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Als einer der bedeutendsten europäischen Denker des 20. Jahrhunderts prägte Ernst Cassirer die Universität Hamburg nach der demokratischen Wende 1919 mit seiner Professur und später auch als Rektor – der erste und einzige jüdische Rektor einer deutschen Hochschule in der Zeit der Weimarer Republik. Im Rahmen eines Senatsempfangs im Rathaus ehren heute Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, die Verdienste Ernst Cassirers für Hamburg.


Ernst Cassirer gehörte nach der Universitätsgründung im Jahr 1919 zur ersten Generation Neuberufener, für die Amtszeit 1929–30 wurde er zum Rektor der Universität gewählt. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurde Cassirer schändlich vertrieben und beschloss, Deutschland zu verlassen. Zuvor waren es besonders die jüdischen Gelehrten gewesen, die für das Renommee der jungen Hamburgischen Universität gesorgt hatten. Durch sie hat die Universität in der Weimarer Republik eine wissenschaftliche Blütezeit erlebt trotz republikfeindlicher Angriffe und antisemitischer Umtriebe.

Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank: „Mit Ernst Cassirer ehren wir heute einen der größten Philosophen und europäischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts. Er hat die Anfangszeit der Universität Hamburg geprägt wie kaum ein anderer Wissenschaftler. Als einer der ersten deutsch-jüdischen Rektoren an einer deutschen Universität überhaupt setzte sich Cassirer vehement für freiheitliche und demokratische Werte in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus ein. Sein mutiges Engagement für die Demokratie wirkte weit über die Stadtgrenzen hinaus. In Zeiten von zunehmendem Extremismus und Demokratiefeindlichkeit ist es heute wichtiger denn je, dass wir uns als Gesellschaft im Sinne Cassirers weiterhin jeden Tag für Toleranz, Offenheit und demokratisches Miteinander stark machen.“

Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien: „Wenn wir heute an Ernst Cassirer erinnern, dann wollen wir damit einen der großen Denker des 20. Jahrhunderts wieder ins Bewusstsein rufen und zugleich vor Augen führen, welche Geistestraditionen der antisemitische Hass der Nationalsozialisten brutal zerstört hat. Wer Cassirer heute liest, entdeckt einen Philosophen, der, ebenso wie sein Weggefährte Aby Warburg, die Kultur breit verstanden wissen will als den Raum, in dem wir unsere Welt symbolisch zu fassen versuchen, um uns von ihren scheinbaren Zwängen zu befreien. Seine Auseinandersetzungen mit dem Mythos, der Sprache, der Kunst und der Wissenschaft verdeutlichen, welche Bedeutung die Freiheit der Wissenschaft und der Kunst für moderne Gesellschaften hat. In Zeiten, in denen viele die demokratische Republik als aufgezwungene Idee ablehnten, verteidigte Ernst Cassirer die Weimarer Republik und zeigte auf, dass die Quellen von Demokratie und Menschenrechten in der deutschen Geistesgeschichte bei Leibniz und Kant zu finden seien. Besonders dankbar bin ich, dass wir heute auch die Nachfahrinnen Cassirers als Ehrengäste im Hamburger Rathaus begrüßen dürfen.“

Dr. Willfried Maier, Senator a. D. und 1. Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft von 1765: „Es ist ein hochsymbolischer Akt, zu dem wir heute zusammengekommen sind: Ernst Cassirer, der bedeutendste deutsche Philosoph der Zwischenkriegszeit, Hochschullehrer und Rektor an der Universität Hamburg, kehrt gewissermaßen ins Hamburger Rathaus zurück, ins Zentrum der Stadt, aus der er 1933 als Jude vertrieben worden ist. Vor genau 96 Jahren hat er hier die Verfassung der Weimarer Republik mit dem Vortrag „Die Idee der republikanischen Verfassung“ gefeiert. Das war außergewöhnlich und mutig: Die Mehrheit seiner Professorenkollegen und weite Teile der Studentenschaft waren antirepublikanisch, völkisch-nationalistisch und antisemitisch. Nicht auszudenken, was möglich gewesen wäre ohne den Einbruch der Barbarei. Mit Ernst Cassirer und der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg hätte die Universität Hamburg eine der glänzendsten Stätten für die Geistes- und Kulturwissenschaften in Deutschland werden können.“

Prof. Dr. Hauke Heekeren, Präsident Universität Hamburg: „Ernst Cassirer war ein wegweisender Denker, ein Universalgelehrter und Rektor der Universität Hamburg sowie Vorbild für unsere Institution. Am 28. Juli 2024 jährte sich der Geburtstag Cassirers zum 150. Mal – ein Anlass, den Philosophen und ehemaligen Bürger dieser Stadt gebührend zu ehren. Seine Philosophie erlebt heutzutage eine globale Renaissance und wird in vielen Disziplinen rezipiert. Wir gedenken Ernst Cassirer als einer der prägendsten Figuren der Universität Hamburg sowie der Stadtgesellschaft und halten sein Wirken und seine Person weiter aktiv in lebendiger Erinnerung.“

Hintergrund
Ernst Cassirer (1874–1945) gehört zu den bedeutenden Philosophen des 20. Jahrhunderts. Der in Breslau geborene und im New Yorker Exil verstorbene Cassirer war von 1919 bis 1933 Professor für Philosophie an der Hamburgischen Universität. In dieser Zeit entstand sein dreibändiges Hauptwerk „Philosophie der symbolischen Formen“ (1923–29), in dem er eine neue Sprach- und Kulturphilosophie entwirft. In seiner Hamburger Zeit entstanden darüber hinaus „Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance“ (1927), „Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge“ (1932) und „Die Philosophie der Aufklärung“ (1932).
Auf Einladung des Hamburger Senats hielt Cassirer am 11. August 1928 im Rathaus zur Feier des zehnten Jahrestags der Weimarer Demokratie die berühmte Rede „Die Idee der republikanischen Verfassung“, in der er den Nachweis führt, dass der liberale Verfassungsstaat seine Quellen auch in der deutschen Philosophie hat. Ein Jahr später wurde er zum Rektor der Hamburgischen Universität für das akademische Jahr 1929–30 gewählt – der vierte jüdische Rektor einer deutschen Hochschule, der erste und einzige in der Zeit der Weimarer Republik.

In seiner Amtszeit setzte er sich tatkräftig gegen die Widerstände von konservativen und republikfeindlichen Hochschullehrenden und Studierenden ein, sein Rektorat stand in den Zeiten zunehmenden Antisemitismus und antidemokratischer Tendenzen ganz im Zeichen eines mutigen Einsatzes für Freiheit und Demokratie. Cassirer verließ die Hansestadt nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten. Mehrere Exilstationen in Oxford, Göteburg und den USA prägen die letzten Jahre seines intellektuellen Schaffens. Das Ende des Zweiten Weltkriegs hat Cassirer nicht mehr erlebt. Er starb am 13. April 1945 in New York, wo er inzwischen lehrte. Sein Werk „The Myth of the State“ ist eine umfangreiche, weiterhin aktuelle Analyse des Ursprungs und des Charakters der politischen Mythen, die den Aufstieg totalitärer Regime in Europa in den 1920/30er-Jahren entscheidend prägten.

Quzelle: Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke, Hamburg

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