„My Landscape Is Your Landscape“ – Internationale Videokunst zum Thema 'Landschaft'
- Geschrieben von Claus Friede -
Der Titel der Ausstellung (4) assoziiert Globalisierungsprozesse und deutet gleichzeitig auf die unterschiedlichen internationalen Provenienzen der Künstler hin.
Der erste Teil „My Landscape“ veranschaulicht die subjektive, persönliche Landschaftserfahrung oder damit verbundene Vorstellungen der jeweiligen Künstler. Der zweite Teil, „Your Landscape“, zielt auf die Objektivierung dieser Erfahrung ab, in der es um Ideale, Inszenierungen und kulturellen Vorstellungen von Landschaft geht oder um deren Surrogate, die durch die jeweiligen Kunstwerke allgemeine Gültigkeit erhalten, denn das künstlerische Abbild von Natur ist ebenso weit von der Wahrheit entfernt wie von der Natur an sich.
Eine verbreitete naive Vorstellung hält Landschaft einfach für ein Stück Natur. Diese ‚einfache’ Natur war jedoch noch nie ‚Landschaft’. Auch nicht in der Kunstgeschichte. Motivauswahl, Komposition und Arrangement von Naturelementen machten Landschaftsgemälde immer schon zu Collagen, nur dass man keine geklebten Versatzstücke oder Schnitte sieht. Heute lässt die digitale Bildbearbeitung Elemente miteinander verschmelzen, und es entstehen sogar scheinbare Abbildungen von Orten der Welt, die ohne jede Vorlage vollständig oder größtenteils am Computer errechnet worden sind. Es entstehen collagierte Videos und Bildfolgen von vermeintlicher Landschaft.
Umgekehrt machen unbearbeitete Abbildungen realer Orte immer häufiger den Eindruck, als blicke man in eine Computersimulation. Dass die Welt zum Resultat medialer Wahrnehmung wird, ist jedoch nichts Neues.
Im 18. Jahrhundert verwandelten Großgrundbesitzer – vornehmlich in England, West- und Zentraleuropa – umfangreiche Ländereien in Parks und Gärten, die eingespielten Mustern der Landschaftsmalerei nachempfunden waren. Von den Besitzern künstlich aufgeschüttete Wälle und Hügel sorgten für die Kongruenz von Horizontlinie und Besitzgrenze. Landschaft wurde also schon damals manipuliert und simuliert. Will sagen, Jean-Jacques Rousseaus Begriff ‚Zurück zur Natur’ war ein ‚Zurück zu Bildern’, die man kannte. Kurz darauf begann die Industrialisierung die reale Natur in bekanntem Maße auszubeuten und landschaftliches Aussehen grundlegend zu ändern: Brücken, Staudämme, Fabriken entstanden und der Tagebau wälzte ganze Landstriche um. Die Landschaft ist darüber hinaus längst zur ‚Stadtschaft’ geworden und auch in den Städten und Megacities gelten die gleichen Merkmale, wenngleich mit unterschiedlichen Wirkungen und Definitionen.
In den letzten Jahren erlebt das Thema Landschaft ein erstaunliches Revival in der Kunst. Dabei ist die Bandbreite dessen, was sich thematisch mit Landschaft im weitesten Sinn definiert, ungeheuer groß und kann in der Ausstellung „My Landscape Is Your Landscape“ nur ansatzweise präsentiert werden. Zudem wird der Begriff Raum nicht nur analog, sondern insbesondere auch digital verwendet und kreiert alles was vorstellbar ist.
Die Ausstellung fragt nach den Landschaftserfahrungen sowie deren künstlerischen Kristallisationen und will anhand ganz unterschiedlichen Positionen der Videokunst illustrieren, dass hinter dem Interesse an Landschaft keineswegs immer nur rückwärtsgewandte Nostalgie oder romantisch verklärte Vorstellungen stehen, sondern dass diese auch als eine präzise Metapher für die psychologischen, sozialen, politischen, historischen und digitalen Konflikte unserer Zeit fungiert.
Die zehn teilnehmenden internationalen Künstler aus Europa, Asien und Nordamerika zeigen im Einzelnen folgende Werke:
Die Künstlergruppe Bauhouse (DE) ist mit einer Rauminstallation namens “Scale“ (2013) vertreten: Auf der einen Seite befindet sich eine Wand füllende Projektion der Sonne, die in Nahaufnahme Sonnenwinde, Explosionen und die energetischen Zentren zeigt. Die Aufnahmen stammen vom Solar Dynamics Observatory der NASA. Aus Lautsprechern hört man modifizierte „Solar-Sound“-Aufnahmen aus einer Versuchsreihe des Experimental Physics Laboratory der Stanford University (5) in Kalifornien.
Auf der gegenüberliegenden Wand ist ein iPhone montiert, welches sich scheinbar selbst bedient. Es googlet, zeigt eigenständig beschleunigte Bilder, spielt YouTube-Videos ab, präsentiert historisches- und aktuelles Material. Es führt uns Fragmente und Reminiszenzen globaler Kultur vor Augen, sowohl zeitgenössisch-menschliches als auch digital-bestimmtes Verhalten.
Die Gegenüberstellung von Sonne und iPhone beruht auf der von Steve Jobs einmal eingerichteten visuellen Grundeinstellung aller Apple-Produkte: Auf der Home-Hintergrundbildseite ist die Erdkugel als Aufnahme aus dem All zu sehen. Dieses Motiv wurde dem „Whole Earth Catalog" (6) entnommen.
„Uns reizte es, das ursprünglich kalifornische Lebensgefühl mit seiner Technologie affinen Weltsicht in ein meditativ, skaliertes Verhältnis zu stellen“, erklären Bauhouse selbst ihre Arbeit.
Das Medium ‚Smartphone’ funktioniert dabei nicht nur als bewusst gesteuertes ‚Kommunikationstool’, sondern ist eine räumlich, akustische Setzung. Landschaft ist in diesem Werk inhaltlich gesehen eine gedankliche Transformation, ein visualisiertes Konstrukt, denn der digitale- und technische Raum sind zunehmend Teil unserer alltäglichen Landschaftswahrnehmung (Satelliten-Navigation, Google Earth, etc.). Sie ist komprimiert im Abbild der Sonne in Bezug auf das Apple-Abbild des Erdballs. Die räumlich-audiovisuelle Bearbeitung, der inszenierte Raum selbst, kann allerdings als ‚Installationslandschaft’ gelesen werden.
Für Ñaco Fabré (ES) ist die Landschaft ein Durchquerungsraum. In seinem Video „No te olvides de respirar„ – Deutsch: ‚Vergiss nicht zu atmen’ (2011) wird dem Betrachter lediglich eine einzige Kameraperspektive nach oben, Richtung Himmel, angeboten. Fabré joggt zwanzig Minuten – die Kamera ist an seinem Kopf befestigt – und schwankt im Laufrhythmus mit. Sie zeigt lediglich die Baumwipfel eines Pinienwaldes und graue Wolken. Außer der Atmung und der Schrittfrequenz des Künstlers ist nichts zu hören. Es gibt keinerlei Verfremdung oder digitale Veränderung zu sehen. Die Landschaft wird zwanzig Minuten regelrecht rhythmisch zerlegt und dient als Ort sportlicher Betätigung, verändert aber nie ihr visuelles Wesen und Erscheinungsbild und erscheint insofern realistisch-natürlich und rein. Eine konkrete Verortung der Landschaft ist durch die Kameraperspektive nicht möglich. Auch geben Wetter, Tages- und Jahreszeit keine weiteren Anhaltspunkte. Die Videoarbeit konzentriert sich inhaltlich auf den läuferischen Rhythmus und nicht auf den Topos von Landschaft. Hier dient sie lediglich als logischer Transmitter einer wesentlichen Information: Ich laufe durch saubere Natur und nicht durch einen urbanen, verschmutzten Raum. Für Fabré ist sein Werk „eine lyrische Abstraktion, die der Wald in sich birgt, eine Hommage an Bäume und reine Luft“.
Der Landschaftsraum von Fabian Grobe (DE) ist eine Illusion. Sein „Christmas Tape“ (2003) zeigt eine vermeintliche Zugfahrt durch die Weihnachtsdekoration Berlins im Dezember. Immer wieder tauchen Weihnachtsbaumformen, Sterne und Lametta als dechiffrierbare Leuchtelemente auf, ansonsten ist durch die suggerierte Geschwindigkeit der städtische oder landschaftliche Raum nur als ein von rechts nach links vorbeiziehendes Etwas zu erkennen und bildet eine starke Abstraktion. Der Abstraktionsgrad geht so weit, dass der Betrachter glaubt, visuellen Täuschungen zu erliegen. Ab und zu schnellt in gegenläufiger Richtung ein rotes Rechteck durchs Bild, das sich als Gegenzug decodieren lässt. Nach sieben Minuten verschwindet alles langsam in Unschärfe und endet im Schwarz. Verschwunden ist nicht nur die ursprüngliche Landschaft, sondern auch die ursprüngliche Weihnachtsgeschichte. Der Sound besteht aus sich tonal wiederholender, elektronischer Musik und einem englischsprachigen Telefongesprächsfragment, dessen männlicher Protagonist dem anderen – nicht hörbaren – die strenge christliche Lehre zu relativieren versucht. Zum Schluss ist die Rede von der Enge New York Citys im Gegensatz zur weiten Landschaft Alaskas:
"The reason why they (the inhabitants of NYC) are so depressed is because they are so detached from nature". Die akustische Ebene öffnet einen meditativen Raum, indem wir aus der Ferne diesem Telefonat beiwohnen. Bild und Musik sind rhythmisch miteinander verbunden, ergänzen sich und bilden letztlich eine sich bedingende Einheit. In Grobes Werk verweisen nur noch stilisierte Zeichen auf so etwas wie Landschaft: Sie ist eine künstliche, jahreszeitliche und religiöse Behauptung, aber keine natürliche und originäre Realität. Die Wirklichkeit speist sich hier aus der unsichtbaren Idee, aber nicht aus dem sichtbaren Material.
Wei-ming Ho (TW) initiierte im Jahr 2010 sein „The Art-Qaeda Project“. Die ortsbezogene Arbeit ist eine ephemere Intervention in der urbanen Landschaft der Stadt Taipeh auf der Insel Taiwan. Eine Serie von unterschiedlichen nächtlichen Projektionen präsentiert den Dialog zwischen einzelnen Bildern einerseits und der Stadt, Natur und dem Konsum andererseits. Seine projizierte Bild- und Filmsprache verbleibt immer in einer sozialkritischen Diktion und im Spannungsfeld zur Umwelt.
In der bizarren Atmosphäre der Nacht, an verschiedenen, im Video mit Hilfe von Texteinfügungen definierten Orten, wirkt das „Art-Qaeda Project“ wie eine merkwürdige, geheimnisvolle und politisch-mediale Aufarbeitung einer Spontanaktion. Sehr bewusst hat sich der Künstler für die Namensentsprechung zur islamistischen Terrororganisation entschieden, denn sein Videowerk wirkt wie eine schnell durchgeführte Guerilla-Handlung. Ho fährt in einem Auto mit einem lichtstarken, schwenkbaren Beamer und projiziert seine Bildwelten auf Fassaden, Mauern, Läden, den Präsidentenpalast und Taipehs höchstes Gebäude, den ‚101 Tower’. So schnell wie sie gekommen sind, so schnell verschwinden sie wieder. Zusatzinformationen wie Statistiken, Vermessungsdaten, Symbole, Morse-Codes sowie eine spezielle elektronische Musik laden das Werk mit mystischen Zeichen auf und vermitteln den Eindruck einer vom Fernsehen begleiteten Aktion. Ein künstlerisches Road-Movie ohne dechiffrierbare und narrative Struktur, aber spannungsreich, subversiv und kritisch.
Levi Jackson (USA) ist in der Ausstellung mit zwei sehr unterschiedlichen Werken vertreten. „Black Rain“ (2013) zeigt von einem festen Kamerastandpunkt aus eine ausgetrocknete, spröde Landschaft. Auf dem rissigen Boden zeichnet der Wind Schattenspiele eines jenseits des oberen Bildrands befestigten pinselartigen Gebildes. Als ob die japanische Tradition der Kalligraphie Vorbild sei, ändert sich das imaginäre Bildzeichen durch leichten Wind permanent und wird zum Synonym der informellen Malerei. Überhaupt steckt sehr viel japanische Kulturauffassung in der Arbeit: Der aufgebrochene Boden wirkt wie eine feine Keramik mit Krakelee-Muster.
Der Titel der Arbeit verweist einerseits auf die Abwürfe der Atombomben 1945 auf Japan und den sogenannten „schwarzen Regen“, der noch Tage später als radioaktiv kontaminierter Niederschlag auf Menschen, Städte und Landschaft niederging als auch auf den 1989 von Ridley Scott gedrehten gleichnamigen Spielfilm, in dem es um das Aufeinandertreffen der amerikanischen mit der japanischen Kultur in der Moderne geht. Und schließlich spielt der Ort, an dem das Video entstand, eine entscheidende Rolle: In Delta, im amerikanischen Bundesstaat Utah gelegen, wurden nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor, 1941, japanisch-stämmige Amerikaner interniert. Jedoch erinnert in diesem Werk nichts Sichtbares mehr daran.
Der Ort, an dem „Air Swimmer“ (2013) aufgenommen wurde, ist Teil des prähistorischen Sees Lake Bonneville, der einst große Teile des Bundesstaats Utah bedeckte und auf dem der Großteil der heutigen Bevölkerung lebt. Aus Lake Bonneville ist der Große Salzsee hervorgegangen, sowie die meisten kleineren Seen Utahs. Das tonlose Video ist ein humorvoller Kommentar: Vor einer modellhaften Erdwand bewegt sich im Wind ein aufgeblasener blauer Plastikspielzeughai, der an einer dünnen Polyesterschnur wie ein Drache gehalten wird. Die tatsächlichen Größenverhältnisse verschwinden, und die Proportionen sind für den Betrachter kaum nachvollziehbar.
Karl Karner und die tschechische Dramaturgin Linda Samaraweerová (AT) agieren gattungsübergreifend zwischen bildender und darstellender Kunst. Sie entwickeln aus Skulptur, Installation, Performance, Tanz, Theater und Video choreografische Arbeiten. Ihr Video „Grünwachs Eins“ (2012) wurde während einer Reise nach Aserbaidschan gedreht und später überarbeitet und mit anderen künstlerischen Komponenten zusammengeführt. Es fungiert einerseits als Videoprojektion im Hintergrund der Performances und in veränderter Form als eigenständige Videoarbeit.
In einer unwirklichen Berglandschaft – es ist archaisch karg, windig, neblig und kalt – verknüpft das Künstlerduo Landschaftsaufnahmen mit Kamerafahrten über fragil wirkende Bronzeskulptur-Fragmente. Ausgangspunkt – ob Performance oder Video – ist die Frage nach der Unmöglichkeit und zugleich Unabdingbarkeit von Narration und damit verbundenen Prozessen der Objektivierung; gemeinsame Strategie ist die Vergegenwärtigung und Aneignung des Raumes. Skulpturale und landschaftliche Formen werden aus einem zeitlich-logischen Ablauf herausgelöst, Zeit und Raum so verändert, dass ein linearer Zusammenhang nicht mehr vorrangig ist. Vielmehr korrespondiert das ausschnitthafte, brüchige und symbolische Wesen des Werks mit der Brüchigkeit anderer gesellschaftlicher Systeme. Landschaft ist für die Künstler kein Handlungsraum mehr, sondern Manipulationsraum. Dieser ist mystisch, suspekt, teilweise ausgeblendet, abstrahiert und eingefärbt.
Till Nowak (DE) ist mit zwei seiner Videos vertreten. „Kaltlicht“ (2010) zeigt die schneebedeckte Landschaft des Hamburger Stadtparks bei Dunkelheit. Ausgerüstet mit einem lichtstarken Projektor nutzt Nowak den Schnee als reflektierende Fläche, um darauf abstrakte Licht- und Farbformen zu projizieren. Die Landschaft wird hier nicht nur durch ihre Jahreszeit definiert, sondern dient dem Künstler als Trägermaterial für seine Lichterscheinungen. Dabei gehen Landschaft, Bäume, Äste, Dunkelheit, Schnee, Mondsichel und Projektion eine symbiotische Verbindung ein.
Das Video „Sus“ (2011) zum gleichnamigen Musikstück der norwegischen Ambient-Elektronik-Band „Pjusk” präsentiert die schneebedeckte Berg- und Fjordwelt Norwegens in einer langsamen, manipulierten, traumartigen Version. Die Oberflächen der Landschaft verflüssigen sich als ob sie chemischen Prozessen ausgesetzt wären. Riesige Hochglanzblasen entstehen und lösen sich aus schroffen Felswänden und aus Berghängen. Zudem wird bewusst mit der Verzerrung von Größenverhältnissen gespielt. Riesige schwarze Partikel, die an Asche erinnern, erscheinen plötzlich mikro- und makroskopisch, wodurch der Mensch als winziges Wesen in Bezug auf unsere Umwelt thematisiert wird – eine Idee, der sich die norwegische Nationalromantik schon bediente. Die klare, fast klinisch-saubere Bildsprache bedient sich Auffassungen aus der Ästhetik von Musik-Clips, der Werbung und des Tourismus’.
Hieronymus Proske (DE) hat in einem Langzeitprojekt mehrere Videos zum Thema Landschaft erarbeitet. Über einen Zeitraum von exakt einem Jahr filmte Proske Landschaften vor seiner Haustür im Wendland vom immer gleichen Standpunkt aus. In einer Art Zeitraffer mit weichen Übergängen sehen die Besucher die Jahreszeiten, Licht- und Wetterbedingungen vorüberziehen und wie sich die Landschaft zusätzlich durch Handlungen des Menschen verändert. Deutlich sichtbar ist in Proskes Werk die Kompensation der Natur-Narration. Der Künstler ist zwar für den zeitlichen Rhythmus der Aufnahmen zuständig, das Drehbuch aber schreiben die Landschaft und ihre Bedingungen selbst. Die Diskrepanz zwischen Real- und Erlebniszeit ist ebenfalls ein bedeutsames Thema, denn der Ort, an dem in der Realzeit wenig passiert, wird durch die Straffung der Zeit zu einem sich permanent verändernden Raum. Die jahreszeitlichen Brüche allein sorgen für Wandel, ebenso ein extremes Hochwasser der Elbe im Frühjahr 2013. Die Landschaft wird bei Proske zum dramatischen Erlebnisraum zwischen karger und üppiger Natur, deren unterschiedlichen Aggregatszuständen sowie deren beruflicher und freizeitlicher Nutzung durch den Menschen.
In der Ausstellung werden drei verschiedene Videos vorgestellt: „Seedorf Lake East 2013“, „Seedorf Junction 2013“ und „Kamerun East 2013“.
Thomas Redl (AT) präsentiert seine Videoarbeit „spätzeit“ (2008). Es findet im Laufe der 38 Minuten keine Handlung statt – man sieht ausschließlich einen leeren Landschaftsraum im Verlauf der Dämmerung. Die einzige Dramaturgie ist die Veränderung des Lichts bis zur Dunkelheit und das Rauschen des Windes. Erkennt man zu Beginn des Films die Landschaft noch detailgetreu mit dem Wehen des Winds durch die Grashalme, so verschwindet sie zusehends bis sie sich in einem dunkelgrauen Rauschen auflöst.
In den Werken Redls ist Leere als archetypisch, als Hypothese im Sinne Platons gemeint und beschreibt dessen Idee der reinen mentalen Formen oder Mentalitäten der Seele, bevor sie sich in der Welt zum Ausdruck bringen können und sollen. Redls Arbeiten ermöglichen solche Ur-Erfahrungen der Leere und bringen eben solche immaterielle Auffassungen zur Anschauung. Hierbei spielt die zeitliche Verdichtung eine wesentliche Rolle: Das ‚Jetzt-Geschehen’ wird aus dem Zeitfluss herausgenommen und in einen Raum der Zeitlosigkeit gesetzt. Thomas Redl selbst definiert seine Arbeitsweise wie folgt: „Als ‚Jetztarchiv’ versucht die Arbeit ein raumzeitliches Kontinuum darzustellen, wo Vergangenes und Zukünftiges in einer Zeitschleife zu einem ‚gegenwärtigen Moment’ verdichtet werden und somit der Mensch als Präsenz in der Zeit, als Spur in der Existenz, sichtbar wird. Changierend zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, Fläche und Raum, Sprache und bildlicher Darstellung tauchen ‚Bilder der Erinnerung’ auf, die, wie aus Archiven des Gedächtnisses entnommen, individuelle wie kollektive Geschichte darstellen“ (7).
Der Künstler und Fotograf Stefan Szczygiel (PL) arbeitete über Jahre an seinem Projekt „Urban Spaces“, groß- und mittelformatigen Fotografien, die städtische Räume abbilden und in Beziehung setzen. In diesem Kontext entstanden erste Videoarbeiten, die der Becher-Schüler mit seiner digitalen Filmkamera aufnahm.
Die Filme weisen einige künstlerische Eigenheiten auf: Durch die Verlangsamung der Drehgeschwindigkeit und dem daraus resultierenden zeitlupenähnlichen Effekt, wird die Stadtlandschaft entschleunigt und erhält somit einen wichtigen Moment der Abstraktion. „Zeitflug Warschau“, so der Titel der Arbeit, ist die Umkehrung der Auffassung von Landschaft und Stadt. Die Stadt ist bei Szczygiel entspannt und verlangsamt, zudem – weil in schwarz-weiß gedreht – wirkt Warschau vollkommen anders, als die reale Stadt mit ihren pulsierenden Geschwindigkeiten und Frequenzen. Dennoch vermitteln die filmischen Arbeiten dadurch weder einen anachronistischen noch einen künstlich aus der Zeit heraus gehobenen Eindruck.
Die Stadt, deren Bewohner, Passanten und Protagonisten scheinen die Kamera des Künstlers nicht wahrgenommen zu haben. Keiner schaut in die Linse, fühlt sich beobachtet oder reagiert bewusst auf den ‚Ich werde gefilmt’-Effekt. Vielmehr bewegen sich die Gezeigten in einer Normalität und unbeobachteten Gelassenheit, als sei die Kamera unsichtbar, nicht existent. Die Verbindung der Natürlichkeit des Seins und des Verhaltens der Menschen im öffentlichen Raum, unabhängig von deren Tätigkeit und der Art und Weise wie Szczygiel mit seiner Kamera operiert, verwandelt die gefilmten Personen selbst zu Skulpturen, zum Bestandteil der urbanen Stadtlandschaft.
“My Landscape Is Your Landscape” – Internationale Videokunst zum Thema Landschaft
Vom 16. bis 19. Januar und vom 20. bis 23. März 2014 täglich von 17-21 Uhr zu sehen im Kunstforum Markert Gruppe, Droopweg 31 in 20537 Hamburg. Öffnungszeiten nach Vereinbarung.
Anschließend vom 10. Mai bis 22. Juni 2014 im Westwendischer Kunstverein, Zehntspeicher, Dorfstraße 30 in 29471 Gartow-Quarnstedt. Öffnungszeiten: freitags 16 - 19 Uhr, samstags und sonntags 12 - 16 Uhr.
Fußnoten:
1. HARD, Gerhard: „Die Landschaft der Sprache und die 'Landschaft' der Geographen. Semantische und forschungslogische Studien“. Dümmler, Bonn 1970; PIEPMEIER, Rainer: „Landschaft, III. Der ästhetisch-philosophische Begriff. In: J. Ritter et al. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5. Darmstadt 1980: Sp. 15-28; WINKLER, E.: „Landschaft, II. Der geographische Landschaftsbegriff“. Ebd.: Sp. 13-15; JESSEL, Beate: „Landschaft“. In: E.-H. Ritter (Leiter Red.-Ausschuss): Handwörterbuch der Raumordnung. ARL, Hannover 2005: S. 579–586; KIRCHHOFF, Thomas: „Natur als kulturelles Konzept“ In: Zeitschrift für Kulturphilosophie 2011/5 (1): S. 69–96.
Fotonachweis: Copyrights bei den Künstlern und Fotografen
2. IPSEN, D.; REICHHARDT, U.; SCHUSTER, St.; WEHRLE, A.; WEICHLER, H.: „Zukunft Landschaft. Bürgerszenarien zur Landschaftsentwicklung“. Kassel 2003: S. 130.
3. HARD, G.: „Das Wort Landschaft und sein semantischer Hof. Zur Methode und Ergebnis eines linguistischen Tests“. 1969, Wirkendes Wort 19, 3-14. S. 10.
4. Die Idee zu dieser Ausstellung basiert auf Gesprächen zwischen dem Kurator und Kunstkritiker Ludwig Seyfarth und Claus Friede.
5. Diese Solargeräusche wurden mittels SOHO/MDI hergestellt und stammen von A. Kosovichev (vgl. www.sun.stanford.edu).
6. Vgl. DIEDERICHSEN, Dietrich / POFALLA, Boris: "Der kalifornische Universalismus kann den Ort Kalifornien nicht ausblenden" in: Monopol – Magazin für Kunst und Leben, 27.04.2013.
7. Aus: THIEL, Wolf Guenter, „Die Frage nach Sichtbarkeit und Erzählbarkeit“. In: Malerei/Installationen Thomas Redl, Wien 2012.
Fotonachweis:
Header: Bauhouse: "Scale", 2013
Galerie:
01. Plakat der Ausstellung (Motiv: Till Nowak / Gestaltung: Bettina Huchtemann)
02. Ñaco Fabré : „No te olvides de respirar„ 'Vergiss nicht zu atmen’ (2011)
03. Fabian Grobe: „Christmas Tape“ (2003)
04. Wei-ming Ho: „The Art-Qaeda Project“ (2010)
05. Levi Jackson: "Black Rain" (2013)
06. Karner/Samaraweerová: "Grünwachs Eins" (2012)
07. Till Nowak: "Kaltlicht" (2010)
08. Hieronymus Proske: „Seedorf Junction 2013“
09. Thomas Redl: "Spätzeit" (2008)
10. Stefan Szczygiel: "Zeitflug Warschau" (2009)
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