Bildende Kunst

Seit 2013 gibt es die „add art – Hamburgs Wirtschaft öffnet Türen für Kunst“, gegründet von Hubertus von Barby. Auch in Corona-geschüttelter-Zeit ändert sich nichts daran, dass Unternehmen in Hamburg verstehen, was der Austausch zwischen der Welt der Kultur und der der Wirtschaft bedeutet, wo es Unterschiede, aber auch Überschneidungen gibt, an welchen Punkten man sich gegenseitig befruchtet, voneinander lernt und miteinander kommuniziert.

 

Vom 18. bis 21. November 2021 findet die „add art“ in Hamburg statt und holt in vielerlei Hinsicht das nach, was 2020 aufgrund der Pandemie-Regelungen ausfallen musste.

 

Es wird wieder Kunst hinzugefügt, auch wenn noch oder erneut viele aus den Belegschaften im Home-Office arbeiten und Kunden, Partner und Freunde der Unternehmen überwiegend über digitale Kanäle kommunizieren. Selbst halbverwaiste Orte sind für die Auseinandersetzung mit Kunst tauglich.

 

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Hubertus von Barby hat es geschafft, 2020/21 weitere Unternehmen ins „add art-Boot“ zu holen, die erstmalig teilnehmen und schon vor Eröffnung und 2G-Rundgängen zufrieden sind, weil sich Mitarbeiter, Kunden, Klienten und Publikum bereits seit einem Jahr an den Werken erfreuen können – und Werke von Nachwuchskünstler*innen, gestandenen Maler*innen oder aus dem eigenen Sammlungsbestand offeriert werden.

 

„Bright Skies“ und das „Fürstenberg Institut“ sind erstmalig bei der „add art“ dabei und in jedem Fall einen Besuch wert, denn hier werden Kunstwerke präsentiert, die bislang noch nicht oder kaum öffentlich zu sehen waren, von sogenannten „Nachwuchs“-Künstler*innen, die offensichtlich bereits nachgewachsen sind und noch lebenslang weiterwachsen können.

 

Michael Poß ist CSO bei „Bright Skies“, einem führenden Service-Anbieter für Cloud-Transformation und seit 2020 zur US-amerikanischen Rackspace Technology Company zugehörig. Ein IT-Unternehmen mit viel Kommunikations- und Beratungsleistung und – entgegen der üblichen Vorstellung – wenigen lichtscheuen Nerds, die nur einen Ausblick im Leben kennen, nämlich den auf den Bildschirm.

 

Das Büro am Neuen Wall kann sich sehen lassen, viel Licht, viel Glas, eine Dachterrasse mit Aussicht auf die Kupferdächer dieser Stadt. Letztere ist „Nice to have“, jedoch nicht die Kunst in unseren Räumen“ sagt Poß, ein sympathischer, agiler Anfang Fünfziger, gelernter Ingenieur mit viel Sinn für Architektur und gerade, solide Strukturen.

 

Und weil er bereits die naheliegenden Fragen beantwortet hat: „Welche Rolle spielt Kunst in Ihrer Firma – gab es in der Vergangenheit Berührungspunkte?“ und „Was kann ein Unternehmen wie Ihres von Künstlern lernen?“ (hier zu lesen) möchte ich von ihm wissen, welches sein Lieblingsbild in den Räumen ist und warum und wie es für ihn möglicherweise eine Verbindung zum Unternehmen darstellt.

 

add art 2021 Michael Poß

Michael Poß vor dem Bild "Stier" von Klara Schoell bei Bright Skies. Foto: Claus Friede

 

Michael Poß muss nicht lange überlegen und zeigt mir ein Bild von Klara Schoell, mit dem Titel: „Stier“. Das Bild ist 170 cm hoch und 125 cm breit, gemalt mit Acryl auf Leinwand. Es entstand 2020. Die intuitiv arbeitende Künstlerin, die an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg bei Christian Hahn, Professor für Malerei studiert, hat überwiegend mittel- und ein paar großformatige Bilder für die Bright Skies-Räume ausgesucht.

„Mich erden diese Bilder“, sagt Poß, „und abgesehen davon, dass mein Sternzeichen auch Stier ist, liegt mir als Ingenieur das Geometrische im Blut“. Er mag den Bildaufbau, er mag die Komposition und das Ambivalente in dem Bild: „Der Stier könnte auch Büffel heißen“. Er mag die ästhetische Farbigkeit, die halb-abstrakten Flächen, die Dynamik und demgegenüber die Klarheit des Motivs. Schoells Bilder sind figürlich und dadurch gut dekodierbar. Der Zugang zu ihnen eröffnet sich zunächst über ein Motiv, danach kommen die vielen Feinheiten, die die Bilder offerieren. „Dieses Bild könnte ich mir in meinem privaten Umfeld vorstellen, so sehr mag ich es.“

 

Gepaart und hier und da dialogisch gehängt sind die Werke Schoells mit denen von Andrés Muñoz Claros aus Kolumbien. Er erhielt den Nachwuchspreis der add art 2020 und entsprechende Aufmerksamkeit. In seinen Werken ist die Farbigkeit Südamerikas ebenso zu finden wie die von Matisse in dessen südfranzösischer Zeit. „Viele Mitarbeiter lieben seine Bilder“, sagt Poß zu seinen Werken, „obwohl nur Stühle zu sehen sind, wirken sie wie Portraits.“

 

„Es war bereits anfangs, schon beim Prozess des Aufhängens zu beobachten, dass unsere jungen Mitarbeiter*innen, die in einem vergleichbaren Alter sind wie die Künstler, sich besonders für deren Werke interessieren. Es sprudelte regelrecht“, erläutert Michael Poß weiter und verweist sogleich auf das hier beispielgebende Employee Branding des Unternehmens: „come as you are“. Da treffen sich Künstler*in und Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe.

 

Das „Fürstenberg Institut“ residiert in einem mächtigen Gebäudekomplex aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Gorch-Fock-Wall, kernsaniert Anfang der 2000er. Das Fürstenberg Institut unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Belegschaft und Führungskräfte zu verbessern, diese in Change-Prozessen zu begleiten und gesetzliche Regelungen im Gesundheitsschutz umzusetzen.

Susanne Tiedemann, Regionalleiterin Nord und Birgit Kedrowitsch, Account Managerin Region Nord des Fürstenberg Instituts treffe ich zum Rundgang durch die Institutsräume. Auch Susanne Tiedemann hat schon auf die Grundfragen in einem add art-Interview geantwortet (hier zu lesen).

 

Die Etage ist wie ein Kreuzgang um einen Innenhof aufgebaut, den Mitarbeiter*innen und Klient*innen entlang gehen können. Hier und da hängen anlässlich und für die Dauer der „add art“ klein- und mittelformatige Malereien zweier Künstlerinnen: Eva Hambach und Claudia Mächler. Auch sie fallen in die Rubrik: Nachwuchs. Eva Hambach hat ihren Master-Abschluss an der HAW abgelegt, dort studiert auch Claudia Mächler. Deren große Bildwerke und Bildreihungen sind zudem in Büro- und Besprechungsräumen zu sehen.

 

add art 2021 Kedrowitsch Tiedemann

Birgit Kedrowitsch und Susanne Tiedemann mit Bildern von Eva Hambach im Fürstenberg Institut. Foto: Claus Friede

 

Auch von meinen beiden Institutsgastgeberinnen möchte ich wissen, welches ihr jeweiliges Lieblingsbild in den Räumen ist und wo sie eine Verbindung zu sich und zum Unternehmen sehen. Susanne Tiedemann orientiert sich nicht an einem Einzelbild, sondern an der Bildserie: „Lügner und Helden“ von Eva Hambach. Diese stetig wachsende Serie (über einhundert im Format um 17x17 cm) zeigt jeweils einen Kopf eines Menschen, der zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert lebte, respektive noch lebt. Es gibt weder eine namentliche noch eine zeitliche Zuweisung noch einen Hinweis darauf, ob es sich bei dem/der Portraitierten um einen Lügner/eine Lügnerin oder eine Heldin/einen Helden handelt.

 

„Für mich persönlich – also was mir bei der Serie als erstes in den Sinn kam“, sagt Susanne Tiedemann: „waren Fragen nach Normen und vermeintlichen Konventionen. Da ich Psychologin bin, interessieren mich Inhalte wie geistige Gesundheit. Entgegen meiner Ausbildung stelle ich in meiner beruflichen Praxis fest, wie fließend Grenzen sind. Bei Menschen mit und ohne Diagnose verschwimmen diese und dies wiederum fasziniert mich. Will sagen, viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung haben parallel etwas, das sie sehr gut können. Sie bringen besondere Ressourcen mit, oft mit einer sehr hohen Sensibilität.“

 

Diese Ressourcen sieht die Regionalleiterin Nord auch bei Künstler*innen und kann sich entsprechend gut in die Bildwelten hineinversetzen. Susanne Tiedemann spricht weiter darüber, dass „wir immer mehr in Schubladen geraten und wir schauen müssen, ob wir unsere Ansprache so gestalten, dass wir alle mitnehmen", die sich über und mit einer Genderspezifikation, ethnischer und kultureller Zugehörigkeit etc. definieren. „Das macht einige ängstlich und es stellt sich die Frage, ob wir weiterhin offen und frei agieren können, um nichts falsch zu machen.“ Auch hier sieht sie eine Beziehung zu den Portraits von Eva Hambach, weil man eben nicht sehen kann, wer ein Lügner/eine Lügnerin und wer ein Held/eine Heldin ist. Wenn man die Portraitierten nicht (er-)kennt und die jeweilige Geschichte dahinter weiß, ist man erst einmal aufgeschmissen. „Wir sehen es den Menschen nicht an. Wir haben hier durch die Bilder eine Vielzahl von Menschen plötzlich im Unternehmen abgebildet, die genau von dieser Vielfalt, die unsere Arbeit betrifft, erzählen“, fügt sie noch hinzu. Die Reaktionen auf die Bilder seitens der Klienten seien erstaunlich, weil sie unmittelbar sind. Es ginge nicht darum, dass man künstlerisch vorgebildet sein muss, sondern darum, was die Bilder in den Mitarbeiter*innen und Klient*innen auslösen. „Diese positive Rückmeldung ist großartig, es macht etwas mit den Menschen – es hat eine Wirkung!“

 

Birgit Kedrowitsch hingegen ist ein Bild der Künstlerin Claudia Mächler ans Herz gewachsen. „Emotionen“ (siehe Galerie, Nr. 7) heißt es, stammt aus diesem Jahr und ist 100 cm hoch und 80 breit. Es zeigt ein Frauenportrait, das Gesicht größtenteils figurativ, Kopfform und Haar teilweise im wilden gestischen Duktus und über die Form hinaus gemalt.

 

„Was mich, neben dem Titel, an dem Bild fasziniert ist eine gewisse Ambivalenz, denn die Künstlerin wollte ursprüngliche eine Portraitreihe von Frauen malen, die ein schmerzverzerrtes Gesicht zeigen. Während des Malvorgangs stellte Claudia Mächler fest, dass der Ausdruck immer mehr an ein Lachen erinnert. Der Ursprung der Emotion wechselte also und sie folgte diesem inhaltlichen Ansatz daraufhin. Ich stand zunächst davor und habe mich tatsächlich gefragt: lacht sie oder weint sie?

Mit welcher Mimik Grund-Emotionen, wie Wut, Ärger, Begeisterung nach außengetragen werden, ist für uns meistens erkennbar. In diesem Portrait ist es nicht so eindeutig. Die gestischen Elemente in dem Bild unterstreichen jedoch die Emotionen als solche und zeigen Bandbreiten.“

 

Wie dicht Gefühlsausdrücke nebeneinanderliegen, hängt für Birgit Kedrowitsch – die viel Erfahrung in der Gesundheitsberatung hat – von mehreren Faktoren ab, von der Mimik, von den Gesten, aber auch von der Interpretation und den eigenen Gefühlen, die dem Ausdruck begegnen. Dadurch entstehen sicherlich auch Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Hier schließt sich der Kreis zum Portrait, zur Intension der Künstlerin zum „Lesen“ des Ausdrucks.

 

„Emotionen treiben uns auch im Fürstenberg Institut um, denn jeder Klient, jede Klientin, der/die zu uns kommt, möchte eine systemische Beratung im Bereich des „Mental Health“. Hier treffen also all die diversen individuellen Emotionen auf die Portraits der Künstlerin, die sich mit gleichem beschäftigt. Viele Klienten fühlen sich durch die Bilder angesprochen, waren sichtlich berührt und das wiederum hat mich sehr erfüllt. Dass die Kultur – und insbesondere die bildende Kunst – unsere Arbeit an diesem Punkt so gut pointiert, empfinde ich als eigenen Antrieb!“


add art 2021

18. bis 21. November 2021

Alle Informationen zu Inhalten, teilnehmenden Unternehmen, Künstlern und Führungen

 

Informationen von Bright Skies

Informationen des Fürstenberg Instituts

 

KulturPort.De ist seit 2013 Medienpartner der add art.

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