Tacita de Plata, „Silbertässchen“ wird sie genannt, die alte, uralte Stadt Cádiz an der Costa de la Luz, an der Küste des Lichts, der südlichen Atlantik-Küste Spaniens.
Blickt man sie von Weitem an, etwa von den langen Sandstränden südöstlich des historischen Zentrums, dann versteht man, warum. Der Ort, der nur über einen schmalen Streifen Land mit dem iberischen Festland verbunden ist, ist oft in ein nur schwer zu beschreibendes Licht getaucht: silbrig, glänzend, leuchtend, hell, flimmernd, unwirklich. Und das auch im November. So ganz anders als in Frankfurt am Main, wo wir vor kurzer Zeit starteten. Der Flug nach Jerez de la Frontera dauerte keine drei Stunden – die Fahrt von dort hierher noch einmal eine halbe Stunde.
Wir beziehen ein Apartment im „Tandem Torres de Cádiz“, einem barocken Herrenhaus mit Turm aus dem 18. Jahrhundert, mit einem zentralen Innenhof, einer Aussichtsterrasse mit Blick auf den Hafen, einem jetzt im Winter allerdings geschlossenen Swimmingpool und einer herrschaftlichen Fassade – ein gediegenes Bauwerk, das Tradition und Gegenwart stilvoll verbindet.
Tandem Torres de Cádiz. Foto: Marc Peschke
Doch auf geht es, immer an vom Meer umspülten Festungsmauern entlang, an den Strand, an die Playa de la Caleta am westlichen Rand der Altstadt, wo man sich, wie wir bald erfahren werden, auch allabendlich zum Beobachten des Sonnenuntergangs trifft. Das Meer hat in diesem November noch stabil zwischen 20 und 18 Grad – so wie die Luft. Wir nehmen ein erfrischendes Bad. Dann beobachten wir die nachmittägliche Szenerie: Fischerboote, das Schreien der Möwen, eine Strandbar. Ein frischer Wind wirbelt das Meer auf. Später dann in einem der erstaunlich vielen kleinen Cafés, Restaurants und Tapas-Bars in der quirligen Altstadt: einen Cortado, ein Glas Weißwein, ein Schälchen Meeresfrüchte-Salat und etwas Weißbrot. Buenas, wir sind in Cádiz angekommen!
Die Stadt gibt sich entspannt, hat nicht den Charakter einer Touristenmetropole, auch wenn hier immer mal ein Kreuzfahrtschiff festmacht und man gelegentlich Touristengruppen begegnet oder auch offene Sightseeing-Busse durch die Stadt fahren sieht. Cádiz ist eine Stadt des Hafens, des Handels. Zwar hören wir gelegentlich deutsche, französische oder italienische Stimmen, doch zumeist sind die Spanier unter sich. Vor allem jetzt, im November.
Foto: Marc Peschke
Andalusien ist ein Schatzkästchen. Städte wie Sevilla, Córdoba, Jerez, all die vielen weißen Dörfer, die „Pueblos blancos de Andalucía“ wie Ronda, Arcos oder Vejer – und eben Cádiz: 3000 Jahre ist diese Stadt alt. Man sagt, hier würde an 300 Tagen, ja an 320 Tagen im Jahr die Sonne scheinen. Und es scheint zu stimmen. Die Sonne hat uns in Andalusien noch nie enttäuscht.
Etwa 115.000 Einwohner hat die Stadt, die man zu den allerschönsten Städten Südeuropas zählen muss. Womöglich ist es die schönste Stadt am Meer in Spanien. Etwa 35.000 davon leben in der Altstadt, in deren Gassengewirr man sich immer wieder neu verlieren kann, was einen enormen Reiz ausmacht. Das pulsierende südspanische Alltagsleben zieht uns in seinen Bann. Was auffällt: Hier finden wir kaum Leerstand, im Gegenteil: kleine und große, zum Teil historische Geschäfte, Jugendstil-Bars, Cafés, Eck-Kneipen, Pastelerías, Restaurants, Hotels, Werkstädten und Lebensmittelläden. Es sind oft schnurgerade Gässlein, die sich kreuzen – und an jedem Ende kommt man irgendwann zum Meer. Überall entdecken wir wundervoll verglaste Jugendstil- und Gründerzeit-Balkone, aber auch viele wehrhaft anmutende Aussichtstürme, die „Miradores“, die der Stadt ihre besondere Silhouette verleihen. Diese nordafrikanisch anmutenden Türme aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind prägend: 126 davon sind noch erhalten. Sie waren einst ein Zeichen des kaufmännischen Wohlstandes, dienten als windgeschützter Ort, um den Handelsverkehr auf dem Meer und im Hafen zu beobachten – sie sind architektonischer Ausdruck des Überseehandels und vor allem im Westen der Stadt, in der Nähe des Hafens zu finden.
Blick über die Dächer von Cádiz. Foto: Coco Anja
Die Geschichte von Cádiz begann mit den Phöniziern um das Jahr 1100 vor Christus. Dann kamen die Römer, die hier ihr „Gades“ gründeten, dann die Araber, die vom 8. bis zum 15. Jahrhundert markante Spuren in Andalusien hinterlassen haben. Mit der Entdeckung Amerikas blühte Cádiz als Ort des Handels auf. Gold und Silber kamen in die Stadt, die zum Haupthandelshafen für die Kolonien wurde. Im 18. Jahrhundert konnte Cádiz gar das Handelsmonopol für Übersee von Sevilla übernehmen. Viel Geld wurde damals in die Stadt gespült, wovon stilvolle, barocke Paläste zeugen, große und kleine, exotisch bepflanzte Plätze, große Kirchen, allen voran die Kathedrale – überall weltläufiges, nobles Flair.
An vielen Ecken meint man sich gar nach Südamerika oder in die Karibik versetzt. Cádiz ist eine Festungsstadt mit vielen Verteidigungsanlagen, die unter anderem nach Plänen von Vauban, dem Festungsbaumeister Ludwigs des XIV., angelegt wurden. Das wuchtige Stadttor Puerta de Tierra markiert den Eingang zur Altstadt. Überall stehen historische Kanonenrohre, die auf das Meer gerichtet sind. Das prägt den Charakter der Stadt, genauso wie die Bebauung aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das eher noch ärmliche Altstadtviertel El Pópulo mit der barocken Kathedrale von Cádiz, der Kirche Santa Cruz und dem erst 1980 entdeckten römischen Amphitheater aus dem 1. Jahrhundert vor Christus ist der älteste Teil.
Abends ist Cádiz voller Menschen. Bis tief in die Nacht sitzen sie draußen, trinken, essen die hier typischen, frittierten Meeresfrüchte oder die anderen südspanischen Köstlichkeiten, trinken eine Cervecita, einen Fino oder eine Copa Vino – die Stadt als soziales Wesen, als lebendiger Organismus, als Ort eines alten gemeinsamen Bandes: Das kann man hier im Süden tatsächlich noch erleben. Ein Ort, der diese Opulenz in besonderem Maße spiegelt, ist der Zentralmarkt, der Bauch der Stadt, der seinen Platz im Gemüsegarten eines ehemaligen Klosters gefunden hat. Umgeben ist er von dutzenden Bars und Restaurants mit Tischen im Freien. Das Leben ist gelegentlich auch laut hier – und es spielt sich zu einem guten Teil auf den Gassen ab.
Zwei Ecken weiter lockt im dreistöckigen Barockturm Torre Tavira die erste Camera Obscura Spaniens Touristen. Sie zeigt ein lebendes Panoramabild der ganzen Stadt. Ganz in der Nähe wurde im Oratorium von San Felipe Neri die erste spanische Verfassung geschrieben.
Cádiz bei Nacht. Foto Marc Peschke
In der Stadt gibt es wunderbare Parks und idyllische Plätze wie die Plaza de la Mina mit tropischem Charakter und einem wunderschönen Gummibaum, die riesige Plaza San Juan de Dios, die Plaza de La Catedral, den botanischen Garten Parque Genovés oder die Plaza de España, die zum Verweilen und natürlich immer auch zum kulinarischen Genuss der einen oder anderen Tapa einladen.
Jetzt kommen mal die süßen, fettgebackenen Churros aus Cádiz auf den Tisch. Es könnten aber auch deftige Tortillas mit Garnelen, Kartoffelsalat mit Knoblauch, die klassische Ensaladilla mit Karotten, Thunfisch, Ei und einer cremigen Mayonnaise oder die Makrele mit „Piriñaca“ sein, also mit kleingehackten Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Olivenöl und Sherry aus der Sherry-Stadt Jerez de la Frontera. Oder eine Empenada, eine Teigtasche, die man auch aus Mittel- sowie Südamerika kennt, gefüllt mit Fleisch, Gemüse, Fisch oder Gambas.
Von der La-Caleta-Bucht mit dem Stadtstrand, der im James Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag“ einen großartigen Auftritt hatte, machen wir den Spaziergang zur Festung San Sebastián aus dem 18. Jahrhundert. Das Balneario de La Palma direkt am Strand, das aus den 1920er-Jahren stammt, wurde leider seit unserem letzten Besuch noch nicht fertig renoviert. Gelegentlich kommt mal ein Arbeiter vorbei und kratzt am Putz. Wer weiß, vielleicht tut sich bald doch etwas?
Doch insgesamt ist Cádiz mit seinen charmant abblätternden Fassaden eine überaus gepflegte Stadt. Und eine Stadt der Kultur: Die Stadtgeschichte seit den Phöniziern ist im Museum von Cádiz zu erleben, das in einem Gebäude des Architekten Juan Daura von 1838 untergebracht ist – die Hauptfassade geht auf die Plaza de Mina hinaus, ehemals der Nutzgarten eines Klosterkomplexes.
Große römische Statuen wie etwa jene des Kaisers Trajan und auch zwei phönizische Marmorsarkophage aus dem 5. Jahrhundert vor Christus sind zu sehen, die vermutlich von griechischen Handwerkern geschaffen wurden. 1887 wurde der Sarkophag des Mannes entdeckt. 1980 kam der Sarkophag der Frau dazu – ein wunderbar zartes und feines Werk. Zu sehen ist auch beste spanische Malerei von etwa Francisco de Zurbarán oder Bartolomé Esteban Murillo. Eigentlich. Denn die Abteilung für Malerei war bei unserem Besuch leider geschlossen. Etwas Besonderes ist die Abteilung für Volkskunde, wo Marionettenpuppen aus dem 19. Jahrhundert zu bestaunen sind – mit den zugehörigen Kulissen und Bühnenvorhängen. Die Marionettenspielgruppe La Tia Norica ist seit 1815 bis heute aktiv – ein überregional bedeutendes kulturelles Vermächtnis der Stadt.
Bodenmosaik. Foto: Marc Peschke
Weitere Ausstellungshäuser sind etwa die Fundacion Unicaja, die regelmäßig avancierte Ausstellungen Bildender Kunst zeigt, wie etwa derzeit eine Schau mit zeitgenössischen Fotoarbeiten. Und auch die Sonderausstellungen im Kulturzentrum ECCO sind immer wieder sehenswert. Ein anderes, stilvolles Ausstellungsgebäude ist die Casa de Iberoamérica, ein Kulturzentrum, das maßgeblich den Austausch mit den Ländern des spanischen Lateinamerikas pflegt. Das markante, klassizistische Gebäude wurde einst als Gefängnis benutzt. Auch hier ist – wie in nahezu allen öffentlichen Museen in Cádiz – der Eintritt frei. Es gibt Wechselausstellungen zu sehen, aber auch eine hervorragende Sammlung moderner Kunst aus Lateinamerika und eine ständige Präsentation zu Leben und Werk des 1908 in Cádiz geborenen Künstlers Juan Luis Vassallo. Dieser ist in Deutschland nahezu unbekannt – eine wirkliche Entdeckung.
Die Geschichte der ersten Verfassung Spaniens erzählt das 1912 eröffnete Museo de las Cortes de Cádiz. 1812 während des Volksaufstands gegen die französische Besatzung geschrieben, war die „Constitución de Cádiz“ in ihrer Zeit ungemein fortschrittlich und ein Impulsgeber für ganz Europa. Hier ist auch ein großes Werk des 1862 in Cádiz geborenen Historienmalers Salvador Viniegra zu bewundern, das die Ausrufung der Verfassung darstellt. Ein ganz besonderes Exponat ist auch ein riesiges, im 18. Jh. angefertigtes Stadtmodell von Cádiz.
Cádiz war Ausgangspunkt vieler Reisen in die Neue Welt – ein transatlantischer Schlüsselort, der auch wegen seiner langen Molen immer wieder mit der kubanischen Stadt Havanna und deren „Malecón“ verglichen wurde. Drei Jahre war Cádiz die Hauptstadt Spaniens. Schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde hier die Universidad de Cádiz gegründet, die bis heute viele junge Menschen in die Stadt spült. Diese besondere wirtschaftliche und kulturelle Stellung dieses Ortes ist bis heute spürbar – uns weht der Wind der Geschichte um die Nase. Und tatsächlich: Es ist oft windig hier: Poniente und Levante bestimmen das Wetter. Poniente ist der warme, trockene Westwind, Levante der feuchtere Ostwind.
Im Gran Teatro Falla finden beinahe allabendlich Konzerte statt – benannt wurde es nach dem Komponisten Manuel de Falla, der 1876 in Cádiz geboren wurde und später zu Weltruhm gelangte. Hier sind bedeutende Flamenco-Darbietungen zu erleben, wie auch in den kleinen Flamenco-Tavernen der Stadt, den Peñas, den Clubs der Freunde der Flamenco-Kunst. Eine Institution ist etwa die Taberna Flamenca La Cava oder auch die Peña de La Perla.
Man sollte einmal eine Aufführung besuchen und selbst beurteilen, ob sich der magische „Kobold“ zeigt, der „Duende“, jene mythische Figur also, die von dem zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs von den Franquisten ermordeten Lyriker, Dramatiker und Musiker Federico Garcia Lorca, ein enger Freund Fallas, eindrucksvoll beschrieben wurde – ohne die es den wahren Flamenco, den tiefen, feierlichen „cante jondo“ nicht geben kann. Wer mehr über den magischen Duende wissen will, der lese die klassische Schrift Lorcas dazu, „Theorie und Spiel des Duende“, die auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Das Buch selbst ist „Duende“, urteilte Tobias Lehmkuhl in der FAZ: „So mitreißend und glühend ist dieser Essay, dass er mühelos ganze Romanbibliotheken in Asche legen könnte.“
Das Umland der Stadt Cádiz, die uns selbst wie eine Insel erscheint, ist recht zersiedelt und auf den ersten Blick eher verstörend, obwohl es sich bei der Bahía de Cádiz um einen Naturpark handelt. Es ist eine Landschaft zwischen Meer und Land, geschaffen aus Salinen, kleinen Flüssen, Lagunen, Stränden: eine Welt aus viel Industrie, Straßen, alten Werften und Fabriken, aber auch aus Seegras, Heide, Ginster und Salz, in der sich viele Vögel angesiedelt haben. Alte, zum Teil noch genutzte Salinen erinnern an die lange Geschichte der Salzgewinnung, die noch bis in die Zeit der Phönizier zurückreicht. Als Ausflüge bieten sich die Städte Jerez de la Frontera oder auch Sevilla an – beide zügig mit Bahn oder Bus vom Stadtzentrum zu erreichen. Eine regelmäßige Bootsverbindung gibt es auch nach El Puerto de Santa María und Rota.
Der Hafen von Santa Maria im Abendlicht. Foto: Antonio Garcia Prats
Ein anderer Höhepunkt ist die Altstadt von Vejer de la Frontera im Landesinneren, das man nach etwa eineinhalb Stunden Fahrtzeit mit dem Bus erreicht. Altstadt und die maurische Burg liegen auf einem Hochplateau und sind vollständig von einer Mauer umgeben. Sie ist der Inbegriff der weißen, andalusischen Stadt, in der sich deutliche Spuren der langen arabischen Herrschaft in Andalusien erhalten haben. Ihr Zentrum ist die Plaza de España, wo verschiedene Bars und Restaurants ihren überaus pittoresken Platz gefunden haben. Doch weshalb überhaupt ins Umland schweifen, warum Cádiz verlassen? Silbrig, glänzend, leuchtend, hell: Eine faszinierendere Stadt kann man sich nicht denken.
Cádiz
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