Die Gründung von Künstlerkolonien geht auf das 19. Jahrhundert zurück, vor allem in Deutschland und in der Schweiz entstanden die ersten überhaupt in Europa und zumeist an Orten, die ländlich waren, deren Landschaft, einfaches Leben, vermeintliche Idylle und Abgeschiedenheit einen Gegenpol bildeten, zum Trubel der urbanen Welt.
Die Kolonisierung – kein Kolonialismus! – der beschaulichen Orte von Worpswede, Ahrenshoop, Dachau sowie Hiddensee und vielen anderen durch Künstler, Schriftsteller, Musiker und Schauspieler hatte gleich mehrere Vorteile: ein enger Austausch zwischen Künstlern gleicher oder unterschiedlicher Genres war möglich.
Das Leben auf dem Land war günstiger und das Freiheitsgefühl deutlich größer. Mal blieb man lange, siedelte sich sogar an, mal waren es kurze Besuche über die Sommermonate in einer Pension oder einem Gasthaus.
Kaum eine der Künstlerkolonien hat über anderthalb Jahrhunderte überlebt – zu viel Wandel, zu viel Krieg, zu viel Streit untereinander. Zwar lebt das Image noch bis heute und lässt sich touristisch verwerten, jedoch hält sich der Glauben, aus unterschiedlichen Gründen, die Künstlerkolonie sei ein unantastbarer, produktiver, reiner und ursprünglicher Ort gewesen. Die Kunstgeschichte dankt es, denn in diesem Jahr gibt es gleich mehrere Ausstellungen zum Thema Künstlerkolonien in Deutschland.
Nidden, das heute Nida heißt und seit 1923 und erneut 1945 zu Litauen gehört, wie das ganze damalige Memelland, lag in Ostpreußen, zwischen Ostsee und Haff auf der Kurischen Nehrung und war ein kleiner Fischerort mit wenigen Einwohnern, zwischen Meer, gigantischer Düne und kleinen Kieferwäldchen gelegen. Kein Mensch hätte den Namen Nidden mehr im Kopf ohne Künstler wie Thomas Mann, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Lovis Korinth, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein.
Nidden heute: Blick von der großen Düne auf das Haff. Foto: Rolandas
Doch die Geschichte fängt bereits in den 1890er Jahren an. Einige Maler und Professoren der Kunstakademie Königsberg reisten die 80 Kilometer gen Osten mit ihren Studenten, um Landschaftsstudien anzufertigen. Sie wohnten im Gasthaus von Herman Blode, das später zum Atelier umgebaut und erweitert wurde –, und Blode nahm auch Bilder als Bezahlung, anstatt Geld.
Im Ostholstein-Museum in Eutin ist eine große Auswahl von Bildern zu sehen, die zusammengetragen, die Bilderwelt der Künstlerkolonie in Nidden insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fokussierten. Die Werke stammen aus der Sammlung des Hamburger Reisevermittlers und Baltikumexperten Dr. Bernd Schimpke, der leidenschaftlich seit über 50 Jahren Bilder des Memel-, Samlands und der Künstlerkolonie Nidden zusammengetragen hat. Zugegeben, Teile der Sammlung waren in den letzten Jahren immer wieder einmal in Norddeutschland (Jesteburg, Lüneburg, Eckernförde) zu sehen, aber die Eutiner Ausstellung ist vom Umfang und der Präsentation her besonders.
Für kurze Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und zwischen den Kriegen war die Kurische Nehrung ein Paradies. Thomas Mann riet niemanden davon zu erzählen, damit es so bliebe.
Mann und der Maler Carl Knauf bauten dort ihre eigene Häuser im ortsüblichen Stil. Thomas Mann blieb 3 Jahre von 1929 bis 1932, Knauf zog 1933 bis zu seinem Tod 1944 nach Nidden.
Die Häuser von Thomas Mann (Foto: Schapoks, um 1932) und Carl Knauf (Quelle: Bernd Schimpke, (CC BY 3.0)).
Die Ausstellung zeigt in einzelnen Themenblöcken eine vergangene Welt: Kurenkähne mit ihren typischen Segeln, Fischer bei der Arbeit, die Fischerhäuser, die sich an der Düne tummeln und Dorfansichten, unterschiedliche Tages- und Wetterstimmungen und immer wieder die Landschaft.
Dabei sind nicht nur Werke bekannter Maler und Grafiker zu sehen, sondern auch Entdeckungen zu machen. Ernst Bischoff-Culms „Friedhof in Nidden“ (1910) in spätimpressionistischer Malweise, Gustav Burdenskys expressionistisches „Das rote Segel“ (1942) und Alfred Teichmanns „Sonnenaufgang bei Nidden“, 1936, der einen Hauch an Edvard Munch erinnert.
Alfred Teichmann (1903-1980): Sonnenaufgang bei Nidden, 1936, Öl auf Leinwand, 53x63cm. Sammlung Schimpke Hamburg. Foto: Claus Friede
Die malerische Bandbreite zieht sich von Naturalismus, Realismus über Impressionismus bis Expressionismus und vielen Mischformen.
Gerade älteres Publikum besucht die Ausstellung. Mit einer Dame, die fast jedes Bild abfotografiert, komme ich ins Gespräch, sie stammt aus Memel (heute Klaipėda) und ist fast 90 Jahre alt. Für sie ist die Ausstellung „eine Reise in ihre Kindheit und blasse Erinnerungen". Ihren Enkeln will sie davon erzählen und die Bilder dienen ihr zur Anschauung. Und künstlerisch ist sie ganz angetan ob der vielen unterschiedlichen Stimmungen. „Mein Vater war Maler und ich habe die Tradition fortgesetzt – aber in Schleswig-Holstein“, sagt sie zum Abschluss.
Faszination Nidden. Eine Künstlerkolonie zwischen Ostsee und Kurischem Haff
Zu sehen bis 12. November 2023 im Ostholstein-Museum, Schloßplatz 1 in 23701 Eutin
Geöffnet: Di-So und Feiertage 11-17 Uhr, ab 1.11. Di-F. 14-17 Uhr, Sa + So und Feiertage 11-17 Uhr
- Weitere Informationen (Museum)
- Weitere Informationen (Sammlung Schimpke)
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