Die Frage wer denn ein wirklicher, wahrer und tatsächlicher Amerikaner ist, lässt sich nur schwerlich beantworten.
US-Senator Joseph McCarthy (1910-1957), Farmerssohn aus Appleton/Wisconsin konnte das auch nicht, auch wenn er das möglicherweise dachte. Die Legitimationsfrage ist nur ein winziges Detail des Dokudramas von Lutz Hachmeister – der Hintergrund, ein überaus komplexes Netzwerk von Vermutungen, Intrigen, Lügen, Ängsten und Machtspielen. Ein uramerikanisches Thema mag man meinen.
Lutz Hachmeister, Jahrgang 1959, ist Hochschullehrer für Journalistik, Sachbuchautor und Filmproduzent und war langjähriger Leiter des Adolf-Grimme-Instituts im westfälischen Marl. Seit 1997 übernahm er auch Regiearbeiten für Dokumentarfilme und TV-Formate.
„Auf McCarthy kam ich vor rund zehn Jahren bei Recherchen und Dreharbeiten für eine Fernsehdokumentation über das Landsberger Kriegsverbrecher-Gefängnis („War Criminal Prison Nr. 1“), in dem nach 1945 Krupp, Flick, Wehrmachtgeneräle, NS-Mediziner und SS-Troupiers einsaßen – und mitunter auf ihre Hinrichtung im Innenhof des Gefängnisses warteten. McCarthy hatte sich mit einer Gruppe anderer Senatoren dafür eingesetzt, den Vorwürfen nachzugehen, dass Angehörige der US Army angeblich oder tatsächlich Scheinhinrichtungen und Folterungen an den SS-Gefangenen verübt hatten“, sagt Regisseur Hachmeister.
„McCarthy war damals noch nicht der Star der antikommunistischen Investigationen, sondern ein ziemlich unbekannter Hinterbänkler im Senat, der verzweifelt versuchte, sich einen Namen zu machen. Außerdem hatte er in Wisconsin wohl deutschstämmige Finanzhelfer und Unterstützer, Industrielle mit Namen wie „Harnischfeger“ oder „Sensenbrenner“. Ich begann, mich mit der Biographie McCarthys zu beschäftigen, eines Bauernsohns und Hühnerzüchters, der dann in Rekordzeit seinen High-School-Abschluss nachgeholt und Jura studiert hatte.“
Die meisten stellen sich Joe McCarthy als einen dicklichen älteren Mann vor, der Hollywood-Schauspieler und Regisseure verhört, sich mit Bertolt Brecht anlegt und dem „Ausschuss für unamerikanische Umtriebe“ vorsitzt. All das ist aber falsch.
„McCarthy wurde nur 47 Jahre alt. Er starb 1957 an einem Leberleiden. Er hatte sich in seinen letzten Lebensjahren mit harten Alkoholika zu Tode getrunken. Mit Hollywood, Brecht und dem „House Committee on Unamerican Activities“ (HUAC) hatte er nichts zu tun. Letzteres war dem US-Repräsentantenhaus zugeordnet, McCarthy aber saß seit 1946 für die Republikaner im Senat. Seine ebenso groteske wie pompöse öffentliche Karriere dauerte nur vier Jahre, von 1950 bis 1954. Dann wurde er vom Establishment des Senats wegen unkollegialen Verhaltens gerügt und lebte in seinen letzten Jahren ohne mediale Beachtung vor sich hin. Die Karriere eines amerikanischen Selfmade-Politikers im Kältesten Krieg also, eines Populisten und Journalisten-Darlings, der schließlich selbst in öffentlichen, vom Fernsehen live übertragenen Hearings gestürzt wird. Eines ist ihm allerdings gelungen: „McCarthyismus“ als politischer Code lebt weiter über sein eigentliches Wirken hinaus“, schreibt Lutz Hachmeister im Begleitheft zum Film.
Wie aktuell und heutig seine Spielfilmdokumentation ist, zeigt sich nicht nur Eingeweihten, sondern auch real im Film: Man denke an die „Tea Party“ innerhalb der republikanischen Partei mit ihren Vertretern, allen voran Sarah Palin und Glenn Beck, die immer wieder rechtspopulistisch, pseudoreligiös und auch zuweilen rassistisch daher kommen. Ausschnitte aus US-amerikanischen TV-Sendungen belegen die Parallelen.
Hachmeister drehte in den USA und Deutschland, er konnte auf gerade freigegebenes Archivmaterial zurückgreifen und verbindet die Originalausschnitte, später gemachte Zeitzeugeninterviews mit Spielszenen und aktuellen Interviews. So entstand ein wirkungsvoller Mix aus historischen Eindrücken, persönlichen Standpunkten und wissenschaftlichen Fakten.
Seine verwandten älteren Interviews und aktuelle Gesprächspartner sind namhafte amerikanische Politiker, Führungspersonal aus Verwaltung, Militär, FBI und CIA sowie Journalisten, Professoren, Medienhistoriker und Kulturschaffende: Henry Kissinger, Ex-KGB-General Oleg Kalugin, der Watergate-Aufdecker Carl Bernstein von der Washington Post, Harvard-Professor Leon Kamin, Schriftsteller und Publizist Sol Stein und McCarthys früherer Mitarbeiter und FBI-Agent James Juliana. Letztgenannter sitzt noch heute dem Anschuldigungsgeflecht auf, die amerikanische Regierung unter Dwight D. Eisenhower und die US-Army seien in den späten 1940er- und 50er-Jahren vom sowjetischen Kommunismus infiltriert gewesen.
Für die Spielszenen hat Hachmeister außerordentlich stimmige Schauspieler engagieren können. Der Schotte John Sessions („Gangs of New York“, 2002 / „The Good Sheperd“, 2006) und die südafrikanische Schauspielerin Justine Waddell („The Mystery of Nathalie Wood“, 2004 / „The Fall“, 2006) spielen das Ehepaar Joe und Jean McCarthy. Der Waliser Trystan Gravelle („Anonymous“, 2010 / „Love's Labour's Lost (Globe Theatre Version), 2010), stellt McCarthys wichtigsten Mitarbeiter Roy Cohn dar und James Garnon („Anonymous“, 2010 / „The Last Temptation of Chris“, 2010) spielt des jungen Senator und späteren Vize-Präsidenten Richard Nixon.
Hachmeisters „The Real American“ ist ein farbiges Kaleidoskop, das sowohl im Kino wie insbesondere im Fernsehen funktionieren dürfte. Personen und geschichtliche Zusammenhänge werden erläutert – zwar nicht immer umfangreich genug, aber zumindest ansatzweise – er räumt auf mit Fehleinschätzungen, sich hartnäckig haltenden Unwahrheiten und Erinnerungsverschiebungen. Und was besonders wichtig ist, der Zuschauer erkennt die Manipulationen, plumpen Anschuldigungen, die oftmals nur auf Vermutungen und ohne Beweise in die Öffentlichkeit getragen wurden. Er erkennt, dass ein Angeber Karriere machen wollte und Angst schürte und dazu als einer der ersten Politiker die Medien zielbewusst nutzte. Schicksale hängen an der Person McCarthy und seinen Mitstreitern, Karriereabbrüche und Verleumdungen. Einige der Protagonisten, die in sein Mühlwerk gerieten mussten die USA sogar verlassen, weil sie Beruf und Ruf verloren.
Hachmeister besteht jedoch auch darauf klarzumachen, dass McCarthy kein Monster war, er war bestimmt verblendet und sicherlich manisch und hysterisch in seinem Antikommunismus. Für ihn sind die Menschen der Ostküste zwischen Washington und den New England-Staaten immer noch eher Europäer als wahre Amerikaner: Engländer, Juden und Deutsche und damit drin oder zumindest sehr dicht am Kommunismus. Der inneramerikanische Graben zwischen Kalifornien und „Jew York City“ wird ebenso thematisiert wie der Glauben, dass die „Real Americans“ im Mittleren Westen, Texas und den Südstaaten leben. Irgendwie klingt das sehr bekannt – bis heute!
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(ca. 0.59 Min.) Trailer
The Real American - Joe McCarthy
Ein Film von Lutz Hachmeister
D 2011 – 95 Min.
Kinostart: 12. Januar 2012
Real Fiction Filmverleih
Fotonachweis:
Header: Joe McCarthy (links) mit Mitarbeiter Roy Cohn während eines Hearings (Filmstill)
Galerie:
1. Filmplakat
2. Spielszene; John Sessions und Justine Waddell als Ehepaar Joe und Jean McCarthy.
3. Spielszene; Joe McCarthy mit Mitarbeitern in seinem Büro.
4. Spielszene; Joe McCarthy im Gespräch mit einem Farmer in seiner Heimat Wisconsin.
© Real Fiction Filmverleih
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