Meinung

Wieder einmal lege ich meinen Betrachtungen die Einspielung des hr-Sinfonieorchesters unter der musikalischen Leitung von Andrés Orozco-Estrada zugrunde. Weshalb ich dies tue ist einem meiner letzten Artikel bei KulturPort.De zu entnehmen.

Abgesehen freilich von der rein musikalisch begründeten Bevorzugung dieser ‚Corona-Einspielung‘, haben die YouTube-gestützten Darbietungen dieses Orchesters auch den unschätzbaren Vorteil, nicht unentwegt von nervtötenden Werbesequenzen aus dem Nichts malträtiert zu werden. Diese marktschreierischen Aufdringlichkeiten sind quasi böswillige Attacken auf das Total der jeweiligen Musik und gleichzeitig auf den lauschenden Rezipienten, der unvermittelt aus dem Ton-Universum in das nicht-moralische, schnöd egoistische Wertzuwachs-Universum transferiert wird.

 

Die ebenfalls beigefügte Partitur hingegen ist leider ein von unerträglichem Werbegetöse zerfressener Flickenteppich. Da es aber im Folgenden nur um das knapp vierminütige Finale des Finales geht, empfehle ich hinsichtlich des Notenbeispiels bei Minute 39 einzusteigen.

Die beruhigend-klangvollen Hörner, die ohnehin zunächst die zentrale Rolle in diesem emporreißenden Abgesang spielen, lassen noch nicht einmal erahnen, dass sich etwas Unerhörtes anbahnt. Eine Doppel-Pause lässt innehalten. Die (dunklen) Streicher halten sich im Hintergrund fast unterhalb der Schwelle der Wahrnehmbarkeit. So hauchzart, dass die Atmosphäre jedenfalls keine unheimliche oder gar bedrohliche ist. Die Klarinette und das Fagott sorgen im, ich möchte sagen: zart-liebevollen, Gleichklang für die Überleitung.

 

Und dann bricht das prunkvolle Allegro maestoso assai los mit der Betonung auf dem assai. Bricht los? Ja. Mit einer ungeheuren Wucht. Der fünfte eigentliche Finalsatz am Ende des vierten? Das Finale im Finale im Anschluss an ein innehaltendes, verklingend-verklungenes Atemholen. Ein erhebendes, emporreißendes, zuhöchst an- und berührendes Lebe wohl. Ein Pathos, das auf himmelstürmende, das mitfühlende Herz in Leidenschaft versetzende, ergreifend betörende Glückseligkeit gestimmt ist. Die erhabene Feierlichkeit aber, die im Zentrum dieses Abschiednehmens steht, verdankt sich vor allem der volltönenden Präsenz der Hörner und Trompeten und der insistierenden Eindringlichkeit der Streicher.

 

Fest steht, dass zwischen den Instrumentengruppen bereits vor dem hochdramatischen, mit- und hinreißenden Finale furioso – einer ahnungsvollen Hinführung gleich – eine ausgeprägte Vertikal-Symmetrie besteht. Das Notenbild lässt dies auch ein ungeübtes Auge unschwer erkennen. Die in sanftem Auf- und Ab schwebende Klarinette, begleitet vom dem Ganzton-Gleichklang der (tiefen) Streicher, übernimmt zunächst den Part der Überleitung. In der Vorgabe angepassten Rhythmus gesellt sich – ein überaus zartes Geben und Nehmen im Zwiegesang – das Fagott hinzu. Da beide Instrumente zeitgleich nach dem sanftesten Pianissimo verstummen, übernehmen die Streicher in immer tiefer tönender Zurücknahme (sempre pp), bis schließlich die Pause der Halben Note, ergänzt um eine das Innehalten zusätzlich bekräftigende Fermate, ‚erklingt‘.

 

FMB Schottische

Auszug aus der Partitur

 

Und dann, nach diesem antizipierenden Verharren, bricht das Allegro maestoso assai umso überwältigender wie aus dem Nichts hervor mit seiner oben bereits erwähnten permanenten Vertikal-Symmetrie, wobei das immer wieder notierte crescendo für eine mählich zunehmende Spannung und Intensivierung Sorge trägt, bevor es, der tief ergreifende Höhepunkt, in einem viertaktigen Fortissimo quasi explodiert, das in einem sf dennoch annähernd die gleiche Spannung aufrecht erhält, um, nach zehn Takten, sich erneut in das hinreißend-überwältigende Fortissimo – der von dem warm-forschen, durchdringend-sanften Klang der Hörner zunächst fanfarenartig emporreißende Höhepunkt ist erst jetzt wirklich erreicht, deren Part anschließend um die klare Feierlichkeit der Trompeten ergänzt wird – zu überhöhen. Mit einer stetig zunehmenden, wie gehetzt wirkenden Temposteigerung, strebt das Fest-Finale seinem wirklichen, insistierenden, staccato-ähnlichen Viertelton-Finale entgegen, um schließlich in einer punktierten, mit einer Fermate versehenen Halbtonnote im obligatorischen Paukenwirbel endgültig zu verstummen.

 

Diese musikalische Apotheose, eine im intensivsten Eingedenken beheimatete Festtagseuphorie ohnegleichen, hat ihr poetisches Pendant – ein verzeihlicher Anachronismus – in der Schlussapotheose aus Schillers Die Jungfrau von Orleans gefunden:

Seht ihr den Regenbogen in der Luft?

Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,

Im Chor der Engel steht sie glänzend da,

Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,

Die Arme streckt sie lächelnd ihm entgegen.

Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich –

Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.

Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück –

Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!


Felix Mendelssohn Bartholdy (1808–1847): Symphonie Nr. 3 a-Moll op. 56 „Schottische“ (Inspiriert durch seine Schottlandreise im Jahr 1829)

Andante con moto - Allegro poco agitato

Vivace non troppo

Adagio

Allegro vivacissimo - Allegro maestoso assai

Dauer: ca. 36-40 Minuten

Entstehung: ab 1829

Uraufführung: 1842 in Leipzig

 

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Felix Mendelssohn: Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 „Schottische“ (mit Partitur, 42:42 Min.)

Mendelssohn: 3. Sinfonie (»Schottische«) ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada (43:41 Min)

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