Samuel Moaz kreiert mit dem Antikriegsdrama „Foxtrot” einen atemberaubenden ästhetischen Kosmos: zornig, visuell kühn, emotional hochexplosiv, oft grausam, zugleich poetisch und verstörend schön, aber auch absurd komisch. Ein wahres Meisterwerk.
Das menschliche Dasein inszeniert der israelische Regisseur als surrealen Tanz der Ausweglosigkeit zwischen nationalen und persönlichen Traumata, es gibt kein Entrinnen, kein Aufbegehren. Jenes frappierende irrwitzige Wechselspiel von Realität und Symbolik wurde in Venedig mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, Israels Kultusministerin Miri Regev dagegen verurteilte aufs Schärfste den Film, da er ihrer Ansicht nach eine Diffamierung der heimischen Streitkräfte sei.
Tel Aviv. Auf der Klingel ein Finger in Großaufnahme. Zwei Soldaten stehen vor der Tür. Dafna Feldman (Sarah Adler) weiß, was es bedeutet, bricht ohnmächtig zusammen. Ihr Sohn Jonathan ist tot, im Einsatz gefallen, so lautet die Standardformulierung. Michael, ihr Mann (grandios Lior Ashkenazi), ein renommierter Architekt, erstarrt in kalter Wut, unfähig zur Trauer tritt er voller Verzweiflung den Hund, lässt glühend heißes Wasser über seine Hand laufen, will den Schmerz in sich ersticken. Die Kamera zeigt von oben auf die Fliesenornamente des eleganten Luxusapartments. Für einen Moment scheint es, als würde der Boden nachgeben, die Bewohner verschlingen. Fünf Stunden später die Nachricht, Jonathan lebt. Nur eine Verwechslung, beruhigt man die Eltern, Michael rastet aus.
Szenenwechsel: Ein einsamer kafkaesker Grenzposten, die Straße scheint ins Nirgendwo zu führen, nichts als rotbrauner Sand und Matsch. Die Schranke hebt sich, ein Kamel passiert. Langweile, Angst und Ungewissheit quält die vier jungen Soldaten. Einer von ihnen ist Feldmans Sohn Jonathan (Yonatan Shiray). Der Krieg bleibt unsichtbar außer auf dem iPad des Kommandanten. Alle fürchten, dass irgendwann der dreckige verrottete Container, in dem sie hausen, im Morast versinkt. Zu den Vintage-Klängen aus dem Megafon parodiert einer der Kameraden (Itay Exlroad) unter sengender Sonne mit dem Gewehr als Partnerin einen Foxtrott. Der Tanz, der stets dort endet, wo er begann, wird zur Metapher für den Nahost-Konflikt. Regisseur und Autor Samuel Maoz („Lebanon”) jongliert in seinem Albtraum-haften bizarren Dreiakter scharfsinnig virtuos mit den Begriffen von Schuld und Sühne, Fügung und Zufall.
Alles, was um sie herum passiert, hält Jonathan in seinem Skizzenblock fest, den Kumpeln erzählt er nicht ganz ohne Häme, wie der Vater als pubertierender Junge sich einst in das Pin-up-Girl eines Pornomagazins verliebte und es heimlich gegen das unantastbare Familienerbstück und Symbol jüdischer Tradition eintauschte. Meist aber herrscht Schweigen, eine bleierne, dumpfe Sprachlosigkeit, die nur von dem Geräusch der Shooter Games oder einigen faden Witzen unterbrochen wird. Das Essen löffeln die Soldaten lustlos aus Konserven und fragen sich, wofür sie eigentlich kämpfen. Wenn die Kamera (Giora Bejach) über Gegenstände gleitet, sie aus dem Zusammenhang reißt, ist Achtsamkeit gefordert, jedes Detail kann wenig später schon von entscheidender Bedeutung sein. Perspektiven und Wahrnehmung, unsere oft hilflosen, ungelenken Versuche der Interpretation von Bildern, Zeichen, Fakten aus Gegenwart und Vergangenheit entwickeln sich zum subtilen Subtext des Films.
Die Zeit kriecht im Schneckentempo dahin, nur wenn sich ein palästinensisches Auto nähert, entsteht hektische Betriebsamkeit. Die Insassen werden genau kontrolliert, über Computer ihre Daten verifiziert, Schikane inbegriffen. Eine üppige Frau im opulenten Abendkleid lassen die Jungen draußen so lange im strömenden Regen stehen, bis sie sicher sein können, dass deren Abend ruiniert ist. Später erreicht ein Mercedes mit zwei jungen Paaren in ausgelassener Stimmung den Checkpoint. Die Überprüfung bringt keine Verdachtsmomente, aber dann, als der Fahrer Gas geben will, rollt ein Gegenstand aus dem Wagen. Eine Granate, oder doch nur eine harmlose Bierdose? Die aufgestaute Angst entlädt sich in extremer Gewalt, die Schüsse fallen einem Reflex gleich. Der israelische Filmemacher kennt den Horror des Krieges, er war zwanzig, als er während seines Militärdienstes zum ersten Mal einen Menschen tötete.
Ein Bagger beseitigt alle Spuren der Opfer, mit samt dem Wagen und der Wahrheit verschwinden sie im tiefsten anonymen Morast, als hätten sie nie gelebt. Michael Feldman hatte darauf beharrt, dass nach der Verwechslung sein Sohn sofort nach Hause zurückkehrt. Man lässt die Beziehungen spielen, und so steigt Jonathan am nächsten Tag in das Versorgungsfahrzeug Richtung Tel Aviv. Was nun geschieht, entlarvt wie kein anderer Moment des schillernden Triptychons die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz. Im erschütternden dritten Akt von „Foxtrot” schildert der Samuel Maoz, wie die instinktive Erinnerung an den Holocaust die Wahrnehmung der Generationen danach bestimmt. Sie ist stärker als die Gegenwart, erlaubt keinen Anspruch auf eigenen Schmerz, daran zerbricht Jonathans Vater. Auch er kämpfte während seiner Jugend in der Armee, ihn quälen Schuldgefühle, die Freunde damals hatte er nicht schützen können, nun will er wenigstens den Sohn retten und schickt ihn am Ende genau dadurch in den Tod.
Das elegante große Apartment von Michael und Dafna ist kaum wieder zu erkennen, alles scheint wie in Auflösung begriffen, der Luxus dem Chaos gewichen. Das Ehepaar versucht die Cartoons ihres toten Sohnes zu entschlüsseln, starrt auf den Bagger, der das Auto mit den erschossenen Palästinensern versenkt. Symbolisiert er ihr Unvermögen als Eltern? Sie können nicht verstehen, was aus ihrer Liebe und den einstigen Träumen geworden ist. War es das Land mit seiner permanenten Unsicherheit und der Bedrohung von außen, dass ihre Beziehung infizierte und sie einander entfremdete? Obgleich vom Krieg traumatisiert, funktioniert Michael, zumindest vordergründig. Er gehört zur zweiten Generation der Holocaust-Überlebenden, der eingetrichtert wurde, sich nie zu beklagen, da nichts so furchtbar sein kann wie die Erfahrung der Eltern. Dafna konfrontiert ihn mit seiner Schwäche und Scham, bittet ihn inständig, sich und sein Geheimnis zu offenbaren. Er tut es, aber heilen werden seine Wunden nie, Verzweiflung und Trauer bleiben. Es gibt keine Erlösung von der Vergangenheit. Nur ein bisschen Hoffnung. Und auch die nur vielleicht.
In seinem Director’s Statement schreibt Samuel Moaz: „Einstein sagte einmal, Zufall sei Gottes Weg anonym zu bleien. „Foxtrot” ist der Tanz eines Mannes mit seinem Schicksal. Es ist ein philosophisches Gleichnis, dieses vage Konzept, das wir als „Schicksal” bezeichnen, durch eine Geschichte über Vater und Sohn zu dekonstruieren. Sie sind weit entfernt von einander, aber trotz dieser Distanz und der totalen Trennung zwischen ihnen, können sie das Schicksal des jeweils anderen beeinflussen – und natürlich auch ihre eigene Bestimmung. Die Herausforderung, die ich mir selbst stellte, war es, mich mit dieser Kluft zwischen den Dingen, die wir kontrollieren können, und jenen, die außerhalb unsere Kontrolle liegen, zu beschäftigen.
Ich habe mich dazu entschieden, meine Geschichte als klassische griechische Tragödie aufzubauen, in der der Held sich seine eigene Strafe auferlegt und sich allen widersetzt, die ihm helfen wollen. Offensichtlich ist er sich nicht im Klaren, welche Folgen seine Taten haben werden. Andererseits tut er etwas, das richtig und logisch erscheint. Und dies ist der Unterschied zwischen einem beliebigen Zufall und einem Zufall, der wie ein Plan des Schicksal erscheint. Chaos ist unvermeidlich. Die Strafe entspricht der Sünde in exakter Form. In diesem Prozess steckt etwas Klassisches und Zirkuläres. Und außerdem eine Ironie, die schon immer mit dem Schicksal assoziiert wurde. Für mich schien die Struktur einer griechischem Tragödie in drei Sequenzen als ideale Plattform, um meine Idee zu verwirklichen.
Ich wollte eine Geschichte erzählen, die relevant für diese verdrehte Realität sein würde, in der ich- und wir- leben. Eine Geschichte mit einem wichtigen Statement – lokal und universal. Eine Geschichte über zwei Generationen- die zweite Generation von Holocaust-Überlebenden und die dritte Generation- und beide erlebten Traumata während ihres Armeedienstes. Teile dieser endlos traumatischen Situation wurden uns aufgezwungen und teils hätte dies vermieden werden können. Ein Drama über eine Familie, die auseinanderbricht und sich wiedervereint. Ein Konflikt zwischen Liebe und Schuld; Liebe, die extremen emotionalen Schmerz bewältigen muss. Und wie auch schon in meinem Film, „Lebanon”, wollte ich weiter nachforschen, in einer intensiven Weise, die Kritik und Mitgefühl vereint.
Der Film hat eine Einstellung, in der man auf dem Bildschirm eines Laptops eine Traueranzeige erkennt und gleich daneben steht eine Schale mit Orangen. Diese Aufnahme ist die Geschichte meines Landes in vier Worten- Orangen und tote Soldaten.”
Originaltitel Film: Foxtrot (פוֹקְסטְרוֹט)
Regie / Drehbuch: Samuel MaozDarsteller: Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonaton Shiray
Produktionsländer: Frankreich, Israel, Deutschland, Schweiz, 2017
Länge: 113 Minuten
Kinostart: 12. Juli 2018
Verleih: NFP marketing & distribution
Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright NFP marketing & distribution
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