Transparentes Frühlingsopfer: Barenboim und Argerich
- Geschrieben von Hans-Juergen Fink -
Sie kennen sich seit Kindertagen in Buenos Aires, doch zusammen Klavier gespielt haben sie selten. Jetzt gibt es den faszinierenden Mitschnitt ihres gemeinsamen Recitals in der Berliner Philharmonie vom April 2014. Dazu: Carlos Kleibers „Lied von der Erde“ wurde restauriert. Und dann noch: Knochenarbeit eines Musik-Magiers – Carlos Kleiber bei der Probe belauscht.
Ihre Bekanntschaft begann 1949, in der Calle Talcahuano 1257 in Buenos Aires. Daniel Barenboim war gerade sieben Jahre jung, Martha Argerich immerhin schon acht. Beide stammten aus jüdisch-russischer Familie, beide standen etwa ein Jahr vor ihrem ersten öffentlichen Konzert, ihre Mütter Juanita Argerich und Aida Barenboim, hatten sie dorthin mitgenommen – in die Villa des österreichischen Emigranten und Musikliebhabers Ernesto Rosenthal.
Bei seinen musikalischen Treffen gab es immer freitags Musik und – nicht weniger wichtig – Apfelstrudel sowie Begegnungen mit berühmten Musiker-Emigranten und Größen des lokalen Musiklebens. Sie haben dort zwar zusammen Verstecken gespielt, erinnern sich auch an Dinge, die musiziert wurden. Sie saßen aber nie gemeinsam am Klavier. Ein paar Jahre später gingen die Barenboims nach Israel und die Argerichs nach Europa.
Ein erstes gemeinsames Klavier-Recital fand erst in den 80er-Jahren in Paris statt. 2013 machte Barenboim einen neuen Anlauf – erfolgreich: Am 19. April 2014 traten die Barenboim, nun 71, und Argerich, immer noch ein Jahr älter als er, in der Berliner Philharmonie auf, an zwei Flügel. Auf dem Programm Mozart, Schubert und Stravinsky. Das Konzert gibt es nun als Mitschnitt bei der „Deutsche Grammophon“.
Wobei die Fassung von Stravinskys „Le Sacre du Printemps“ einen besonderen Reiz hat, wurde sie doch eben erst von zwei jungen Wilden, Francesco Tristano und Alice Sara Ott, eingespielt, ebenfalls bei der „Deutsche Grammophon“.
Die Version von Barenboim/Argerich widmet sich nicht so sehr der musikalischen Gewalt, den Dissonanzen und rhythmischen Brüchen. Die beiden spielen mit dem Feuer von Stravinskys reicher Klangfarben-Palette, was auf zwei Klavieren naturgemäß deutlich schwieriger ist als mit einem großen Orchester. Es ist ein extrem transparentes Frühlingsopfer, die beiden entwickeln das Drama darin langsam, nahezu unvorhersehbar, es bahnt sich seinen Weg aus der Tiefe an die quirlige Oberfläche, leise drohend, nicht gleich gewalttätig – man versteht, dass Debussy, der beim ersten Vorspiel der Doppelklavier-Fassung 1912 in kleinem Kreis am zweiten Klavier saß, berührt und fasziniert war von der Musik des jungen Russen. Sie ist, das machen Barenboim/Argerich hörbar, gar nicht weit entfernt von seinen eigenen impressionistischen Klangwelten.
In dieser Interpretation kann man tief in die Mechanik des Stücks hineinhören, ohne dass es seinen archaischen Zauber verliert; die beiden nehmen es recht flott, hübsch flirrend, stellen den Fluss der Komposition über die sonst gern zelebrierten Brüche. Man hört bei ihnen Erfahrung und Weisheit heraus, in ihrem Spiel haben auch Behutsamkeit und Fragen Platz. Immer aber ist es geprägt von großer Intensität. Man hört mehr melodische Linien, spürt auch eine gewisse Nähe zu Mussorgsky und wird langsam hineingezogen in das rituelle Spiel, aus dem am Ende tödlicher Ernst wird.
Davor gibt es Mozarts Sonate für zwei Klaviere D-Dur, ein vollendet partnerschaftliches Spiel, das Mozarts kontrapunktisches Können voll auskostet. Argerich attestiert Barenboim die Opernerfahrung, die man seiner sängerischen Phrasierung anhört.
Schuberts vierhändige Variationen über ein Thema in As-Dur sind wunderbar innig musiziert, wobei Argerich als Begleiterin von großer Eleganz mit ihrer zweiten Stimme für Balance und Ausgleich sorgt, wenn sich Barenboim traumtänzerischen Umspielungen hingibt. Ein Recital der Extra-Klasse.
Carlos Kleibers singuläre Mahler-Einspielung
Ein Nachtrag zu einer kürzlich im Klassik-Kompass erschienenen Kritik könnte auch die restaurierte Fassung von Carlos Kleibers einziger Mahler-Interpretation sein: „Das Lied von der Erde, posthum 1912 uraufgeführt, aufgenommen 1967 im Wiener Konzerthaus mit den Wiener Symphonikern, die jetzt auch für die digital sorgfältig überarbeitete Wiederveröffentlichung gesorgt haben – die Wiedererweckung einer fast schon totkopierten Bandaufnahme.
Das kommt einem volleren Orchesterklang zugute, aber auch den großartigen Stimmen von Christa Ludwig (Alt) und Waldemar Kmentt (Tenor), die geradezu jugendfrisch aus dem Lautsprecher kommen. Die Aufnahme war Teil eines gewaltigen Mahler-Projekt 1967, Kleiber, damals 37 Jahre jung, hatte nur wenig Probenzeit zur Verfügung und die scharf registrierenden Ohren der Wiener Kritiker im Publikum.
Man attestierte ihm Unterkühltheit und einen Hang zu größter Genauigkeit. Noch heute zu hören ist eine gewisse Distanz zur Musik – Leidenschaft wie bei Leonard Bernstein ist Kleibers Sache nicht – die Aufnahme wird auch heute nicht ungeteilte Begeisterung hervorrufen, ist aber ein wichtiges Klang-Dokument aus der Arbeit des notorisch mikrofonscheuen Dirigenten.
Wie bringe ich ein Orchester auf Trab: Kleiber probt Johann Strauss
Allen, denen diese Aufnahme zu akademisch vorkommt, sei ein ganz anderes Kleiber-Dokument empfohlen, das allerhöchstes Vergnügen bereitet: Auf Youtube abrufbar ist der Mitschnitt einer halben Probenstunde zur Fledermaus-Ouvertüre, die der junge Kleiber in Stuttgart 1970 beim Südfunk-Sinfonie-Orchester geleitet hat. Da blitzt Kleibers einmalige Gabe auf, musikalische Ideen in den feinsten Nuancen und gern auch mit kecken politischen Anspielungen zu verbalisieren und klarzumachen – man kann zuschauen, wie er mit Wortwitz, Frechheit, kleinen Übertreibungen und Pieksern mürrische Orchestermitglieder auf seine Seite zieht und schließlich begeistert. Die knochenharte Motivationsarbeit eines großen Orchestererziehers, die sich, wie der anschließende Konzertausschnitt zeigt, grandios auszahlt. Muss man unbedingt gesehen haben!
Martha Argerich, Daniel Barenboim: Piano Duos. CD
Deutsche Grammphon
479 3922
Mahler: Das Lied von der Erde. Carlos Kleiber, Wiener Symphoniker, Christa Ludwig, Waldemar Kmentt. CD
Wiener Symphoniker
WS007
YouTube: Kleiber probt die Fledermaus-Ouvertüre.
Hörbeispiele:
Barenboim/Argerich
Kleiber/Mahler
Abbildungsnachweis:
Header: Argerich und Barenboim. Deutsche Grammophon
Cd-Cover
Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)
Kommentare powered by CComment