Egle Otto, Marcel Petry: „Geänderte Dialektik“
- Geschrieben von Claus Friede -
Die Kunst der Gesprächsführung, der Unterredung steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Geänderte Dialektik“.
Der Titel verweist auf eine aktiv betriebene Veränderung, um zu einer wie auch immer gearteten Wahrheitsfindung zu gelangen. Wenn sich die rhetorischen Stil- und Analysemittel verändern, so ändern sich immer auch die Gesprächsprozesse sowie deren Ergebnisse. Das gilt für die interne künstlerische Kommunikation ebenso, wie für die Gegenüberstellung und den Dialog mit Werken anderer Künstler, als auch mit dem Betrachter.
Egle Otto und Marcel Petry sind beide junge Künstler, die uns einerseits durch bestimmte Inhalte und Motive scheinbar kommunikativ einbeziehen, andererseits merken wir Betrachter jedoch bald, dass dem gar nicht so ist.
Auch wenn die beiden herbeizitierten künstlerischen Bezugsamen Sigmar Polke und Martin Kippenberger im ersten Moment zu groß wirken, so wehen diese doch durch die Ausstellung. Gemeinsam ist den genannten und ausstellenden Künstlern nämlich die Tatsache, dass Rezeptionsstrukturen und Interpretationsgewohnheiten aufgebrochen werden, während die Sehgewohnheiten nahezu unberührt belassen.
Vielmehr muss der Betrachter der Devise folgen: „Vertraue nicht darauf, was Du sieht, es steckt etwas anderes dahinter“. Wir müssen unsere Annäherungsversuche an die Kunst von Egle Otto und Marcel Petry überdenken. Die Ausstellung untersucht anhand zweier unterschiedlicher Positionen diese Veränderungen von Kommunikation und versucht durch eine ungeheuer reichhaltige, variantenreiche und teils verwirrende Motiv- und Themenvielfalt dem „dahinter“ auf den Grund zu gehen. Malerei wird in dieser Ausstellung in erster Linie zum Erkenntnisinstrument einer nicht visualisierten Welt und zusätzlich einer kunstinternen Auseinandersetzung. Die Frage was Malerei heute noch kann, ist eine sich selbst Reproduzierende.
Änderung der Gesprächsführung
Die in Litauen geborene Egle Otto kam 1986 nach Deutschland. Dass sie ihre Heimat nie ganz vergessen hat, zeigt sich daran, dass sie zunächst an der Kunstakademie in Vilnius ihr Studium aufnahm, bevor sie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ihren Diplomabschluss absolvierte. Sie studierte bei sehr unterschiedlichen Künstlertypen, die inhaltlich und formal ein großes Spektrum
bieten: Norbert Schwontkowski, Werner Büttner, Dirk Skreber, Andrea Tippel und Anselm Reyle.
Eine gemeinsame Position in den Werken so verschiedener Künstler zu finden ist kaum möglich. Ich kann mir vorstellen, wie unterschiedlich die Lehre gewesen sein mag und mit welchen gegensätzlichen und teilweise unbefriedigenden Argumenten Egle Otto während ihres Studiums zu tun hatte! Wie geht eine junge Studentin damit um? Wie findet sie eine eigene Position? Welche individuelle
Auseinandersetzung mit Malerei war und ist noch für sie möglich? Und welche künstlerische Haltung kann sich formen in einer Zeit in der die Inhalte von Malerei scheinbar austauschbarer sind denn je? Dieser Fragencocktail hilft bei der Annäherung an die Arbeiten von Egle Otto ungemein, denn von Beginn an geht es um die Frage der Haltung.
Schon früh fiel der Kuratorin Wiebke Gronemeyer auf, worauf das Werk der Künstlerin fokussiert. Sie schreibt in einem kurzen Text aus dem Jahr 2010, dass es Egle Otto um die Suche nach dem Motiv geht. Darin und nur darin sei die Bedeutung zu finden. Somit geht die Künstlerin der Frage nach, „was ein Motiv eigentlich erst zu einem Motiv werden lässt, das im Hier und Jetzt von Relevanz ist.
Lediglich diesen Anspruch lasse die Künstlerin als ihre Motivation gelten, Kunst zu machen.“
Auf den ersten Blick wirken viele Bildwerke Ottos schnell und leicht codierbar, malerisch professionell, farblich und kompositorisch trainiert – der Betrachter sieht Landschaften, Blüten und Blumen, Stadt- und Architekturszenen, Figuren und Gestalten, Interieurs, Räume und eine Auswahl an kunsthistorischen Referenzen, wie zum Beispiel Heiligenscheine. Insofern die Wahl der Motive willkürlich scheint,
sprechen die Bilder an und für sich eine deutliche Sprache. Die Willkür hat aber System. Die Austauschbarkeit und die Bandbreite dessen, was wir motivisch sehen, spielt offensichtlich gar nicht die entscheidende Rolle, sie sind im Grunde saltatorische und nicht miteinander verbundene Einzelbetrachtungen.
Bildverbindend sind oftmals lediglich abstrakte und geometrische Einzelelemente, die Egle Otto in vielen ihrer Bilder so einsetzt, dass sie fremd, künstlich und unwirklich im Hauptmotiv erscheinen. Stil trifft Stil, figürliche Darstellung prallt auf expressiven Farbraum, steht neben- oder voreinander ohne sich wirklich verbinden zu können. Es sind die vermeintlichen Nebenschauplätze, häufig die Bildränder oder -titel, die die mutmaßliche Szenerie erst aufbrechen, Fragen provozieren und uns klar machen, dass das Bild eine Art Surrogat sein muss für etwas nicht Sichtbares. Egle Otto geht es in ihren Bildern viel mehr um Grundsätzliches und Hintergründiges als um Erkennbarkeit. Die Beziehungen zwischen Motiven und Betrachter stehen in gegenseitig abhängigen Verhältnissen und lassen sich nur dann verstehen, wenn man anfängt, an dem zu zweifeln, was man sieht. Ist wirklich das gemeint, was mir motivisch auf der Leinwand suggeriert werden soll? Erst im Zusammenhang vieler unterschiedlicher Bilder wird die Systematik des Zweifels am Sichtbaren, die den Bildern der Künstlerin zu Grunde liegt, erkennbar.
Egle Otto geht sowohl künstlerisch, als auch didaktisch subtil und spitzfindig vor. Sie bleibt immer in einem ästhetischen Grundgefühl des Wohlklangs, der eben erst bei genauer und zusammenhängender Betrachtung ausgehebelt wird.
Die Künstlerin hinterfragt die Malerei mit all ihren gelernten Ausdrucksformen und erlernten Stilmitteln. Sie verankert ihre Motivsuche in klassischen Sujets der Kunst per se: Landschaft, Pflanzen, Tier- und Menschengestalt sowie spirituelle bis religiös wirkende Anschauungen. Sie hinterfragt aber in der Vielzahl der teilweise gegensätzlichen Motive die Existenz von Wirklichkeit, um irgendwann zu einer befreiten Wahrheit zu gelangen. Sie baut Bilder, deren Bestimmung in keiner Allgemeingültigkeit mehr verfestigt sind und lediglich Gedankennetzwerke anbieten. Damit kommt man zum Grundverständnis ihrer Malerei: es gibt keine allgemeingütige, sondern höchstens individuelle Wahrheiten – im Plural. Es gibt lediglich Interpretations- und Assoziationsräume und – eine geänderte Dialektik.
Bilder kunstvoller Täuschung
Marcel Petrys Werke sind vielschichtig, rätselhaft, kühl und sachlich distanziert, faszinierend, eigenwillig, real und imaginär zugleich. Viele Motive sind häuslicher Natur. Ein ganzer Fächer an Adjektiven und teilweise Gegensätzen ist für die Annäherung an die Arbeiten notwendig.
Zunächst erscheinen die Bildwerke für den Betrachter aus semantischen und narrativen Elementen zu bestehen, als wollten sie uns, über einen kurzen malerisch festgehaltenen Moment, vollständige Geschichten erzählen. Es müssen Alltagssituationen sein. Durchgängig sind allerdings nur wenige Zusammenhänge wirklich sichtbar gemacht: Stile von Ambiente, immer wieder auftauchende Gegenstände, Lichtnuancen und Farbtemperatur sowie scheinbar gleichwertige und belanglose Situationen. Anfangs glauben wir, wir wären selbstverständlich eingebundene Zeugen eines bestimmten Geschehens und wissen genau was da vor uns abläuft. Doch schon nach kurzer Zeit merken wir, dass dem gar nicht so ist und wir eigentlich gar nichts wissen. Nicht allein, dass allen Bildern eine gewisse Unbehaglichkeit und eine indifferenten Gefahr ausstrahlen, sondern es entsteht auch das Gefühl Täuschungen zu erliegen. Auf unterschiedliche Weise wird uns dies vom Künstler vermittelt: eine dunkle Gestalt, ein Affenwesen in menschlichem Umfeld, eine eigenwillige, kontextfreie Übermalung, Konstruktion und Motivadditionen. In vielen Bildern Petrys gibt es malerische Eingriffe in die vermeintliche Handlung, die die Realitätsebene aufbrechen, die einen Eindruck des Unwirklichen stärken. Sie stehen vor der Leinwand, haben keinen räumlichen Bezug, wirken eher wie Ausbesserungen, verdecken oder rahmen ein, sind Projektionen, Traumbilder oder regelrecht Visionen. Versatzstücke sind fragmentarisch zusammengefügt. Der Künstler tut so, als kommuniziere er mit uns auf sehr direkte Weise, entreißt uns aber die Grundlagen der direkten Teilnahme. Die offerierte Dialektik wird absurd. Wir sind angewiesen auf unsere Assoziationen, Gefühle und Interpretationen. Eine Gesprächsführung ist auch deshalb kaum möglich, weil der Künstler zwischen Dokument und eigener poetischer Kommentierung oszilliert. In uns wächst die Unfähigkeit, die Bildsprache, den Inhalt, die Situationen einschätzen zu können.
Marcel Petry zeigt uns Augenblicke, deren Geschichte wir nicht wirklich kennen. Seine Momente sind so gewählt, dass sie weder codierbar, noch rekonstruierbar sind und rätselhaft bleiben. Alles entzieht sich unserem Zugriff. Also doch keine Realität?
Vielleicht ähnlich der täuschenden Realität eines Films? Ein inszeniertes Filmset möglicherweise?
Verbindet der Künstler erkenntnistheoretische Fragen nach Wahrheitsgehalt und Lüge mit der Kunst? Beide Seiten, die Täuschung und die Kunst, verführen und sind trügerisch, faszinieren und ängstigen simultan.
Film und Performance sind jedoch durchaus Inspiration für den Künstler. In einem weiteren, unabhängigen Werkkomplex verbindet Marcel Petry Fremdhandlungen und eigenes künstlerisches Konzentrat miteinander. So basiert eine Serie von 56 schwarz-weiß-grau gehaltenen Aquarellen auf einem ägyptischen Dokumentarfilm einer musikalischen Performance aus dem Jahr 1966. „Al Atlal“ (Die Ruinen), so der Doku-Titel, entstammt ursprünglich einem Gedicht des namhaften ägyptischen Lyrikers Ibrahim Nagi (1898-1953), das dieser der ebenfalls ägyptischen Sängerin Oum Kalsoum (1904-1975) widmete. Erst dreizehn Jahre nach Nagis Tod kam es zur Aufführung und filmischen Dokumentation des nun vertonten Stücks mit Orchester.
Die 50-minütige Originalaufführung ist als Filmdokument ausschließlich aus zwei Kamera- und Tonperspektiven, aus weiter Entfernung und unter Live-Bedingungen aufgenommen worden und entsprechend bildlich wie klanglich qualitativ mangelhaft. Der Fokus – sowohl in der Dokumentation wie in der künstlerischen Arbeit von Petry – liegt vielmehr auf der Inszenierung der Sängerin Oum Kalsoum, die in den 1950er- und 1960er-Jahren in der arabischen Welt zu den berühmtesten Musikerinnen gehörte. Mit wenigen Gesten, einem Tuch in der Hand intoniert sie zum Entzücken des Publikums die Verse Nagis. Inhaltlich beschäftigt sich das Stück mit dem Phänomen der Vergänglichkeit: der Liebe und der Schönheit, die am Ende lediglich als Erinnerungsgerüst, als Ruine verbleibt. Die Verse leiten den Zuhörer in Momente des Entstehens und Vergehens. Dieses romantische Motiv, das wir im Abendland ebenfalls aus der Literatur, Kunst, Architektur und Musik kennen, bildet eine imaginäre Brücke zu dem Aquarellen Petrys.
Er hat in mehreren Schritten versucht, dem öffentlich zugänglichen Material alles an Information abzutrotzen, was möglich war. Er aquarellierte auf kleinformatigen Blättern tagebuchartig Close-Ups, die in der Reihung wie ein Storyboard wirken. Die lasierende, etwas verschwommene Ästhetik der Aquarellmalerei scheint für ihn das beste Pendant zum Originalmaterial sein. Seine Arbeit setzt das Gedicht und Musikstück in einzelne eigenständige Bildfragmente um und versucht in der Serie, jene magischen Momente zu teilen, die die Live-Performance gehabt haben muss.
Die Ausstellung „Geänderte Dialektik“ mit Werken von Egle Otto und Marcel Petry ist zu sehen vom 21. Februar bis 28. April 2013 im Kunstforum Markert, Droopweg 31, in 22 Hamburg. Weitere Informationen unter: www.kunstforum-markert.de
Fotonachweis:
Header: Detail aus Egle Otto: Bild 8 aus der Serie: „Die kosmische Wirkung durch die Entgrenzung des Bildraums“, 2011, Öl auf Leinwand, 200x250 cm
Galerie:
01. Ausstellungsplakat (Motiv: Marcel Petry; o.T., 2012, 70 x 51cm)
02. Egle Otto: Bild 10 aus der Serie: „Arkadien“, 2012, Öl auf Leinwand, 90x70 cm
03. Egle Otto: „Etwas“, 2011, Öl auf Leinwand, 26x26 cm
04. Egle Otto: „Die kosmische Wirkung durch die Entgrenzung des Bildraums“, 2009, Öl auf Leinwand, 70x50 cm
05. und 06. Egle Otto: Botticelli, Giotto, Grünewald, da Vinci, Dürer, Mantegna, Rossetti, Ensor, Parmigianino, Lippi, Raffael, van der Weyden, Ingres, Ernst, 2012, Öl auf Leinwand, 130x107 cm
07. und 08. Egle Otto: 2006 - 2007, Graphit und Ölkreide auf Papier, 15x21 cm
09. Marcel Petry: o. T. 2012, Acryl auf Leinwand, 37 x 40 cm
10. Marcel Petry: o. T. 2012, Acryl auf Leinwand, 56 x 47 cm
11. Marcel Petry: "TAVIBO", 2013, Acryl auf Leinwand, 120 x 90 cm
12. Marcel Petry: o.T. 2012, Acryl/Öl auf Leinwand, 120 x 90 cm
13. Marcel Petry: o.T. 2013, Acryl auf Leinwand, 120 x 90 cm
14. bis 16. Marcel Petry: „OUM, 2011-2012, 54 Aquarelle, zwischen 12x16cm und 14x17cm.
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