
Über die unschöne Sitte, hohe Männerstimmen durch schnelle Schnitte zu produzieren, ist die Musikgeschichte glücklicherweise schon lange hinweg gegangen. Aber wenigstens eine Ahnung davon, für welche Stimmen Händel oder Vivaldi ihre schönsten Opernarien geschrieben haben, kann man auch heute noch haben, seit sich verstärkt Sänger auf das hohe Kopfstimmenregister, das Falsett, konzentrieren, mit dem sie nach oben über die Alt- und sogar bis in die Sopranlage vordringen können.
Zwei profilierte Vertreter der hohen Männerstimme legen jetzt neue CDs vor und ermöglichen einen interessanten Vergleich: der Franzose Philippe Jaroussky und der rumänisch-stämmige Valer Sabadus. Der erste mit geistlichen Kompositionen von Antonio Vivaldi, der zweite mit Opernmusik von Christoph Willibald Gluck und Antonio Sacchini.

So werden Vivaldis geistliche Kompositionen, die natürlich stark von der Ausdrucksstärke des Opernkomponisten profitieren, in ein funkelndes Licht gerückt, ohne dabei die Innigkeit aus der Tiefe der Seele einzubüßen. Nicht nur die bekannten Werke, das „Stabat mater“, das 1712 komponiert wurde und den späten Einstieg des musikalische Priesters Vivaldi (1678 bis 1741) in die geistliche Musik darstellt. Oder das „Salve regina“, und auch die kleinen Motetten. Sie liegen alle dicht am Opernhaften, bringen ausdrücklich die Emotionen der frommen Textzeilen an die Oberfläche. Und sind natürlich auch Virtuosenstücke.
Wenn das Ensemble Artaserse quasi aus ganz aus Jarousskys sängerischem Atem heraus begleitet, liegt an der Klangkultur des Ensembles, vor allem auch daran, dass der Sänger in eher ungewöhnlicher Tateinheit gleich auch dirigiert. Auf einer beigelegten Bonus-DVD kann man die Musiker auf den Spuren Vivaldis durch Venedig begleiten.
Valer Sabadus orientierte sich bei der Auswahl für seine CD mit Werken von Gluck und dem in Florenz geborenen und in Neapel ausgebildeten Sacchini an der Begegnung Gluck mit dem formidablen Soprankastraten Giuseppe Millico. Der muss den 14 Jahre älteren Komponisten schwer beeindruckt haben. Gluck schrieb für ihn mehrere seiner Werke um und transponierte die Arien in die höhere Sopranlage, ja, er fasste sogar seinen Opernhit „Orfeo“ zu einem Best-of-Einakter zusammen und komponierte für Millico die Oper „Paride ed Helena“. Er empfahl Millico, der damals schon acht Jahre als Stern am russischen Zarenhof in St. Petersburg geglänzt hatte, der österreichischen Kaiserin Maria Theresia, die ihn nach Wien holte.

Neben den Wiener Sopranbearbeitungen von Gluck sind interessant die drei Stücke aus Antonion Sacchinis Oper „El Cid“, die bei ihrer Premiere 1773 in London selbst die Spitzenwerke von Händel übertrumpfte, was das Publikumsinteresse betraf. Sacchini war – das hört man sofort – mit seinem über weite Strecken empfindsamen Stil eines der großen italienischen Vorbilder des jungen Mozart. Hier kann Sabadus ganz im frühen Mozart-Ton glänzen, etwa in der koloraturfreudigen Arie „Placa lo degno o cara“, die ohne Abstriche auch im „Don Giovanni“ eine gute Figur machen würde.
Kleine Kritik am Rande: Muss sich die kaum lesbare Schriftgröße beim informativen Booklet-Text zu Jarousskys CD und bei den Texten zu den Arien bei Sabadus unbedingt am unteren Rand der Winzigkeitsskala bewegen? Und mindestens ebenso ärgerlich ist der Trend, in CD-Booklets auf jede schriftliche Information über die beteiligten Künstler – Sänger und Orchester – abgesehen von einigen Fotos zu verzichten.
Philippe Jaroussky: Vivaldi – Pietà – Sacred works for Alto. Ensemble Artaserse, Leitung: Philippe Jaroussky.
CD und Bonus-DVD,
Erato
0825 6462 5750 8
Valer Sabadus: Gluck und Sacchini – Le Belle Immagini. Hofkapelle München, Leitung: Alessandro de Marchi.
CD Sony classical
8884 3019 242
Hingucker:
Philippe Jaroussky singt Vivaldi, Vedro con mio diletto aus „Giustino“
Philippe Jaroussky im „Stabat Mater“ von Vivaldi
Valer Sabadus über seinen musikalischen Weg und sein Vorbild Andreas Scholl
Valer Sabadus singt Händel
Abbildungsnachweis:
Header: Jaroussky und Sabadus
Cd-Cover
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