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Strauss dirigiert Strauss

Der Dirigent George Szell, von Richard Strauss 1914 als Korrepetitor nach Berlin an die Hofoper geholt, sagt in einem Fernsehfilm über Strauss’ Dirigierkunst mit bewundernder Ironie: „Ein wunderbarer Dirigent! Man kann das sagen, obwohl es keine sichtbaren Beweis dafür gibt, dass er dirigierte.“ In ihrer 7-CD-Box „Strauss conducts Strauss“ hat die Deutsche Grammophon nun zum 150. Geburtstag des Komponisten am 11. Juni Ergebnisse des Strauss’schen Minimalismus am Dirigentenpult herausgebracht, aufgenommen zwischen 1921 und 1941. Sie vermitteln bewegende, irritierende und bereichernde Hörerfahrungen.

Es ist ein Erlebnis, Richard Strauss in den wenigen Filmaufnahmen, die überliefert sind, dirigieren zu sehen. Die Spitze seines Taktstocks in der Rechten bewegt sich ultrapräzise und dabei äußerst sparsam, meist nur wenige Zentimeter. Die Linke hat meist nichts zu tun, er hält sie gern über weite Strecken in seiner Westentasche vergraben. Manchmal – bei sonst unbewegtem Gesicht – setzt hier ein Zucken der Schulter einen Akzent, geht da die Augenbraue um Millimeter nach oben. Wenn er das Tempo verändert, hebt er beide Ellbogen leicht an.
„Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur das Publikum soll warm werden“, schreibt Strauss im zweiten Rat seiner zehn goldenen Regeln für einen jungen Kapellmeister. Strauss ist, so beschreibt es Otto Strasser, ein Wiener Violinist, der unter ihm spielte, „nie ein Publikumsdirigent gewesen, denn nichts war ihm fremder als die Pose; für ihn war der Dirigent kein Schauobjekt.“ Die Intensität seiner Interpretationen hat andere Wurzeln.

Strauss wächst in einem musikalischen Elternhaus auf, sein Vater ist von Beruf Hornist. Schon im Kindergartenalter komponiert der Junge, mit 22 steht er zum ersten Mal am Dirigentenpult des Münchner Hof- und Nationaltheaters. Es folgen Stationen in Meiningen, wo der gefeierte Hans von Bülow sein Vorbild und Mentor wird – auch er ist ein Anhänger sparsamer Gestik. Dann wieder München, Weimar (wo er Humperdincks „Hänsel und Gretel“ uraufführte), Bayreuth, wo er 1894 erstmals den „Tannhäuser“ dirigiert und 1933 kurzfristig für Toscanini einspringt, als der aus Protest gegen Hitler absagt.
Die Karriere führt Strauss nach Berlin und dann nach Wien, wo er von 1919 bis 1924 die Staatsoper leitet – auch hier als leidenschaftlich gern und oft dirigierender Opernchef, der neben eigenen Werken vor allem Wagner und Mozart immer wieder aufführt. Darüber hinaus ist der Dirigent Richard Strauss schon früh für Gastspiele im Ausland unterwegs.

altFür die vorliegende Box hat die Deutsche Grammophon vier CDs mit Strauss-Werken zusammengestellt: Don Juan, Till Eulenspiegels lustige Streiche, Tod und Verklärung, Don Quixote (gleich doppelt, einmal von 1933 mit der Staatskapelle Berlin, einmal von 1941 mit dem Bayerischen Staatsorchester), Der Bürger als Edelmann, Ein Heldenleben. Dazu kommen kleine Juwelen wie der Tanz der sieben Schleier aus „Salome“ oder die Walzer-Folgen aus dem „Rosenkavalier“.
Auf drei CDs dirigiert Strauss die drei letzten Mozart-Sinfonien, Beethoven 5 und 7 sowie Ouvertüren von Mozart, Gluck, Weber, Wagner und Cornelius. Quasi als Zugabe dabei: vier Strauss-Lieder gesungen von Bariton Heinrich Schlusnus, der vom Meister selbst am Piano begleitet wird.
Bei all diesen Aufnahmen erfüllt sich Strauss’ Credo als Orchesterleiter: „Musik darf alles, nur nicht langweilig sein.“ Das hört man schon in der Wahl seiner Tempi. Sie sind mal auffällig langsam, mal flott bis frappierend eilig, für heutige Ohren oft völlig unerwartet. Vor allem aber sind es seine Tempowechsel, die irritieren und Aufmerksamkeit einfordern. Überraschende Tempowechsel, am besten zu hören im vierten Satz der Jupiter-Sinfonie, in der „Zauberflöte“-Ouvertüre, im ersten Satz von Beethovens Fünfter oder bei der Orchesterfanfare in deren zweitem Satz und im ersten Satz der Siebten. Deren letzter rast wie ein haltlos beschleunigender ICE auf den Schlussakkord zu. An anderen Stellen hat man das Gefühl, als würde jemand mitten in voller Orchester-Fahrt plötzlich stark bremsen, um die Blumen am Straßenrand in aller Ruhe betrachten zu können. Das macht verblüffenden, ja exorbitanten Effekt. Es wirkt an manchen Stellen logisch, an einigen anderen aus heutiger Sicht schon ein bisschen manieriert.
Wenn man sich darauf einlässt, erlebt man die Musik viel stärker als sonst. Auch Lebenszeit nimmt man ja nicht gleichförmig und linear wahr, sondern manche Augenblicke dehnen sich unendlich, während oft gerade die, die man festhalten möchte, verfliegen. Das verbindet die Emotionen der Seele viel stärker als sonst mit denen der Musik. Eine hochspannende Erfahrung.
Ungewöhnlich aber auch sein Mozart, einer seiner Götter, dem er bis in hohe Alter kompositorisch huldigte. Da erstaunt es, wie trocken, fast sachlich er dessen letzte Sinfonien dirigiert. Wie er in allerhöchster Transparenz dem Wesentlichen, dem Geist in der Musik nachspürt – man möchte es fast als Vorahnung moderner, reduzierter Auffassungen begreifen.

Bei seinen eigenen Werken bekommt man eine Ahnung von dem, was Strauss faszinierte: Er ist ein spektakulärer Klangfarbenzauberer, ein Tüftler am homogenen Klang und an allerfeinsten, allersinnlichsten Übergängen – ein Konzept, das nur aufgeht, wenn jeder im Orchester offene Ohren hat für das, was um ihn herum geschieht. Da spürt man seine Wurzeln; Wagner klingt nach, Weill scheint auf, Schönberg leuchtet am Horizont, Strauss gelangt mühelos an die Grenzen der Tonalität – wie im Don Quixote.
Auch hier entsteht die Emotionalität – Witz, Sehnsucht, Trauer, Quengelei, Freude, Zweifel, Liebe – nicht durch dick aufgetragenes Pathos, sondern immer pur aus der Musik, der „poetische Inhalt“ wird hörbar gemacht vor allem durch enorme Präzision. Man spürt das innere Glühen, mit der Dirigent den noblen, eleganten und luftigen Gestus nicht in seine Musik hineinlegt, sondern ihn aus ihr herausarbeitet.
Seine goldenen Regeln für einen jungen Kapellmeister sind gewiss mit dem Augenzwinkern des alten Hasen notiert, Strauss selbst befolgt sie akkurat, wie seine Aufnahmen verraten. Nr. 4 lautet: „Schau niemals aufmunternd das Blech an, außer mit einem kurzen Blick, um einen wichtigen Einsatz zu geben.“ Nr. 5 fordert: „Dagegen lasse niemals Hörner und Holzbläser aus den Augen: wenn du sie überhaupt hörst, sind sie schon zu stark.“ Und Nr. 6 rät: „Wenn du glaubst, das Blech blase nicht stark genug, so dämpfe es nochmals um zwei Grade ab.“
Gleich in Nr. 3 verrät er viel über das Klangideal, das ihm vorschwebt: „Dirigiere ‚Salome’ und ‚Elektra’, als seien sie von Mendelssohn: Elfenmusik.“
Seine Orchestermusiker haben ihn dafür geliebt, für seine Forderung nach konzentriertester Genauigkeit dürften sie ihn zuweilen gehasst haben. Dass seine Art zu komponieren und zu musizieren heute leichthin in die etwas schwergängige Schublade „Spätromantik“ gepackt wird, tut ihm Unrecht, wie diese Aufnahmen beweisen. Den Protagonisten seines „Heldenlebens“ begleitet Strauss 1941 mit mehr als einem Augenzwinkern, die Rosenkavalier-Walzer skizzieren sehr flott Liebe als flüchtige, schwer greifbare Sehnsucht, sie wirken zuweilen schon wie Walzer-Karikaturen. Die Japanische Festouvertüre, eine Festmusik zur Feier des 2600-jährigen Bestehens des Kaiserreiches Japan, allerdings entfaltet einen Pomp, bei der ungut die Olympische Hymne in Erinnerung kommt. Strauss hatte sie komponiert und 1936 im Berliner Olympia-Stadion bei der Eröffnung der Propaganda-Spiele vor Volk und Führer dirigiert.

Ein kleiner und unnötiger Wermutstropfen der Box ist, dass Aufnahmezeitpunkt und -ort sowie Begleitumstände des Entstehens der historischen Tondokumente im Begleitheft ziemlich nachlässig behandelt werden, das wirkt ein bisschen lieblos, wie ein Schnellschuss. Sonst aber hört man sich in die sieben CDs überraschend gut ein, der Genussfaktor kommt eindeutig aus der Interpretation, nicht aus der recht unterschiedlichen, meist aber doch erstaunlichen Qualität der zwischen 1921 und 1941 entstandenen Aufnahmen. Sie wirken authentisch, nicht künstlich geliftet und geglättet, sondern wie höchst lebendige Momentaufnahmen, die einen tiefen Einblick in Strauss’ Verständnis vom Komponieren und Musizieren ermöglichen.


Strauss conducts Strauss. 7 CDs
Deutsche Grammophon Nr. 479 27 03

Strauss in bewegten Bildern: 1944 in Wien, Strauss dirigiert Eulenspiegel mit Augenzeugenberichten von George Szell

Festliches Praeludium, op. 61

1949 bei einer Probe zum Rosenkavalier, aufgenommen im Sommer 1949, kurz vor seinem Tod.
mit u.a. George Solti


Abbildungsnachweis:
Header: Richard Strauss dirigierend, um 1895
CD-Cover. Copyright: Deutsche Grammophon

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