Bildende Kunst
Paul Klee - Engel - Hamburger Kunsthalle

Ein jüdisches Sprichwort sagt, dass man erst dann weiß, ob man einem Engel ins Gesicht gesehen hat, wenn er wieder gegangen ist.
Es stammt aus der Zeit, als Engel noch Autoritätspersonen waren, männliche wohlgemerkt, die kamen um zu verkünden, zu richten oder zu rächen. „Die Engel“ von Paul Klee in der Hamburger Kunsthalle sind weder Racheengel noch Schutzengel. Es sind vielmehr Kobolde, Geister, Zwitterwesen, so zart, klein, verloren oder verschmitzt, dass man sie am liebsten in den Arm nehmen möchte, um sie vor der Welt und allem Unbill zu behüten.

Es war sicher kein Zufall, dass die Engel-Schau punktgenau zum Hamburger Kirchentag eröffnete. Die Besucher des Kirchentags waren prädestiniert für himmlische Geschöpfe aller Art. Nun ist der Kirchentag vorbei und die Ausstellung im Hubertus-Wald-Forum erweist sich immer noch als Publikumsmagnet. Erstaunlich, wie viele Menschen die rund 80 Zeichnungen, Pastelle und Aquarelle sehen wollen, die sicher nicht zu den Hauptwerken zählen und nur von wenigen Gemälden ergänzt werden. Vielleicht ist unsere Zeit ja wieder reif für Engel. Für eine spirituelle Kraft, die ein Gegengewicht zu unserer materialistischen Welt bildet und die für andere Werte steht, als Geld und Macht.

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Paul Klee (1879-1940), der Maler mit dem Kinderherzen, zeichnete seinen ersten Engel mit fünf Jahren, im Profil mit Lichterkranz vor dem Weihnachtsbaum. Eine Szene, die unwillkürlich zum Schmunzeln reizt, denn dieser Engel ist kein Verkündigungsengel, sondern vielmehr ein Engelkind, das vor dem Weihnachtsbaum kniet und auf Gaben wartet. Was auch sonst? Kinder haben im Allgemeinen ein recht pragmatisches und unkompliziertes Verhältnis zu den unsichtbaren Wesen in Menschengestalt, von denen die Bibel, wie auch zahlreiche Märchen und Sagen erzählen. Dieses Verhältnis verliert sich meist im Erwachsenenalter, doch nicht so bei Klee. Der in Bern geborene Maler mit deutschem Pass hielt den Himmelsboten sein Leben lang die Treue, ohne dass man daraus ein Glaubensbekenntnis ableiten könnte. Und sie blieben im Großen und Ganzen sehr menschlich: „Bei den Engeln“, so notierte Klee, „ist alles wie bei uns, nur englisch.“ Dieser feine Humor, die Lust am Wortwitz und an doppelbödiger Ironie charakterisiert auch die Darstellungen. Mit moralischen Kategorien wie „gut“ und „böse“ kommt man Klees geflügelten Geschöpfen nicht bei. Gefallene Engel wie Luzifer, der diabolische „Chrindlifrässer“ oder das Ungeheuer Leviathan, das ebenfalls mit dem Teufel in Verbindung gebracht wird, gehören bei ihm ebenso zur Engelschar, wie das „christliche Gespenst“ und der vorwitzige „Schellen-Engel“, der Bezug auf die Schweizer Fastnacht nimmt.

Klees Engel sind ambivalent. Sie stehen nicht über den Menschen, sie stehen vielmehr neben ihnen - in einer Parallelwelt, die „Das Geistige in der Kunst“ (Kandinsky) auf eine federleicht-spielerische, zum Teil aber auch melancholisch-düstere Art vor Augen führt. Nicht von ungefähr häufen sich Klees Engel in Krisenzeiten. Nach dem 1. Weltkrieg, vor allem aber vor Ausbruch und während des 2. Weltkrieges verkörpern sie seine Gemütslage, die schwierige Situation als „entarteter Künstler“ , sowie die Sorge um die Zukunft Europas. „Der Engel und die Bescherung“ von 1939 beispielsweise lässt sich durchaus als Metapher für das untergehende Nazi-Deutschland deuten. Dieses aufgescheuchte Wesen, das mit hocherhobenen Flügeln und zu Berge stehenden Haaren neben einem Ornament aus Wappen-Emblem und kleinteiligen (Schach?)Figuren zu sehen ist, scheint vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Und wann jemals sah man einen Engel, der so viel Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck brachte, wie „armer Engel“ von 1939?

In Klees letzten beiden Schaffensjahren 1939 und 1940 rücken die Engel immer stärker in den Fokus. Sie halten für alles her, was den nunmehr 60jährigen bewegt: Die politische Lage, der nahe Tod und die Beschäftigung mit dem Jenseits. Aber auch die kleinen alltäglichen Schwächen und Gebrechen des Alters, über die er sich lustig macht: Da gibt es den „altklugen“ Engel, den „vergesslichen“ Engel und den „Engel in der Krise“. Nicht zu vergessen das geflügelte Wesen „im Vorzimmer der Engelschaft“: Es braucht gar nicht viel Fantasie, um diesen Engel-Anwärter als Selbstporträt auszumachen.

„Paul Klee. Engel“, bis 7. Juli 2013, Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Die Ausstellung wird ergänzt durch eine Präsentation von Engel-Werken aus dem Bestand der Hamburger Kunsthalle.

Fotonachweis: Alle © Zentrum Paul Klee, Bern
Header Detail aus Paul Klee (1879-1940) Sturz, 1933, 46, Pinsel auf Papier auf Karton, 31,3/31,6 x 47,5 cm.
Galerie:
01. Engel, noch weiblich, 1939, 1016, Kreide auf Grundierung auf Papier auf Karton, 41,7 x 29,4 cm
02. Engel vom Stern, 1939, 1050, Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier auf Karton, 61,8 x 46,2 cm
03. Daemonie, 1939, 897, Aquarell, Tempera und Bleistift auf Grundierung auf Papier auf Karton. 20,9 x 32,8 cm. © Zentrum Paul Klee, Bern
04. Hoher Wächter, 1940, 257, Wachsfarbe auf Leinwand, 70 x 50 cm
05. Engel, noch tastend, 1939, 1193, Kreide, Kleisterfarbe und Aquarell auf Papier auf Karton, 29,4 x 20,8 cm. Dauerleihgabe, Privatbesitz Schweiz
06. Ohne Titel (Letztes Stilleben), 1940, Werknummer nicht vorhanden Ölfarbe auf Leinwand,, 100 x 80,5 cm. Schenkung Livia Klee
07. mehr Vogel, 1939, 939, Bleistift auf Papier auf Karton, 21 x 29,5 cm

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