Der Maler Auguste Herbin (1882-1960) gehört zu den wichtigsten Künstlern der Moderne. Auch wenn sein Name nicht in vorderster Reihe genannt wird, so hatte er eine aktive Rolle an den kreativen Umbrüchen des frühen 20. Jahrhunderts inne.
Der Mann, der aus der Grenzregion zu Belgien stammte, lebte ab 1909 achtzehn Jahre lang im Bateau-Lavoir[1] auf dem Montmartre, war mit Pablo Picasso, Juan Gris und Amedeo Modigliani befreundet. Paris war und blieb zeitlebens sein künstlerisches Zentrum.
Das Musée de Montmartre Jardins Renoir ist das erste Museum in Paris, das von März bis September 2024 Auguste Herbin eine Retrospektive widmet.
Die Ausstellung fokussiert – mit oftmals unveröffentlichten Werken – die sieben Schaffensperioden des Malers: Postimpressionismus, Fauvismus, Kubismus, Monumentalobjekte, Neue Figuration, erste und zweite Abstraktion. Herbin findet, auch durch diese umfangreiche Ausstellung, seinen rechtmäßigen Platz in der Geschichte der modernen Kunst wieder: ein Entdeckungstour durch jede seiner durchlaufenen Schaffensperioden.
Auguste Herbin wurde von den größten Kunsthändlern des 20. Jahrhunderts entdeckt und war auf fast allen damaligen Ausstellungen vertreten, die die Geschichte der Avantgarde geprägt haben. Im Jahre 1916 schloss er einen Vertrag mit der Galerie Léonce Rosenberg in Paris. Dort hatte er in den Jahren 1918, 1921 ausgestellt. Aber auch international wurde er vertreten, von den deutschen Kunsthändlern und Sammlern Wilhelm Uhde (1874-1947) und Henry B. Simms (1861-1922) bis hin zu den russischen Avandgarde-Sammlern Sergej Schtschukin (1854-1936) und Iwan Morosow (1871-1921)[2].
Auguste Herbin: Le pont, 1910, Öl auf Leinwand, 33x46cm. Privatsammlung.
Herbin wurde zu dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in ganz Europa ausgestellt. Ab 1905 gehörte er zu den ersten fauvistischen Malern. Im Salon des Indépendants von 1908 zeigt er erste kubistische Werke. Ab 1913 hatte er bereits eine internationale Karriere hinter sich, die von der französischen und ausländischen Kritik beachtet wurde. Seine Reliefs und monumentalen Objekte der 1920er Jahre haben in Frankreich keine Entsprechung, reihen ihn aber in eine internationale Avantgarde ein; die des Konstruktivismus und des Neoplastizismus. Seine Arbeiten sind im ikonischen Katalog der Ausstellung „Cubism and Abstract Art"[3] von 1936 im damals gerade neu gegründeten Museum of Modern Art in New York vertreten.
Nach einer einzigartigen Entwicklung in Sachen fauvistischer und kubistischer Kunst veränderte Herbin seinen Malstil mit einer Kehrtwendung zur sogenannten „Rückkehr zur Ordnung". Im Frankreich der Zwischenkriegszeit wurde Auguste Herbin zum Pionier und Förderer einer reinen Abstraktion, die sowohl von Menschlichkeit als auch einer außergewöhnlicher Klarheit geprägt war. Sein Einfluss auf das künstlerische Schaffen nimmt dadurch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Frankreich deutlich zu. Seine letzte Bildsprache besteht aus einem plastischen Alphabet, das er um 1942 entwickelt, einem radikal gegenstandsfreien Esperanto, das ihm hilft, seine souveräne Freiheit zu behaupten. Er wurde zu einem Mentor für die zukünftigen Meister der geometrischen Abstraktion sowie der Op-Art in Europa und Nordamerika.
Auguste Herbin: Bouche, 1943, Öl auf Leinwand, 73x100cm. Courtesy Galerie Martin Suppan, Wien
Die Retrospektive geht weit über die entscheidenden Montmartre-Jahre des Malers hinausgehen, zeigt umfänglich sein. Lebenswerk. „Angetrieben von dem Bewusstsein des Absoluten“, wie Jean Cassou (1897-1986)[4] über Herbin schrieb, „pflegte er die Diskretion eines hart arbeitenden Mannes“.
Auguste Herbin hinterlässt ein vielfältiges, originelles und einzigartiges Werk – das eines zu selten gezeigten Meisters –, der zu Unrecht von der breiten Öffentlichkeit vergessen wurde.
Auguste Herbin, le maître révélé
Zu sehen vom 15. März bis zum 15. September 2024 im Musée de Montmartre Jardins Renoir, 12, rue Cortot in 75018 Paris/Frankreich
Kuratiert von Céline Berchiche, Doktorin der Kunstgeschichte, Spezialistin für Herbin
Und Mario Choueiry, Referent am Institut du monde arabe, Dozent für moderne Kunstgeschichte an der Sorbonne Abu Dhabi und an der École du Louvre.
Öffnungszeiten:
täglich von 10:00 bis 19:00 Uhr. Im Juli und August mittwochs bis 22 Uhr.
Zu erreichen mit öffentlichen Verkehrsmitteln:
Lamarck-Caulaincourt (Linie 12) / Anvers (Linie 2). Bus 80 / Bus 40
Weitere Informationen (Museum, franz.)
Fußnoten:
[1] Le Bateau-Lavoir war ein verwahrlostes Haus auf dem Montmartre in der Rue Ravignan Nr. 13, in das Künstler jener Zeit einzogen und es zum Atelierhaus machten.
[2] Morosow besaß neben seinem Landsmann Sergei Schtschukin eine der größten Kollektionen französischer Avantgarde-Kunst vor dem Ersten Weltkrieg in Russland.
[3] Die Wanderausstellung Cubism and Abstract Art des Gründungsdirektors Alfred H. Barr zog von New York aus als Teil eines Bildungsprojekts quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika und machte das auf dem Ausstellungskatalog abgedruckte Diagramm zur Stilentwicklung von 1890 bis 1935 schlagartig zu einem der erfolgreichsten Schaubilder der Kunstwissenschaft.
[4] Jean Cassou war ein französischer Schriftsteller, Kunsthistoriker, Konservator und Übersetzer. Er baute nach Kriegsende 1945 das Pariser Musée National d’Art Moderne auf.
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