Corinne Wasmuht – „Supraflux“
- Geschrieben von Christel Busch -
Corinne Wasmuht gehört in Deutschland zu den interessantesten Künstlerinnen der zeitgenössischen Moderne: Sie malt Tafelbilder im Stil der Alten Meister.
Ihre großformatigen, teilweise monumentalen Tafeln sind ein Kaleidoskop aus leuchtenden Farben, Linien und Formen, welche die hellen Ausstellungsräume der Kunsthalle zu Kiel zum Strahlen bringen. Tiere, Haare, Architektur und Innenräume, Gesteinsformationen, Landschaften, Flughäfen und Straßenszenen komponiert sie zu collageartigen, simultanen Bilderwelten. Die Ausstellung „Corinne Wasmuht – Supraflux" zeigt Papiercollagen und Tafelbilder aus den Jahren 1989 bis 2013.
Supraflux? Ein Titel, der neugierig macht. Er klingt naturwissenschaftlich. Sind die hohen Geschwindigkeiten unserer digitalisierten Welt gemeint? Das rasante Tempo und die Mobilität dank Auto und Flugzeugen? Die Veränderungen unserer globalisierten Welt? Eine Annäherung.
Corinne Wasmuht, 1964 in Düsseldorf geboren, wächst in Peru und Argentinien auf. Mit 19 Jahren kehrt sie nach Deutschland zurück, studiert an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Alfonso Hüppi und Günther Uecker. Sie widersetzt sich den aktuellen Kunstströmungen von Popart, Fluxus, Jungen Wilden und malt im Stil der Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts. Das heißt, sie verwendet Holztafeln, vorzugsweise Tischlerplatten aus Birke, Pappel oder Fichte, als Bildträger. In akribischer Feinarbeit trägt sie Ölfarben und Lasuren Schicht für Schicht auf, die ihren Farben dann eine intensive Leuchtkraft verleihen. Sie malt Simultanbilder, die bereits bei mittelalterlichen Altarretabeln zitiert werden, kombiniert zeitlich und räumlich getrennte Handlungen, Landschaft oder Architekturelemente. „Die anfängliche Genauigkeit war eine Reaktion auf die damalige Zeit – das Gestische habe ich verachtet, ich war Anti-Klecks", erzählt die Künstlerin. Als Vorlage ihrer Kompositionen dienen Fotografien aus Zeitungen und Magazinen, Katalogen, Illustrationen aus Fachbüchern. Seit 1986 führt sie ein Bildarchiv, das thematisch geordnet und in Kartons verwahrt unzählige Motive enthält – wie viele weiß sie selbst nicht genau. Bei ihren frühen Arbeiten schneidet sie noch Bilder aus, überlagert Bildelemente und Bildebenen zu Collagen, klebt sie auf DIN A4-Papier. Diese Bildvorlagen überträgt sie anschließend auf bis zu vier Meter hohe Tafeln. Der Malprozess ist extrem zeitintensiv. „Wenn ich Pech habe, dauert die Arbeit an dem neuen Bild vier Monate", sagt die an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe lehrende Malerin. Maximal vier Bilder male sie im Jahr.
Die Kunsthalle zu Kiel präsentiert rund 150 Papiercollagen und 19 Tafelbilder. Auf der Empore des Hauses hängen Bildtafeln aus den 90er-Jahren. Während ihrer Studienzeit entsteht „Feuer". In rautenartige Segmente unterteilt, zeigt das Bild einen Teppich aus züngelnden rotgelben Flammen und grauen, verglühenden Holzscheiten. „Linien, Landschaft", in blauen Farbtönen gehaltene Steinformationen, erinnert an die Sedimentschichten von Gesteins- und Erdablagerungen. In „Räume" vernetzt die Künstlerin perspektivische Raumansichten von Kaufhäusern, Bars sowie Hotel-Lobbies und Kinos. Fließende, parallel angeordnete leuchtende Farbstreifen auf Lampen, Fußböden, Decken und Wänden verbinden die einzelnen Innenräume.
Der untere Ausstellungsraum zeigt ihre monumentalen Tafelbilder. Dazu gehört „Mikroskopische Anatomie" von 1994, in dem sie eine Art plastische Landschaft aus verschachtelten histologischen Schnitten, mikroskopische Darstellungen verschiedener Gewebe und Organe, kreiert. In akribischer Detailtreue malt sie Hautschichten, Darmwände, Nervenfasern, Knochen-, Binde- und Muskelgewebe.
Etwa ab 2001 verzichtet die Malerin auf manuell gefertigte Bildvorlagen. Sie benutzt einen Computer und ein Bildbearbeitungsprogramm, sammelt digitale Bilder, die sie dann zu neuen Vorlagecollagen mit bis zu 200 Ebenen arrangiert. Mit der neuen Technik ändert sich die Größe der Bildformate. Ihre Bildmotive findet sie jetzt in Filmen, auf Flughäfen, in Fußgängerzonen. Veränderung und Geschwindigkeit faszinieren sie. Die Gestaltung des Bildraumes wird verschwommener, die Motive stark abstrahiert, Lichtreflexe und Spiegelungen suggerieren Bewegung. Ihr Pinselduktus wird raumgreifender, dynamischer.
Zu diesen ersten Bildern gehört „Gewalt". Als Vorlage dient das Standbild einer Explosion aus dem Hollywoodfilm „Batman“. Tritt der Betrachter etwas zurück, meint er vor der Filmszene mit dem Auto schemenhafte Gestalten zu erkennen, die teilweise verletzt und voller Blut auf dem Boden liegen.
„Ezeiza", benannt nach dem Stadtviertel mit Flughafen in Buenos Aires, thematisiert eine Raumansicht des Airports: eine zentralperspektivisch angelegte Decke der Flughafenhalle, architektonische Raumkonstruktionen, eine Abfertigungshalle mit Passagieren im Bildhintergrund, im unteren Bereich die gemalte Perspektive der Stadt im Landeanflug. Die überlagerten Bildmotive lösen sich auf und verschmelzen zu einer nebulösen Einheit.
„Caleta Los Laureles", mit knapp 250 x 400 Zentimetern eins der größten Exponate, ist eine Stadt an der peruanischen Küste, die 1970 von einem der größten Erdbeben Südamerikas zerstört wurde. Es ist der Ort ihrer Kindheit. Überlagerungen von Fotos der südamerikanischen Landschaft zeigen im oberen Bildraum Häuser, Dächer, Zäune, grüne Gärten, unten Gerüste von Fabrikhallen, eine Straße mit Garagen, über die Ufer getretene Wasserflächen. Die Mitte dominiert eine schwarze Fläche sowie eine zerstörerische Explosion aus farbigen und weißen Strichen.
Höhepunkt der Ausstellung ist Wasmuhts jüngstes Tafelbild „Paine Towers 7" von 2013. Mit knapp zwei Meter Höhe und über sieben Meter Breite erinnert es an das Cinemaxx-Format einer Kinoleinwand. Acht Monate hat sie an dem Bild gemalt. Die Arbeit basiert auf eigenen Digitalfotos von Landschaften, Menschen in Fußgängerzonen, Architekturelementen und dem Eingang des Museums Ludwig in Köln. Am Computer simuliert, verbunden und geschichtet, haben die stark abstrahierten Bildmotive keinen realen Erkennungswert. Farbkreise, die an Umlaufbahnen von Satelliten erinnern, schwirren über die Bildfläche. Oder sind es die Neonbeleuchtungen nächtlicher Städte?
Corinne Wasmuth nutzt das Medium der Malerei, um sich mit den Themen der Veränderung, Vernetzung und Bewegung künstlerisch auseinander zu setzen. Alles ist im Fluss.
Die Ausstellung Corinne Wasmuht „Supraflux“ ist zu sehen bis zum 9. Juni 2014 in der Kunsthalle zu Kiel, Düsternbrooker Weg 1, in 24105 Kiel
Die Öffnungszeiten sind Di–So von 10.00–18.00 Uhr, Mi von 10.00–20.00 Uhr, Mo geschlossen. Führungen: mittwochs 18.00 Uhr und sonntags 11.30/16.00 Uhr.
www.kunsthalle-kiel.de
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Herausgegeben von Anette Hüsch. Texte: Anette Hüsch, Marcus Steinweg, Dörte Zbikowski
80 Seiten, 157 Farbabbildungen
ISBN 978-3-86678-951-7, Kerber Verlag, Bielefeld
Preis: 22,- Euro
Abbildunsgnachweis:
Header: Ausstellungsansicht Corinne Wasmuht. Foto: Christel Busch
Galerie:
01. DFW-CDG, 2010, Öl auf Holz, 279x251 cm, Städtische Galerie Karlsruhe. © Corinne Wasmuht, Petzel Gallery und Johann König, Berlin. Foto: Stefanie Seufert
02. Gewalt, 2001, Öl auf Holz, 227x322 cm, Sammlung Schmeer, Aachen. © Corinne Wasmuht, Petzel Gallery und Johann König, Berlin. Foto: Achim Kukulies
03. Transverse NXL, 2011, Öl auf Holz, 271x254 cm. Kunsthalle zu Kiel, Dauerleihgabe Stifterkreis © Corinne Wasmuht, Petzel Gallery und Johann König, Berlin. Foto: Petzel Gallery und Johann König, Berlin
04. Ausstellungsansicht der Collagen (1986-2001) von Corinne Wasmuht. Foto: Christel Busch
05. Räume, 1996, Öl auf Holz, 218x196 cm. Sammlung Rheingold © Corinne Wasmuht, Petzel Gallery und Johann König, Berlin. Foto: Nic Tenwiggenhorn
06. Menschen im Kunstlicht, 1999, Öl auf Holz, 177x155 cm. Sammlung Rheingold © Corinne Wasmuht, Petzel Gallery und Johann König, Berlin. Foto: Nic Tenwiggenhorn
07. Corinne Wasmuht beim Pressegespräch in der Kunsthalle zu Kiel. Foto: Christel Busch.
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