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Während des zweiten Weltkrieges, im Juli 1941, besetzten Deutsche Truppen das seit 1940 sowjetische Lettland. Mit den Deutschen kam auch der Rassenwahn. Wie in anderen Städten (Vilnius, Minsk, Lodsch, Lemberg etc.) richteten die Nationalsozialisten auch ein Ghetto in Riga ein. In der Südstadt wurden einige Straßenzüge eingezäunt, deren lettische Bewohner vertrieben und 30.000 Juden, zunächst lettische, später auch sogenannte „Reichsjuden“ aus dem Deutschen Reich und Österreich sowie aus Polen interniert. Unvorstellbar viele von ihnen wurden in den darauffolgenden Jahren in den lettischen KZs, in Wäldern und im Ghetto ermordet.

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Diese Geschichte und vor allen Dingen das Leben der jüdischen Ghetto-Bewohner während der deutschen Besatzung sollte nach 1989, der Unabhängigkeit Lettlands, dokumentiert und zugänglich gemacht werden und zwar so authentisch und künstlerisch wie möglich – das Projekt „Rigas Geto Muzejs” verhilft seit 2010 seinen Besuchern zu einer Zeitreise in das Rigaer Ghetto der 1940er Jahre.

Das an der nördlichen Grenze des ehemaligen Ghettos gelegene Museum überzeugt lettische und internationale Besucher mit einer authentischen Präsentation der Historie der jüdischen Bewohner Rigas. Allein die Kulisse und Atmosphäre in der ausgestellt wird, ist beeindruckend. Begleitet von einer Brise Wind können Besucher sich auf einem alten aber gut erhaltenen Fabrikgelände mit Ausblick auf Rigas Strom Daugava (Düna) frei bewegen und den Geschehnissen der Vergangenheit auf den Grund gehen. In sechs kreativ konzipierten Ausstellungsbereichen, die sich über das großzügige und übersichtliche Gelände erstrecken, hat der Besucher die Möglichkeit in einzelne Themenwelten einzutauchen, sich zu informieren, nachzuempfinden aber auch den schrecklichen Ereignissen still zu gedenken. Der Fokus liegt also nicht allein auf didaktischen Zwecken wie man sie in vielen anderen Museen zum Thema findet.

Ihrer Mission, ein Botschafter für Toleranz, Güte und Barmherzigkeit zu sein, werden die Initiatoren des Museums gerecht – der Aufenthalt im größtenteils unter freiem Himmel existierenden Museum ist eine bewegende Erfahrung!

Der Besucher des Ghetto-Museums wird von Kopfsteinpflaster, einem Eisenzaun, hölzernem Eingangsgatter und Stacheldraht empfangen. Direkt dahinter eine monumentale Gedenktafel, die sich weit in die Tiefe zieht. Sie ist mit 70.000 Namen, die jeweils durch einen kleinen Davidstern verbunden sind, bedruckt. Masse und Individuen auf einen Blick. Die Aufschrift ist in der Farbe Blau, die im Judentum für die Göttliche Offenbarung steht. Riesige gelbe Zacken, die symbolhaft auf den sogenannten „Judenstern”, den alle Ghetto-Bewohner zu tragen hatten, hindeuten, gliedern die riesige Tafel. Symbolik spielt im Judentum per se eine bedeutende Rolle und zieht sich auch im Ghetto-Museum wie ein roter Faden durch die Themenbereiche und Sonderausstellungen. Am Eingang können sich Besucher durch einen Flyer, der in mehreren Sprachen vorliegt, einen groben Überblick über die Inhalte verschaffen.

Die Präsentation entlang der Kopfsteinpflasterstraße ist permanent und beinhaltet auch Tafeln mit Fotos vom ehemals jüdischen Leben, von Rabbinern und jüdischen Intellektuellen, Künstlern und Wissenschaftlern, von Häusern jüdischer Architekten, verschiedener Synagogen des ganzen Landes, Bilder aus anderen Ghettos und aller Häuser im Rigaer Ghetto, die heute noch vorhanden sind.

Am Ende der Gedenkstraße, auf einem kleinen Platz entdeckt der Besucher eine riesige Stein-Menora (Leuchter), zum Gedenken der Toten übersäht von kleinen Steinen sowie einige Buchstabenskulpturen aus Holz des hebräischen Alef-bet, die für in der Tafel nicht genannte Opfer stehen. Ein imposanter Metallbaum ist jenen Menschen gewidmet, die Juden geholfen und gerettet haben. Besonders auffallend ist die Verwendung unterschiedlicher Materialien, die die Darstellungen als sehr abwechslungsreich und individuell gestalten.

Den kleinen Platz schließt ein zwei-stöckiges Holzhaus ab – ein Wiederaufbau eines alten Hauses, welches sich einst mitten im Ghetto befand und in dem 20 Juden leben mussten. Im unteren Geschoss findet man Modelle, Pläne und Fotos ehemaliger Synagogen aus Lettland. Im zweiten Stock riecht es holzig, es ist eng und karg. Im rekonstruierten Wohnraum fallen die Wände auf, die mit Original-Zeitungen der 1930er- und 40er-Jahre tapeziert sind.

Die Sonderausstellung „One Way Ticket Berlin-Riga“ befindet sich in einem alten Eisenbahnwagon. In solchen wurden Juden aus Wien, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein und aus Warschau nach Riga deportiert. Für die Ausstellung sind im Inneren die Wände verspiegelt worden und kreieren eine scheinbar nicht endende wollende Vervielfältigung der kargen Birkenbaumstämme, die sich in der Mitte des Wagons befinden. Und die Besucher spiegeln sich natürlich mit. Ein Symbol dafür, dass für unzählige Wagons, vollgestopft mit Menschen, Riga eine Endstation war und sie in den umliegenden Wäldern ermordet wurden. Die Präsentation kommt bei den Besuchern sehr gut an, denn sie ist innovativ, kreativ, ja, künstlerisch kuratiert.

Aber nicht nur Dauerausstellung und „One Way Ticket Berlin-Riga“ sind durch Kreativität und Innovation ansprechend, auch die größte Ausstellungshalle auf dem Gelände hat ihren Schwerpunkt auf künstlerische Akzente gesetzt. Etwa hundert Lampenschirme, die auf Augenhöhe hängen, geben mit aufgedruckten originalen Dokumenten, Texten und Fotos Auskunft über die Identität ermordeter Ghetto-Bewohner. „3000 Schicksale“, so der Titel der Ausstellung, beeindruckt durch Machart, Klarheit, Brisanz und Wirkung.

 

Im Mai 2016 wurde zudem eine Sonderausstellung zu Ehren der Geschwister Scholl und ihrer Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose” im Kampf gegen die Nationalsozialisten eröffnet. In dem Raum ist es kühl, die Bilder sind in Schwarz-Weiß gehalten, Klarheit und Minimalismus dominieren angenehm. Auch hier: der Charme der alten Lagerhalle bleibt erhalten und die Kargheit des Gebäudes führt die Gedanken des Beobachters zum Wesentlichen.

Besonders erwähnenswert ist die Webseite des Ghetto-Museums. Sie ist grandios aufgebaut und designed, sodass Besucher dort intensiv und lange verweilen können, um diese zu erkunden. Fast schon wie ein eigener Museumsteil können sich die Homepage-Besucher durch Zeit und Raum treiben lassen, können individuell oder geführt eine virtuelle Reise durch die Moskauer Vorstadt, dem ehemaligen Ghetto, erkunden. Sie bietet darüber hinaus weitere Möglichkeiten etwas über das Leben und die Menschen im Viertel zu erfahren. Der Erzähler spricht auf Englisch und hat einen charismatischen lettischen Akzent, die Stimme ist ideal gewählt und bleibt im Gedächtnis. Hintergrundgeräusche schaffen zusätzlich eine sehr reale
Vorstellung von dem was sich damals abgespielt hat und lassen das alltägliche Leben im Ghetto und seiner Umwelt noch einmal aufleben.

Museum und Homepage spielen eine wichtige Rolle in der Museumslandschaft Rigas. Es ist ein Denkmal zur Erinnerung an die grausamen Geschehnisse und ein Appell zum Frieden. Dieser Ort verarbeitet die Vergangenheit auf eine besondere Weise – durch die künstlerische Ausgestaltung des Geländes spricht er die Besucher mit all ihren Sinnen an und zieht sie in seinen Bann.
Eine Zeitreise die in Erinnerung bleibt.

Rīgas Geto un Latvijas Holokausta muzejs
Das RGM wurde von der Jüdischen Glaubensgemeinschaft SHAMIR in Zusammenarbeit mit dem Rigaer Stadtrat am 21. September 2010 eröffnet. Permanente und wechselnde Ausstellungen.
Maskavas iela 14A, Riga, Lettland
Geöffnet von Sonntag bis Freitag 10:00-18:00 Uhr.
Eintritt frei
Tel.: +371 67 791 784
Weitere Informationen und Homepage

Sonderausstellungen im Sommer:
„One Way Ticket Berlin-Riga. Nichts und niemand ist vergessen!"
„Die Weiße Rose“


Abbildungsnachweis:
Header: Blick ins Riga Ghetto Museum. Foto: Claus Friede
Galerie:
01. Die Ludzas Straße, 1942. Quelle: Jüdisches Museum, Riga
02. Riga, „Juden müssen aus dem Fahrdamm gehen“, 1942. Quelle: Bundesarchiv Bild: 183-N1212-319
03. Blick auf das Ghetto-Museum von oben. Foto: Claus Friede
04. Eingang des Ghetto-Museums. Foto: Claus Friede
05. und 06. Blick ins Ghetto-Museum uns auf Wagon und Gedenktafeln. Fotos: Claus Friede
07. Namenstafel der Deportierten. Hier Transport von 1941 aus Hamburg/Schleswig-Holstein. Foto: Claus Friede
08. Gedenktafel. Foto: Claus Friede
09. Foto von Kindern aus dem Ghetto von Lodsch. Foto: Claus Friede
10. Stein-Menora. Foto: Claus Friede
11. Alef-Bet-Skulpturen. Foto: Claus Friede
12. Ehermalige Synagoge in Lipaja (Libau). Foto: Claus Friede
13. Wohnraum eines Hauses im Ghetto. Foto: Claus Friede
14. Blick in die Ausstellung "3000 Schicksale". Foto: Claus Friede
15. Ausstellungsplakat zur "Weißen Rose". Foto: Claus Friede
16. Blick in die Ausstellung "Die weiße Rose". Foto: Alina Grotz

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