„Glanzvolle Ironie, zärtliche Lyrik und ein gehöriger Schuss Bitterkeit”, so charakterisiert Dominik Graf die Sprache des Schriftstellers Erich Kästner, sie prägt sein dreistündiges Leinwand-Epos. Der 68jährige Regisseur inszeniert „Fabian oder Der Gang vor die Hunde” mit der melancholischen Beiläufigkeit des Untergangs.
Die Adaption von Kästners erstmals 1931 veröffentlichtem Klassiker ist eine der schönsten und ungewöhnlichsten deutschen Literaturverfilmungen. Grandios Tom Schilling als Fabian, ein Moralist, der auf den Sieg der Anständigkeit wartet, ohne recht daran zu glauben genauso wenig wie an die Liebe, -bis sie ihn überrumpelt.
Berlin, U-Bahnstation Augsburger Platz oder Heidelberger Platz? Einer jener typisch schmuddelig gelben Züge fährt ein, Fahrgäste in modischer Freizeitkleidung, das Backpack geschultert, steigen aus, strömen Richtung Ausgang. Wir bewegen uns offensichtlich in der Gegenwart, die Kamera fährt den Bahnsteig entlang, die Treppen hoch, ein Plakat als Vorbote des Dritten Reiches, plötzlich sind wir im Zentrum der Hauptstadt Anfang der Dreißiger Jahre und seiner Gründerzeit Architektur. Armut und Arbeitslosigkeit sind vom ersten Moment an präsent, Kriegsinvaliden, die Gesichter entstellt, zerfetzt. Luxus und Elend hautnah beieinander, aber nicht mit opulentem Aufwand in Szene gesetzt wie in „Babylon Berlin”, das funktioniert bei Dominik Graf dezenter, kreativer, überzeugender, authentischer und doch unwirklich wie ein flirrender Traum. Und so wie sich Deutschland nicht heimlich seiner nationalsozialistischen Vergangenheit entledigen kann, drängt sich die Gegenwart immer wieder, wenn auch nur für einen Moment in das Leben von Fabian. Die Kamera nimmt Stolpersteine ins Visier statt sie zu verleugnen, Erinnerung an die kommenden Holocaust Opfer. Als „Tatort”- Kommissarin nahm es Meret Becker mit der ehelichen Treue nicht so genau, ihre erotischen Abenteuer zerstörten die Familie, hier beim Tanz auf dem Vulkan fallen die Tabus, finanziert der reiche Ehemann ihr die Obsessionen. Später nach seinem Tod macht sie aus ihrer Leidenschaft ein Geschäft. Glücklich wird diese Irene Moll trotzdem nie sein, denn einer wie unser Protagonist ist nicht käuflich.
Der promovierte Germanist Jakob Fabian, den alle nur bei seinem Nachnamen nennen, arbeitet als Werbetexter in einer Zigarettenfabrik, Spaß bringt ihm das nicht, aber besser diesen Job als keinen. Und bald ist auch der verloren. Zwar entwickelt er eine brillante Idee für ein Plakat, aber die klaut der Kollege, und unser Protagonist ist kein Kämpfer. Zu gewinnen gibt es eh wenig für Menschen wie ihn, die Wirtschaftskrise verschärft sich, der Rechtsdruck wächst. Kleine Intrigen entscheiden hier oft über Leben und Tod. Eigentlich wollte sich Fabian schon längst ganz der Schriftstellerei widmen, nur scheitert es immer am Geld. Gedanken und Betrachtungen notiert er im kleinen schwarzen Notizheft. Der Erzähler aus dem Off eröffnet uns den Kosmos des Erich Kästner (1899-1974): „Wir sitzen alle im gleichen Zug und reisen quer durch die Zeit. Wir sehen hinaus und sahen genug. Wir fahren alle im gleichen Zug und keiner weiß, wie weit." Fabian ist ein distanzierter Beobachter und zigarettenrauchender pessimistischer Bohemien. Nachts lässt er sich treiben, Unterweltkneipen, Clubs, Kabaretts, Bordelle als Künstlerateliers getarnt, oft zusammen mit seinem besten Freund und Studienkollegen Stephan Labude, (überragend Albrecht Schuch), Sohn aus reichem, sehr reichem Haus, der vertraut auf Kommunismus und Weltrevolution. Seine Habilitationsschrift ist über Lessing, dem Humanisten der Aufklärung, doch nun fehlt ihm der Mut die Arbeit dem Professor vorzulegen.
Während Labude kurz vor der Hochzeit von seiner Verlobten betrogen wird, das Ende der Beziehung und der Beginn unsäglichen Leids, tritt die Liebe unerwartet in Gestalt einer bezaubernden Cornelia Battenberg (Saskia Rosendahl) in das Leben von Fabian, Referendarin in der Rechtsabteilung einer Produktionsfirma: „Sie sah ihn ernst an. „Ich bin kein Engel, mein Herr. Unsre Zeit ist mit Engeln böse. Was sollen wir anfangen? Wenn wir einen Mann liebhaben, liefern wir uns ihm aus. Wir trennen uns von allem, was vorher war, und kommen zu ihm. Da bin ich, sagen wir freundlich lächelnd. Ja, sagt er, da bist du, und kratzt sich hinterm Ohr. Allmächtiger, denkt er, nun habe ich sie auf dem Hals. Leichten Herzens schenken wir ihm, was wir haben. Und er flucht. Die Geschenke sind ihm lästig. Erst flucht er leise, dann flucht er laut. Und wir sind allein wie nie zuvor. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt, und von zwei Männern wurde ich stehengelassen. Stehengelassen wie ein Schirm, den man absichtlich irgendwo vergisst. Stört Sie meine Offenheit?" Der Zufall will es, dass sie in derselben Pension Quartier bezogen haben. Schon so eine Pension ist in diesem Film reich an skurrilen Gestalten und Begegnungen. Das Ende der Weimarer Republik und der Demokratie nähert sich, aber selbst im Angesicht von Katastrophen verliebt es sich ungemein leicht, nur wie die Gefühle heil durch moralisch unsichere Zeiten schmuggeln?
Cornelia will Schauspielerin werden, Karriere machen, nach oben, raus aus der Mittelmäßigkeit. Der einflussreichliche Filmproduzent Markart macht ihr Avancen, verspricht eine Rolle, der Preis für derlei Protektion wie zu erwarten. Die junge pragmatische Frau, eben noch unsterblich verliebt, ist bereit für den Warenaustausch, Liaison gegen Erfolg. Sie versucht Fabian zu überzeugen, in ihrem beidseitigen Interesse zu handeln, als Existenzsicherung und bewusste Karriere Planung. Fabian kann und will mit diesem Arrangement nicht leben. Er verlässt Cornelia, obwohl er weiß, dass er sie noch immer liebt. Am Anfang des Filmes fragt der Protagonist seinen Freund Labude: „Hat die Welt überhaupt Talent zur Anständigkeit?” Das Drehbuch schrieb Graf („Die geliebten Schwestern") zusammen mit Constantin Lieb („Asphalt Gorillas"). Ihre Adaption basiert auf der 2013 erschienenen Urfassung des Romans „Der Gang vor die Hunde”. Aus politischen Gründen schien der Titel 1931 wohl nicht opportun, strebte man doch scheinbar Konstruktiveres an wie ein Tausendjähriges Reich und entschied sich für „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten".
Dominik Graf schreibt über den Film: „Der Gang vor die Hunde”. Das klingt nicht sehr aufmunternd, aber es beinhaltet nicht nur eine gnadenlose Bestandsaufnahme. Kästner erzählt ein Panoptikum seines Berlins der „alltäglichen” Endzwanziger, 1929 oder 1930. Kein pittoreskes Zille-Milieu, auch die politische Aufregung ist bei ihm noch halbwegs im Griff, keine Fritz Lang’sche Unterwelt, keinerlei expressionistische Künstlerbiografien, und kein Funken Glamour nirgendwo. Stattdessen kleinbürgerliche Vielleicht-doch-Künstler-werden-wollen-Träume und großbürgerliche Verzweiflung an nahezu allem. Junge Leute, die zusammen oder allein sitzen, in Wohnungen und Cafés viel trinken und über den möglichen Gang der Liebe in ihrem Leben, sowie über ihre Gefühle ganz allgemein nachdenken, reden.
Die Dialoge- wie immer bei Kästner- lustig, charmant, aber manchmal auch dunkel und traurig, vielleicht auch vorausahnend. Die Orte im Film dazu sind wenig besonders, sie sollten so stimmig wie möglich sein, aber nichts teuer, kostümfilmhaft ausstellen. Man muss gewissermaßen ungestört auf die Figuren und ihre Wendungen und Windungen achten können, dachten wir.
Und die Liebe, die sich bald ankündigt zwischen Fabian und Cornelia, die soll ja trotz aller Widrigkeiten klappen. Aber „zu einer Liebe brauchts ein Geld” ließ schon Marieluise Fleißer ihre Verliebten (1924, „Fegefeuer in Ingolstadt”) sagen. Speziell galt das natürlich immer für junge Leute und ganz speziell in diesen wirtschaftlich katastrophalen Zeiten. Also wird hier zu ungewöhnlichen Maßnahmen gegriffen, was die Erhaltung der Liebeswünsche sichern soll. Zu Maßnahmen, die Gefühle kosten, die Sehnsüchte zerstören, die Misstrauen zwischen den Liebenden säen. Und man endet schließlich wieder in Kneipen oder verkappten Bordellen, die sich „Ateliers” nennen, und die der letztlich dringend notwendigen Selbstzerstörung dienen. Denn man muss ja den zerbrochenen Träumen irgendwie entkommen...
Der einst von den Verlegern „Fabian” genannte Roman hat fast keinen Plot. Na endlich mal, wundervoll dachte ich. Die Zeit, die Liebe, den Verlust erzählen, sonst nichts. Fabian hadert mit sich selbst, er will Schriftsteller sein, stattdessen dichtet er Zigarettenreklame. Auch in der Liebe, die ihn überfällt wie eine Sturmwelle, als er schon nicht mehr daran glaubt, hadert er- mit sich, der Lebenssituation. Skeptisch, klug, ein wenig krittelnd im Alltag, aber liebevoll im Großen und Ganzen...
Wie aus dem Nebel der Zeit auf uns zu schwebend, auftauchend, wieder verschwindend, Gesichter, die ein Wissen über die Vergangenheit vermitteln sollen. Die Menschen sahen anders aus als heute, sie dachten anders, sie sprachen anders. Es ist letztlich aber auch wie in allen Zeiten, wenn die jungen Leute was von einer tollen „neuen Zeit” vorerzählt bekommen, und wenn sie enthusiasmiert durch die Ankündigungen der politischen Impresarios, der Selbstdarsteller und Geschäftemacher- glauben, sie hätten jetzt wirklich eine Chance. Wenn sie glauben, man warte auf sie, man brauche sie. Ja klar, um Kanonenfutter aus ihnen zu machen. Sie hatten den Alptraum eines Krieges hinter sich und den nächsten Krieg vor sich. Ein Film, der nach hoher Literatur gedreht wird- „Der Gang vor die Hunde” war damals schon ein Avantgarde-Roman, ist es noch- so ein Film sollte eigentlich so lang sein, wie es dauert, das Buch zu lesen. Ich habe mir diesmal Mühe gegeben, dieser Maxime nahe zu kommen. Und die Sprache des Romans, dieses so besonderen Autors spüren lassen, das ist fast noch wichtiger als seine Bilder. Nein, Quatsch, aber es ist gleichberechtigt, Wort und Bild habe ich versucht, auszutarieren... Der Schmutz der Bilder, die Hanno Lentz und ich gesucht haben, teilweise in Super gedreht, sollte auch dieser Zeit nahekommen. Die goldenen 20er schimmerten schon nur noch dreckig gelb in den Pfützen, und es ging ums nackte Überleben.”
Der Zuschauer kann sich treiben lassen genau wie der Protagonist es tut. Jede der vielen Begegnungen ist ein kleines Meisterwerk, visuell atemberaubend, ob mit einem Arbeitslosen, den Scham und Hunger gleichermaßen quälen, oder das Tontaubenschießen auf dem Anwesen von Labudes. Fabian hält sich die Ohren zu. Dann später Cornelias Vorsprechen in Babelsberg, als Abschiedsgeschenk hat ihr der Geliebte einen Monolog geschrieben. Eigentlich ein Faustschlag ins Gesicht von Markart, aber der kann nicht zurück, die Verantwortlichen sind begeistert vom Talent der jungen Frau, man hatte das übliche Starlet erwartet bei dieser Form der Protektion. Die Handlung ist leicht abgewandelt, grade das Ende, aber die Sprache bleibt, ihre lyrische Ironie, die Traurigkeit, der Rhythmus. Schon der Roman besitzt die Struktur eines Films, Schnitte, Montagen, das Sittengemälde der Weimarer Republik wird nun im 4:3 Format mit Archivmaterial oder Splitscreen virtuos ausgebaut und choreographiert.
Labude lacht viel und verzweifelt, sucht im Exzess Vergessen, bis ihm die Kraft dazu ausgeht. Er begeht Selbstmord. Auslöser, eine dieser kleinen tödlichen Intrigen. Nachdem er von Fabian gedrängt, endlich die Habilitationsschrift abgegeben hat, erhält er ein Schreiben der Universität mit vernichtendem Urteil. Das scheinbare Ende seiner akademischen Laufbahn. Die Arbeit war brillant. Ein nationalsozialistisch gesinnter Assistent des Professors und hasserfüllter Neider, hatte ihn so ausschalten und demütigen wollen. Fabian reist ab, sucht Zuflucht daheim bei den Eltern. Nun leidet er Höllenqualen in Dresden, wartet auf einen Anruf von Cornelia.
Auf den Litfaßsäulen und Plakaten in Berlin hieß es: „Lernt schwimmen”. Anpassung wird gefordert, sich ein- und unterordnen, wem das nicht gelingt, der geht unter. Fabian aber ertrinkt beim Versuch einen kleinen Jungen zu retten, unser Held kann überhaupt nicht schwimmen, hat einen Herzfehler. Das Kind dagegen erreicht sicher das Ufer. Cornelia wartet derweil in Berlin, wie verabredet im Café, sie wird auch den nächsten Tag wieder auf ihn warten.
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Regie: Dominik Graf
Drehbuch: Dominik Graf, Constantin Lieb
Darsteller: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker, Aljoscha Stadelmann, Michael Wittenborn, Anne Bennent
Produktionsland: Deutschland, 2021
Länge:176 Minuten
Verleih: DCM Film Distribution GmbH
Kinostart: 5. August 2021
Fotos, Pressematerial & Trailer: DCM Film Distribution GmbH
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