„Stravinsky in Hollywood“
- Geschrieben von Claus Friede -
Warum der bedeutendste Komponist der 1930er-Jahre ausgerechnet nach Hollywood zog, lässt sich lediglich damit erklären, dass er hoffte, mit Aufträgen zu Filmmusikkompositionen ein sorgenfreies Leben führen zu können. Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Der ordnungsliebende russische Komponist konnte im Chaos der amerikanischen Filmindustrie nicht wirklich neue Arbeitsmethoden entwickeln.
Auf der soeben erschienen DVD „Stravinsky in Hollywood“ zeichnet Regisseur und Cutter Marco Capalbo ein Portrait des Komponisten und der Jahre zwischen 1939 bis kurz vor Strawinskys Tod 1971. Europa 1939 verlassen zu haben war keine Besonderheit; der Krieg trieb viele Künstler nach Übersee.
Mit einer ganzen Reihe von Originalaufnahmen und kleinen Spielszenen mit Schauspielern bebildert Capalbo in etwas mehr als fünfzig Minuten einen bedeutsamen Lebensabschnitt eines der wichtigen Musiker des 20. Jahrhunderts. Auch wenn der Film ein paar formale Schwächen hat, gelingt es dem Regisseur die Vielseitigkeit und vor allem die Wandlungsfähigkeit Strawinskys zu dokumentieren. Gerade die Interviewpassagen mit seinem langjährigen Vertrauten, Assistenten, Ratgeber und Ziehsohn, dem heute 90-jährigen Robert Craft, geben darüber Aufschluss aus erster Hand und wirken authentisch.
Walt Disney war es, der Ende der 1930er Strawinsky bat, sein Ballett „Le Sacre du printemps“ mit animierten Bildern versehen zu dürfen. Er gab sein Einverständnis. Was er aber dann bei "Fantasia" zu sehen bekam, schockierte ihn zu tiefst. Strawinsky war entsetzt von den musikalischen Kürzungen und Vereinfachungen seiner Komposition, vor allem aber von der „plumpen und stumpfen“ Bebilderung. Da halfen die 6.000 Dollar Honorar auch nicht wirklich hinweg. Aus den vielen Angeboten und Versprechungen von unterschiedlichen Produzenten der Filmschmiede Südkaliforniens wurde nicht viel. Zwar ergaben sich Kompositionsaufträge, aber kaum eine wurde letztlich für einen der Filme benutzt. Kunst und Film wollten sich nicht vertragen, noch weniger wollte Strawinsky allzu viele Kompromisse machen. Er kommentierte die Zusammenarbeit damit: „Filmleute benutzen Musik wie Parfüm, ich brauche sie zum Überleben“.
Ganz umsonst war seine Arbeit jedoch nicht, denn er baute ganze Passagen oder Stücke um und nutzte sie für seine neoklassischen Werke wie „Vier Norwegische Impressionen“ (1942) bis dieser – vor allem in Europa kritisierter Kompositionsstil endgültig erschöpft war.
Capalbo geht in seiner Doku auch auf die künstlerische Krisen Strawinskys, auf seine Liebe zur Wüste, seine tiefe Religiosität und auf das Verhältnis zu anderen Künstlern ein, insbesondere zu Komponisten wie Arnold Schönberg (1874-1951) und Anton Webern (1883-1945). Obwohl Strawinskys nur einen Steinwurf entfernt von Schönbergs in Hollywood wohnten, trafen sich beide Komponisten nie, es schien vielmehr so, als ob sich beide wie Rivalen aus dem Weg gingen. Dabei hätten sie sich bei der Premiere für einen gemeinsamen Kompositionsauftrag – insgesamt waren sieben Komponisten beteiligt – durchaus treffen können. Während Schönberg das Prelude zum Projekt von Nathaniel Shilkret „Genesis Suite“ komponierte, erhielt der jüngere Komponist den Auftrag für den Abschnitt „Babel“. Erst nach dem Tod Schönbergs näherte sich Igor Strawinsky seinem Werk an und fand in der Person von Robert Craft und Anton Webern eine neue Inspirationsquelle für einen neuen Kompositionsstil im 12-tonalen.
„Strawinsky in Hollywood“
DVD / Blu-ray
Regie: Marco Capalbo
D, 2014. 53 Min. Dolby Widescreen
Label: C-Major Entertainment, Naxos
ASIN: B00JRER9R2
Filmtrailer
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: Richard Avadon, 1958 (Motiv vom Filmplakat. Bernhard Fleischer. Moving Images)
DVD-Cover
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