Jan Vermeer – rätselhaft, meisterlich und bis heute eigen
- Geschrieben von Claus Friede -
Der Kunsthistoriker und Maler Hajo Düchting hat sich in einem neu erschienenen Buch, einem der bis heute beliebtesten niederländischen Maler gewidmet: Jan Vermeer.
Der Buchtitel "Jan Vermeer und seine Zeit" klingt zwar etwas trocken und eher nach einer dieser Rundum-Ausstellungen, aber bereits beim Vorwort spürt man schon wie interessant und vielschichtig das Buch ist. In sechs Kapiteln geht der Autor verschiedenen Themen und synchronoptischen Betrachtungen nach, mischt Text und Bildbeispiele – auch anderer Maler – und setzt überzeugend alles miteinander in Beziehung. Da es kaum einen Maler gibt, der seiner Nachwelt so viele Rätsel aufgegeben hat wie Vermeer, scheint jede neue Publikation über ihn vielversprechend und bereichernd zu sein. Vermeers Leben, seine Gedankenwelt sind noch immer im Dunklen und sein, mit 34 bis 37 gezähltem Werk (die Zahlen schwanken in der Literatur und die Werke sind meist undatiert und unsigniert) ist gering und daher nicht wirklich triefgreifend und umfassend deutbar.
Zwar kann man durchaus auf Grund der Bildwerke konkrete Aussagen machen – gerade in Hinblick und in Gegenüberstellung auf die zeitgenössischen Maler und Genres seiner Ära, dennoch blühen Vermutungen und Interpretationsversuche, was die geheimnisvolle Schönheit seiner Bilder und der gemalten Interieurs, Accessoires und Protagonisten angeht.
Hajo Düchting beleuchtet, auch für Nicht-Kunsthistoriker, in „Jan Vermeer und seine Zeit“ das Umfeld, seine Zeitgenossen, die holländische Genremalerei, das Leben und den Alltag im sogenannten Goldenen Zeitalter der Niederlande, nach der Befreiung von der spanischen Herrschaft. Er spannt nachvollziehbar Fäden zwischen Musik und Kunst, Poesie und Malerei, zwischen Lebenswirklichkeit, teilweise stumpfsinnigem Alltag und Sehnsüchten von Liebe und einem besseren Leben.
Vermeer unterscheidet sich deutlich von seinen Zeitgenossen, denn seine Bilder sind voller Wärme und liebevoller Ausstrahlung, hält Düchting fest. Er beschreibt den Maler ausgiebig als zugewandten Menschen, der sich grundsätzlich seinem Thema und den im Werk Abgebildeten voll und ganz und konzentriert widmet. So erscheint denn auch die „Spitzenklöpplerin“ als ein Sinnbild dafür, weil Vermeer nicht die Arbeit an sich oder Detail verliebt an Accessoires kleben bleibt, sondern ganz die Frau und deren Konzentration und Natürlichkeit in den Mittelpunkt rückt. Dies zieht sich wie ein Strang durch das überschaubare Werk. Dass Düchting nicht nur ein Interesse an kulturell-historischen und religiösen Bezügen hat, sondern auch an Aktualität, wird dem Leser insbesondere dann klar, wenn es um menschliche Gefühle, Privatheit und Intimität geht. Die Versuchungen der Liebe, die Momente des berührt Seins hat Vermeer in einer zeitlosen und bis heute ansprechenden und unvergleichlichen Schönheit dargestellt. Keine Verklärung, vielmehr Natürlichkeit ist die sichtbare Maxime des Malers.
Im letzten Kapitel „Vergessen und wiederentdeckt“ geht der Autor anschaulich auf Vermeers Kunst im Wandel der Zeit ein, unsichere Zuschreibungen sind ebenso im Fokus, wie Fälschungen. Jan Vermeers Werk gleitet im 18. Jahrhundert kurz vor das Vergessen ab, findet kaum nennenswerte Erwähnung in den einschlägigen Standwerken über Malerei. Selbst der damals bekannte belgische Künstlerkollege Gerard de Lairesse bezeichnet ihn in seinem „Grand Livre des peintres (Het Groot Schilderboek)“, aus dem Jahr 1707, als Perspektivisten. Danach wurde es dann laut Düchting noch schlimmer; man übermalte Bilder von Vermeer oder beschnitt die Leinwand, damit das Bild in einen bereits vorhandenen Rahmen passt.
Es dauerte ein weiteres Jahrhundert, um ihn wieder einen gebührenden Platz in der Welt der Malerei zuzuweisen. Niederländische Kollegen entdeckten und bewerteten sein Werk neu und bezeichneten ihn sodann als „Tizian der holländischen Malerei“. Die Nachfrage nach Vermeers Bildern stieg langsam an und förderte gleichzeitig die Plage der Fälschungen: Wie ein Krimi liest sich dann auch der Abschnitt über die berühmtesten Vermeer-Fälscher im 20. Jahrhundert.
Was bleibt ist der Zauber der Bilder, das unbeschreibliche klare Licht, die liebevollen Details und die unglaublich sympathische Menschlichkeit.
Kurzbeschreibung:
Jan Vermeer van Delft gehört mit Franz Hals und Rembrandt zu den wichtigsten holländischen Künstlern des 17. Jahrhunderts. Seine präzisen Beobachtungen vor allem von Menschen in ihren Interieurs, erfassen das bürgerliche Milieu der nördlichen Niederlande. Der Umfang seines Gesamtwerkes ist sehr klein, wobei aus alten Auktionsaufzeichnungen weitere Titel überliefert sind. Vermeers Genrebilder zählen zu den Höhepunkten der Malereigeschichte.
Belser, 17 x 22 cm, 144 Seiten, 60 farbige Abb. ISBN: 978-3-7630-2583-1
Abbildungen:
Header: Detail aus „Ansicht von Delft“, ca. 1660/61, Öl auf Leinwand, 96,5 x 115,5 cm, Königliche Gemäldegalerie Mauritshuis
Galerie:
1. Buchcover: Jan Vermeer und seine Zeit. Von Hajo Düchting, Stuttgart 2011
2. „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“, um 1665, Öl auf Leinwand, 45 × 40 cm, Mauritshuis, Den Haag
3. „Straße in Delft“, 1657/1658, Öl auf Leinwand, 54,3 × 44 cm, Rijksmuseum, Amsterdam
4. „Die Spitzenklöpplerin“, etwa 1664, Öl auf Leinwand, 24 × 21 cm, Musée Louvre, Paris
5. „Die Musikstunde“ (Herr und Dame am Virginal), 1662-65, Öl auf Leinwand, 74,6 × 64,1 cm, Royal Collection im Buckingham Palace, London
6. „Dame mit Dienstmagd und Brief“, 1667/1668, Öl auf Leinwand, 89,5 × 78,1 cm, Frick Collection, New York
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