössischen Literatur und zeigt auf, wie stark der Meister magischer Symbole in die Welt surrealistischer Dichter eingebunden war. Ohne das Wort, das wird hier klar, wäre sein Werk undenkbar gewesen.

„Kindlich, naiv, dekorativ“, das sind die Attribute, die man Joan Miró landläufig zuschreibt. Sicher stimmen sie auch. Seine skurrile Zeichensprache und die Farbintensität seiner Gemälde haben etwas von elementarer Spontanität und Ursprünglichkeit. Das macht wohl auch ihre große Faszination aus. Aber es wäre fatal, den Katalanen, den sein Enkel Joan Punyet Miró als sehr klug und überaus freundlich beschreibt, auf diese Eigenschaften zu reduzieren. Der „surrealistischste“ unter den Surrealisten (André Breton) war viel zu belesen und viel zu politisch, um als „verspielt-harmloser Steine-Sammler“ abgetan zu werden, wie Ortrud Westheider betont. Die Direktorin des Bucerius Kunst Forums sieht darin jedoch den Grund, warum „die akademische Kunstgeschichte ihn nie so ganz ernst nahm“ und infolgedessen der Einfluss der Literatur auf seine Bildsprache bislang unerforscht blieb.

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Westheider und ihr Gastkurator Michael Peppiatt machen nun Schluss mit dem Image vom einfältigen Märchenonkel. Anhand von mehr als 80 Werken aus allen Schaffensphasen, bekannten Gemälden, sowie einer bemerkenswerten Auswahl seiner insgesamt rund 250 Malerbücher belegt die Schau, dass sich Mirós Bildpoetik zu Beginn der 1920er Jahre in Paris in unmittelbarem Austausch mit avantgardistischen Autoren wie Benjamin Péret, Tristan Tzara, Robert Desnos, Max Jacob und Pierre Reverdy entwickelte, später auch in Gemeinschaftsprojekten mit Paul Eluard und André Breton.
Mirós charakteristische Zeichensprache, daran besteht kein Zweifel, hatte das Ziel, die Grenzen zwischen Wort und Bild aufzuheben.

Der chronologische Rundgang beginnt in der oberen Etage mit einigen Frühwerken aus der Studienzeit in Barcelona. Während des Ersten Weltkrieges war die Stadt Zufluchtsort vieler französischer Künstler und der junge Miró lernte hier Werke seiner Vorbilder Picasso, Léger und Juan Gris kennen, sowie Francis Picabia, der ihn mit der Dada-Bewegung bekanntmachte. Schon in den ersten kubistischen Stillleben sind Textelemente integriert, allerdings noch als Verweis auf seine Lektüre. Programmatisch dafür ist „Nord-Süd“ (1917) im Stil des Fauvismus: Auf einem bunten Tisch mit Blumentopf, Keramik und Kanarienvogel liegt ein Werk Goethes, sowie eine Ausgabe der von Guillaume Apollinaire und anderen gegründete Zeitschrift „Nord-Süd“. Die danebenliegende geöffnete Schere mag das Spannungsfeld zwischen Klassik und Avantgarde verdeutlichen.
Anfang 1920 wechselte Miró nach Paris, zog in das Atelierhaus in der Rue Blomet und knüpfte in den folgenden Monaten und Jahren nun immer engeren Kontakt mit dem Kreis der Pariser Dadaisten und späteren Surrealisten um Louis Aragon und André Breton. Radikale Dichter, die angetreten waren die Sprachstruktur zu zerschlagen, die Schrift von der Logik zu trennten, um unter Aktivierung des Unbewussten eine „écriture automatique“ zu schaffen. Oder, anders gesagt: um mit surrealen Wortfetzen in die Welt der Assoziationen abzutauchen.

Miró vollzieht diese Revolution parallel in der Malerei: Er löst sich vom Bildraum, proklamiert die „Ermordung der (bourgeoisen) Malerei“ und malt monochrome Farbflächen, auf denen Wort- und Bildchiffren, Amöben, Augen, Einzeller, Vögel, Kopffüßler, Gitter und Schlangenlinien und herumtaumeln. „Peinture-poème“, Bild-Gedichte nennt er diesen Neuanfang und betitelt die Werke entsprechend: „Sterne im Geschlecht von Schnecken“ (1925) etwa oder „Ein Stern liebkost die Brust einer Negerin“ (1938).

Allein diese Titel sind so offenkundig an Dada-Dichtung orientiert, dass man sich nur wundern kann, dass dieses Zusammenspiel von Bild und Wort im Werk Mirós noch nie systematisch erforscht und durchdekliniert wurde.
Das Bucerius Kunst Forum schließt nun diese Lücke mit einer Ausstellung, die wirklich sensationell schön geworden ist.

Miró. Malerei als Poesie
Zu sehen bis zum 25. Mai, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 20095 Hamburg.
Geöffnet täglich 11-19 Uhr, Do bis 21 Uhr, Eintritt 8 Euro, erm. 5 Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei.
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis: Joan Miró (1893-1983) alle Werkaufnahmen © Successió Miró / VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Header: Bucerius Kunst Forum: Miró. Malerei als Poesie; Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey
Galerie:
01. Cercle rouge, étoile (Roter Kreis, Stern), 13. Juli 1965, Privatsammlung als Dauerleihgabe in der Fundació Pilar i Joan Miró a Mallorca
02. Le cheval, la pipe et la fleur rouge (Das Pferd, die Pfeife und die rote Blume), 1920, Philadelphia Museum of Art, Philadephia
03. Nature morte – Le Gant et le journal (Stillleben – Handschuh und Zeitung), 1921, The Museum of Modern Art, New York
04. Gemälde, 1933, Privatbesitz
05. Personnages rythmiques (Rhythmische Figuren), 1934, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
06. Bucerius Kunst Forum: Miró. Malerei als Poesie; Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey
07. Peinture-poème („Une étoile caresse le sein d’une négresse”) (Bild-Gedicht [„Ein Stern liebkost die Brust einer Schwarzen]), April 1938, Tate, London
08. Autoportrait (Selbstportrait), 1937/38 / 23. Februar 1960, Privatsammlung
09. Gemälde (Für David Fernández Miró), 28. November 1964, Privatsammlung
10. Poème (I) (Gedicht [I]), 17. Mai 1968, Fundació Joan Miró, Barcelona
11. Bucerius Kunst Forum: Miró. Malerei als Poesie; Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey
12. Femme espagnole (Spanische Frau), 27. März 1972, Privatsammlung

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