Bildende Kunst

Kunst aus West- und Ost-Deutschland einander gegenübergestellt – das ist mehr als dreißig Jahre nach der Wende das Konzept einer interessanten Doppelausstellung in Lübeck und Rostock, deren Lübecker Teil hier vorgestellt werden soll.

 

Warum es so lange gedauert hat, eine derartige Ausstellung zu organisieren – das weiß der Himmel... Hat es nicht nahe gelegen, die beiden damaligen Welten einander begegnen zu lassen? Und man weiß ja, dass eben dies auch immer geschehen ist – nur eben nicht in der Zusammenarbeit zweier renommierter Museen. Jetzt ist es soweit – endlich…

 

Nicht viel mehr als 100 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Lübeck und Rostock, zwei einander eigentlich ziemlich ähnliche Städte, deren Bürger bis 1989 vor großen Problemen standen, wenn sie sich besuchen wollten. Wie es aussah, als man endlich den Korken aus der Flasche zog, daran werden sich vielleicht noch einige erinnern – Lübeck als die einzige deutsche Großstadt direkt an der Grenze (von Berlin abgesehen) wurde gestürmt; und umgekehrt lustwandelten die Lübecker erst etwas ratlos durch die unmittelbar an der Grenze liegenden Dörfer wie Herrenburg, um sich wenig später nach Wismar, Schwerin und Rostock zu wagen.

 

Die sehr unterschiedliche Entwicklung von Lübeck und Rostock nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich auch im Bestand ihrer Kunsthallen ausdrücken. Die Rostocker Kunsthalle wurde 1968 errichtet – der Bau, die einzige bedeutende Museumsgründung der DDR, galt als spektakulär –, und die Lübecker Kunsthalle entstand erst 2003 als ein sehr moderner Anbau zu dem etwas merkwürdig-angeberisch in „Museumsquartier“ umgetauften spätgotischen St. Annen-Museum. Eben in diesem Teil, der die Überreste einer 1843 abgebrannten Klosterkirche mit einbezieht, kann man jetzt die Begegnung dieser zwei Welten erleben.

 

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Den Eingang zur Ausstellung markiert ein sehr großes Bild, fast ein Wandgemälde in der Tradition der lateinamerikanischen Murales. Die Künstlerin ist Susanne Knadt-Horn (1914-1996). Ihre Vision einer großen Völkerverständigung zeigt nicht allein die freundschaftliche Begegnung von Menschen sehr verschiedener Herkunft, sondern bedient sich neben einer realistischen Maltechnik auf hohem Niveau auch der verschiedensten Zitate. Hier ist ein solcher Eklektizismus wirklich passend, weil er auf der formalen Ebene die Thematik fortführt.

 

West- und ostdeutsche Kunst waren gelegentlich (gelegentlich!) fast schon gegensätzlich, wie man gleich im ersten Raum eindrucksvoll an sehr großen Gemälden vorgeführt bekommt. In Westdeutschland dominierte die abstrakte Kunst, vertreten unter anderem durch Emil Schumacher (1912-1999) und Fred Thieler (1916-1999), wogegen sich die bekanntesten Künstler der DDR in einer technisch anspruchsvollen, oft geradezu altmeisterlichen Malweise versuchten – Michael Triegels (*1968) an Darstellungen des Heiligen Sebastian erinnerndes „Glaube, Liebe, Hoffnung“ von 2009 ist ein spätes, aber auch sehr schönes Zeugnis der Leipziger Schule, zu denen sonst Bernhard Heisig (1925-2011), Wolfgang Mattheuer (1927-2004) und Werner Tübke (1929-2004) gezählt werden – alles Künstler, die auch in Lübeck vertreten sind. In diesem ersten Raum fällt der Blick zunächst auf Werner Tübkes „Verspottung eines Ablasshändlers“ von 1976, das in den Umkreis seines berühmten Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen gehört. Wie Michael Triegels Bild und wie Bernhard Heisigs „Lob der gelegentlichen Unvernunft“ spielen in seinen Arbeiten umgedeutete Motive einer christlich-religiösen Malerei eine wichtige Rolle.

 

In Emil Schumachers Bild – dieser Künstler war wohl einer der wichtigsten in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten der Bundesrepublik – findet man nichts dergleichen. Es handelt sich um auf einer sehr großen Leinwand dynamisch verteilte Farbe, die keinerlei gegenständliche Bezüge aufweist. Man kann die Dominanz der Abstraktion als eine ins Extrem umgeschlagene Antwort auf eine seit der Weimarer Republik sich immer stärker artikulierende politische Kunst verstehen. Jetzt, nach der Katastrophe des Krieges, wollte man Antworten, Konzepten, gar Ideologien in der Kunst keineswegs Raum geben. In Rostock (das entnehme ich dem Katalog) werden unter anderem drei Bilder des Lübeckers Johannes Jäger (*1930) gezeigt, die in die Tradition dieser Kunst gehören. Hanna Jägers (1927-2014) „… an den Küsten auffrischende Winde …“ (eine kunstvoll verfremdete Wetterkarte) gehört in einen anderen Zusammenhang, wogegen eines ihrer Leuchtröhrenbilder sich wie die Bilder ihres Mannes in eben diese Tradition einreihen. In Lübeck bildet es den Widerpart zu einer gegenständlichen Plastik Jo Jastrams (1928-2011), die einen sich „Wälzenden Wallach“ zeigt – die lebendige Bewegung des sich windenden, mit den Beinen strampelnden Pferdes ist perfekt eingefangen.

 

Hier können nicht alle Aspekte der Ausstellung angesprochen werden, in denen man einer ganzen Anzahl großartiger Arbeiten begegnen kann. Hervorgehoben werden sollte noch „Sintflut“ von HAP Grieshaber (1909-1981), ein geradezu gigantischer Holzschnitt von 1972, dem mancher eine prophetische Wucht zusprechen wird. Mir selbst werden besonders Plastiken im Gedächtnis bleiben – größtenteils im Format eher zierlich, aber viele davon sehr gelungen. Ludwig Engelhardts (1924-2001) riesiges Lenin-Bildnis von 1970 lassen wir einmal beiseite – diesem metallischen Eierkopf kommt wohl vor allem ein dokumentarischer Wert zu –, aber die Bronzen des wichtigen polnischen Künstlers Bronlsław Chromy (1925-2017; der Name wird im Katalog falsch geschrieben) oder Reinhard Dietrich (1932-2015) fesseln den Betrachter. Auch von ihnen werden sehr alte, vielleicht sogar steinzeitliche Motive aufgenommen und verarbeitet; Chromys Plastik erinnert zum Beispiel an germanische Sonnenwagen.

 

Aus Rostock haben den Weg nach Lübeck nicht allein Arbeiten von DDR-Künstlern gefunden, sondern auch Werke von Künstlern aus Polen oder Skandinavien. Im Rahmen einer „Ostseewoche“ fand eine Biennale statt, und auf ihr wurde die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und internationale Kunst angekauft. Jetzt kamen derartige Arbeiten in der Kunsthalle bewundern.

 

Man darf hoffen oder vermuten, dass die Besucher der Rostocker Ausstellung die Begegnungen mit Arbeiten aus dem berühmten freien Westen ebenso anregend finden wie die Lübecker die Bilder von jenseits einer viel zu dichten Grenze.


„Perspektivwechsel. Kunst nach 1945 aus den Sammlungen der Kunsthallen in Lübeck und Rostock“

Kunsthalle St. Annen, Lübeck, und Kunsthalle Rostock

Zu sehen bis Sonntag, 23. Januar 2022

 

Kunsthalle Lübeck

St. Annen-Straße 15

23552 Lübeck

Öffnungszeiten:

Bis 31. 12. 10 – 17 Uhr | Ab 01.01. 11 – 17 Uhr

Weitere Informationen

 

Kunsthalle Rostock
Hamburger Straße 40
18069 Rostock

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr

Weitere Informationen

 

Katalog: Perspektivwechsel. Kunst nach 1945 aus den Sammlungen der Kunsthallen in Lübeck und Rostock.

200 Seiten

ISBN 978-3868326383

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