Vivaldi mit L’Arte dell’Arco: Perfekt ausbalanciert und energiegeladen
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
So also können Vivaldis Konzerte und Sonaten auch klingen. So durchsichtig und licht, so federnd und kraftvoll, so erfindungsreich und überraschend, so zurückhaltend und emotionsgeladen. Für dieses neue Vivaldi-Erlebnis sorgt Federico Guglielmo mit seinem Originalklang-Ensemble „L’Arte dell’Arco“. Eines ihrer Geheimnisse: Sie spielen die Orchesterparts solistisch. Hinreißend – wie eine 20-CD-Box bei Brilliant Classics dokumentiert.
Was muss der arme „Prete Rosso“, wie Vivaldi (1678-1741) wegen seiner Priesterweihe und seiner roten Haare wegen genannt wird, nicht alles aushalten! Gekratzt, geschabt, zersägt und gequält wird er von Generationen von Geigenschülern, weil einige seiner Konzerte als idealer Einstieg in später abzubrechende Violinistenkarrieren gelten. Permanente Wiederholungen, vertrackte, viele Stufen kletternde Arpeggi, endlos zu haltende Töne, für die jeder Bogen viel zu kurz scheint. Vivaldi – zum Vorglühen für Bach (dem es dann auch kaum besser geht).
Ins Ächzen der Schüler reiht sich böse Kritik von Künstlern: von „fabelhafter Geiger, mittelmäßiger Komponist“ (Carlo Goldoni) bis „600-mal dasselbe Konzert geschrieben“ (Stravinsky). Bach, der große Johann Sebastian, hat ihn dagegen sehr geschätzt, etliche seiner Konzerte kopiert und einige in Orgelkonzerte umgearbeitet, und es ist kaum Zufall, dass er seine Violinkonzerte schrieb, kurz nachdem er mit Vivaldis Werken bekannt geworden war.
Um Vivaldis Welt-Hit, die vier Violinkonzerte der „Quattro stagioni“, muss sich niemand Sorgen machen. Die werden von jedem eingespielt, der eine Geige halbwegs anständig halten kann. Erst im Zeitalter der historisch informierten Aufführungen aber wird Vivaldis Werk – es sind 500 Konzerte (davon 241 für Violine und 39 für Fagott), 90 Sonaten, mehr als 50 geistliche Vokalwerke und mehr als 50 Opern – von überschüssigem interpretatorischem Putz und dem Staub der Jahrhunderte gereinigt.
Das besorgen die aktuellste kritische Ausgabe des Istituto Italiano Antonio Vivaldi, die bei neun der 20 CDs zum ersten Mal einer Aufnahme zu Grunde liegt, und die Forschungen des Musikwissenschaftlers, der der Ensemblegründer und Konzertmeister Federico Guglielmo auch ist. Vivaldi, davon geht er aus, hat bei seinen gedruckten Konzerten und Sonaten, seinen Opera 1 bis 12, niemals seine ganze Virtuosenkunst in die Noten gepackt. Vermutlich um zu verhindern, dass seine Käufer beim Nachspielen daran scheitern und auf weitere Vivaldi-Bände verzichten. Die viel gelobte Raffinesse seines Geigenspiels blieb eigenen Aufführungen und dem Spiel im Kreis von Freunden und Bewunderern vorbehalten. Guglielmo mit seiner Barockvioline lässt sie wieder aufleben, mit immenser Technik und ebenso viel Wärme, Emotionen, manchmal hübsch sophisticated und mit einer guten Portion frechem Spielwitz.
Originale solistische Besetzung wie zu Vivaldis Zeiten
So kommen die Aufnahmen von L’arte dell’Arco erstaunlich schlank daher, ohne überbordende Verzierungen, obwohl einige Tempi und Ausgestaltungen das Spiel des Komponisten wohl sehr gut wiedergeben. Im wesentlichen setzt das Ensemble aus Padua auf Klarheit, schwingende Tempi, Herausarbeiten der dialogischen und mehrstimmigen Passagen.
Und das hört man prächtig in diesen Aufnahmen. Denn auch zu Vivaldis Zeiten wurde im Wesentlichen in solistischer aufgeführt, größere Orchester mit mehrfach besetzten Parts waren noch Ausnahmen.
Die schlanken Fassungen sind häufig Überraschung, wenn man den manierierten Angang mancher Interpreten im Ohr hat. Doch tun sie Vivaldis Musik durchweg gut, man hat das Gefühl, sich durchweg in der nähe ihrer Essenz zu bewegen. ein winzige Mehr wäre zuviel, ein Spürchen weniger zu wenig. Wobei L’Arte dell’Arco nie auch nur im Geringsten akademisch wirken, dazu packen sie die Musik mit viel zu großer Spielfreude und Energie an.
Eine Essenz seines Instrumentalschaffens ist auch die Auswahl in den Bänden mit den Opuszahlen 1 bis 12. Triosonaten das op.1, Violinsonaten das op.2 – beide noch bei Verlegern in Venedig herausgebracht. Opus 3 ist der berühmte Konzertzyklus „L’estro armonico“, mit dem man das Vivaldi-Hören nach L’Arte dell’Arco lernen kann. Nichts da – das sind keine Schülerkonzerte, das sind fein austarierte Violinkunststücke, manche für eine, manche für zwei und andere für vier Violinen.
Ein gut vernetzter Verleger sorgte für Vivaldis Ruhm
Diese und alle weiteren gedruckten Bände brachte Vivaldi bei einem international bestens vernetzten Verleger in Amsterdam herauf, auf dessen hohe Qualität im Notendruck er aufmerksam geworden war. Estienne Roger kümmerte sich im Werbung, Kataloge und den internationalen Vertrieb – Grundlage dafür, dass Vivaldis Werke bald in England, Frankreich und Italien weithin bekannt waren und aufgeführt wurden.
Und nachgedruckt – 20 Mal in den nächsten 32 Jahren. Mal ganz legal und manchmal auch ein bisschen weniger legal, als klar wurde, dass man damit Geld verdienen kann. Selbst Vivaldis Verleger stellte wohl einige Sammlungen zusammen, ohne den Meister informiert zu haben, was das Verhältnis der beiden zeitweise merklich abkühlte. Opus 4 sind die Violinkonzerte „La stravaganza“, op.5 Violinsonaten und Duos, op.6 Violinkonzerte wie op.7. Der Konzertzyklus op.8 „Il cimento dell’armonia e dell’inventione“ beginnt mit den berühmten naturmalerischen Vier Jahreszeiten, es folgen die 12 Konzerte von „La cetra“ als op.9, op.10 sind Konzerte für die damals gerade sich durchsetzende Querflöte. In Opus 11 finden sich weitere Violinkonzerte, wie in Opus 12. Als Dreingabe, erschienen in Paris noch zu Lebzeiten Vivaldis, finden sich auf CD 20 sechs Cello-Sonaten von Vivaldis, der danach keine Werke mehr drucken ließ.
Es ist eine große Edition, die hier vorgelegt wird (übrigens zum kleinen Preis um 45 Euro, als MP3-download für gerade mal 15 Euro). Die Aufnahmen, entstanden zwischen 2010 und 2014, sind sehr plastisch und leuchtkräftig – man bedauert allerdings ein wenig, das hier kein echtes Raumklangverfahren eingesetzt wurde. Das Booklet, von Federico Guglielmo selbst verfasst, erzählt auf 20 Seiten die verwickelte Geschichte der Vivaldi-Drucke – ein informatives Stück Musikgeschichte. Dafür verzichtet man wieder einmal auf jegliche Information zu den vorzüglichen Interpreten.
Die neben der Vivaldi-Edition übrigens auch eine Tartini-Edition eingespielt haben. Und die man nach diesen CDs unbedingt einmal live im Konzertsaal erleben möchte. Das Ensemble hat ganze Regale von Auszeichnungen für seine bisher an die 50 Aufnahmen aus dem Bereich des italienischen Barocks bekommen.
Antonio Vivaldi: Complete Concertos & Sonatas opp. 1-12
Federico Guglielmo & L’Arte dell’Arco.
20 CDs
Brilliant Classics
95200
Abbildungsnachweis:
Header: L'Arte dell'Arco diretta da Federico Guglielmo
CD-Box-Cover
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