Nichts lässt sich schöner und gefühlvoller komponieren, singen und musizieren als all die hellen und dunklen Spielarten des immerwährenden Experiments Liebe – von der Sehnsucht, dem Hoffen, der aufgehenden Liebe, erster Eifersucht, dem Verlassensein, Vorwürfen, Streit bis zur Verzweiflung und dem Weg durch sämtliche Höllen der Trennung. Simone Kermes hat einschlägige Songs in einem faszinierenden Konzeptalbum zusammengetragen. Der Titel der CD lässt sich einfach merken: „Love“.
Die gefeierte Koloratursopranistin bedient sich im halb vergessenen, halb schon wieder entdeckten Repertoire der 120 Jahre zwischen 1580 und 1700, in denen sich die Renaissance langsam in den Frühbarock verabschiedet. 17 Madrigale, Songs und Arien hat sie zusammengetragen, darunter Alt-Hits wie Monteverdis „Lamento della Ninfa“ aus seinem „Orfeo“, der allerersten Oper zu Beginn der Liebesreise. Purcells „If love’s a sweet passion“ aus „The Fairy Queen“. Oder – noch einmal Purcell – „Dido’s Lament“: „When I am laid in earth“. Dazwischen gibt es – ganz ohne pädagogischen Zeigefinger Bekannteres und Unbekannteres. Musik aus gleich vier Ländern – Italien, England, Spanien und Frankreich macht deutlich, dass hier ein universelles Thema verhandelt wird.
Simone Kermes setzt nur selten bei dieser Produktion auf frappierende Virtuosität, sie kostet mit ihrem glasklaren Sopran mit einem angenehm winzigen Spürchen Vibrato eher ruhige Melodien aus. Leicht gedämpft wie bei Tarquinio Merula (ein Musiker und Komponist aus Cremona), wo es um zart bebende Erwartung geht. Oder bei Antoine Boëssets „Quelles Beautés“, in das die Viola d’Amore von Jasser Haj Youssef einen feinen Unterton arabischer Sinnlichkeit hineinträgt.
Es gibt spanisches Feuer im Flirt wie bei „Ay amor loco“ von Luis de Briçeño aus Galizien, einem Musiker am Hofe Louis XIII. in Paris. Aber schon bei Nummer 5 beginnt die Reise in die dunkleren Gebiete der Emotionen. Barbara Strozzi, Venezianerin, Komponistin und Sängerin mit einem Hang zum Verlassen ausgetretener Pfade, steuert mit „Che si può fare?“ ein Stück über die innere Unruhe, in die Liebende gestürzt werden.
Über vergangene Liebe wurden schon immer die besseren Lieder gemacht
Und dann geht es nach und nach ans Eingemachte. Verlassen sein, Verlassen fühlen, Trübsal, Weltschmerz, Eifersucht, schwarzer Wahnsinn – da tut sich ein weites Feld auf für eine Sängerin, die zu aller Liedhaftigkeit gern auch mal ins dramatische Repertoire opernhafter Gestaltung greift und ihr virtuoses Können aufblitzen lässt wie in John Eccles „I burn, I burn“. Eccles war nach dem frühen Tod Purcells Englands führender Bühnenkomponist und ab 1700 Master of the King’s Musick, er wurde dann 1711 von Händels kometenhaften erfolgen in den Schatten gestellt. „My brain consumes to ashes, each eye-ball too, like lightning flashes, within my breast there glows a solid fire, which in a thousand, thousand ages can’t expire.“ Was für Texte – die Liebesqualen wenden sich zur Verzweiflung, Abgründe tun sich auf. Über vergangene Liebe wurden schon immer die besseren Liedern gemacht.
Simone Kermes nimmt uns mit bis zum bitteren Ende, dem Liebestod. Begleitet wird sie vom italienischen Originalklang-Ensemble „La Magnifica comunità“ unter Enrico Casazza, der auch an der Violine aktiv ist. Knapp ein dutzend herausragende Musiker – ein vibrierendes Energiebündel mit viel Freude an frisch rekonstruierten Instrumentalparts und Transkriptionen, die feintariert die nuancenfreudige Luxusstimme von Kermes auf Samt und Seide betten. Jedes Ornament sitzt perfekt, gemeinsam mit der Sängerin sorgen sie dafür, dass das Programm dieser CD, mit wenigen kleinen emotionalen Ausbrüchen, fast schon zu glatt, zu lieblich, zu gleichschwebend daherkommt.
Ein gelungenes CD-Projekt dennoch, mit einem Booklet, das so informativ ist, dass man sogar das kitschige Cover (Diva in Weiß mit Schattenrand, hingegossen auf Altrosa) in Kauf nimmt.
Simone Kermes: Love
Mit dem Ensemble „La magnifica comunità” unter Enrico Casazza.CD Sony Classical,
8887 5111 382
Video zum Tour-Auftakt in Bremen
Abbildungsnachweis:
Header: Simone Kermes. Foto: Sandra Ludewig (c) Sony
CD-Cover
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