Genau einhundert Jahre alt wurde am 1. September 2021 das Behnhaus, also das Museum, das in Lübeck für die Nazarener Anfang des 19. Jahrhunderts bis zu den Meistern der Klassischen Moderne zuständig ist.
Neueröffnet wurde es im Rahmen der „Nordischen Woche 1921“. An dieses Ereignis erinnert jetzt eine ebenso große wie vielseitige Ausstellung mit dem Titel „nordisch modern“ im Museum Behnhaus Drägerhaus zu Lübeck.
Der 1890 geborene Carl Georg Heise, der erst im Jahr zuvor die Leitung des der sakralen Kunst gewidmeten St. Annen-Museums übernommen hatte, ergriff die Initiative, als der letzte Vertreter der Familie Behn im Mai 1920 gestorben war. In den „Lübeckischen Blättern“ schlug er die Gründung eines Museums in dem in der Königstraße gelegenen klassizistischen Bürgerhaus vor. Bis zu seiner Entlassung 1933 war es dann er, der bedeutende Werke der jüngeren Kunst ankaufte, nicht selten gegen einigen Widerstand. Viele dieser Werke wurden im 3. Reich dann wieder verkauft oder konfisziert, aber trotzdem gelang es Heise, das Fundament einer hochwertigen Sammlung zu legen. Bis heute ist die klassische Moderne im Behnhaus in großartigster Weise vertreten.
Titel von Ausstellung und Katalog der jetzigen Sonderausstellung weisen auf die Bedeutung der ersten Ausstellung 1921 hin, aber im Grunde ist das ein wenig zu bescheiden, denn tatsächlich wird mit 176 Ausstellungsstücken – Ölgemälden, Aquarellen, kleineren Plastiken aus Terrakotta, aber auch massiven Bronzen – das Wirken Heises bis zu seinem erzwungenen Abschied dokumentiert. Und diese dreizehn Jahre waren eine enorm produktive Zeit: von Edvard Munch, der wegen seines Sponsors, des Augenarztes Dr. Linde, bedeutende Arbeiten in Lübeck schuf, über die Expressionisten hin zur Neuen Sachlichkeit und einem so eigenwilligen Künstler wie Albrecht Aereboe; und dann kommen noch Plastiken – von Barlach! – oder hochwertige Fotoarbeiten, unter anderem von Heises Ehefrau Hildegard, von der man sehr schöne Schwarzweißfotos mittelalterlicher Kunst findet.
Künstlerisch hochwertig und dazu sehr prägnant war bereits das von dem erst 27-jährigen Alfred Mahlau (1894-1967) geschaffene Plakat, das seinerzeit allerdings nicht auf große Gegenliebe stieß. Uns heutige erinnert es sogleich an das buchstäblich weltberühmte Niederegger-Signet desselben Künstlers. Von Mahlau werden jetzt auch Aquarelle gezeigt, die wohl die wenigsten mit ihm in Verbindung gebracht hätten, denn sie sind von einem ganz anderen Kunstverständnis geprägt. Tatsächlich scheinen seine Aquarelle Mahlau enorm wichtig gewesen zu sein.
Wie Kurator Alexander Bastek in einem instruktiven Katalogbeitrag über das Wirken Heises in Lübeck zeigt, ging es Heise von vornherein um die „Verbindung alter und neuer Kunst“. Er wurde als Mediävist berufen, zeigte sich aber sehr offen gegenüber der jungen Kunst seiner Zeit. Im Rückblick war sein Wirken in Lübeck so außerordentlich, weil es eine Brücke zwischen zwei einander sehr fernen Epochen schlug. Vielen Arbeiten, die auf seine Amtszeit zurückdeuten, begegnet man in der jetzigen Ausstellung. Die meisten dieser Werke sind den regelmäßigen Museumsbesuchern nur zu bekannt, aber neu ist der Zusammenhang, in den sie gestellt sind. Das gilt auch für eine Rede Thomas Manns, die dieser im Rahmen der „Nordischen Woche“ über „Goethe und Tolstoi“ hielt und in der er seine politische Neuorientierung hin zu Demokratie und Republik erstmals andeutete. Die beiden großen Dichter fanden nicht zuletzt deshalb Manns Interesse, weil er sich von dem ästhetizistischen Kunstverständnis seiner ersten Werkphase zu lösen begann – der Weimarer Klassiker wie der große Russe werden von ihm vor allem auch als Pädagogen gewürdigt. Die Umstände der Rede Thomas Manns werden in einer kleinen, der Kunstausstellung angegliederten Schau vorgestellt.
Veröffentlicht hat Thomas Mann ein Jahr später einen Essay von mehr als einhundert Seiten, der Eingang in seine Sammlung „Adel des Geistes“ finden sollte – das alles aber hat er gewiss nicht vorgetragen, denn nicht einmal er war so frech, seine Hörer derart auf die Folter zu spannen.
Wichtig im Zusammenhang dieser Ausstellung ist seine Lobpreisung der menschlichen Gestalt. Er sprach von ihr als dem höchsten Gegenstand „der Sympathie mit dem Organischen“, und das bringt uns zurück zu der Kunst der Zwanziger Jahre und dem Wirken des Kunsthistorikers Carl Georg Heises (1890-1979) und natürlich besonders Ernst Barlachs (1870-1938).
Zweifellos das Ehrgeizigste und Eigenständigste, das Heise während seiner Zeit in Lübeck ins Auge fasste, war die Bestückung der Front der Katharinenkirche – keine hundert Meter vom Behnhaus gelegen – mit den Plastiken Ernst Barlachs. Ursprünglich sollten alle sechszehn Nischen besetzt werden, aber einerseits ging Barlach ein wenig die Kraft, andererseits Heise das Geld aus, so dass zunächst nur drei Figuren fertiggestellt werden konnten. Und diese mussten dann nur wenig später vor der nationalsozialistischen Bilderstürmerei gerettet werden. Nach dem Krieg setzte der Bildhauer Gerhard Marcks (1889-1981) das Werk Barlachs in kongenialer Weise fort, so dass man heute immerhin neun Plastiken findet – das ist das, was von dem „tollkühnen Plan“ Heises (Alexander Bastek im Katalog) übriggeblieben ist. Mehr als genug, um diesen Ort zu einem der bedeutendsten in Lübeck werden zu lassen.
In der Ausstellung und im Katalog kann man sich auf einer Kohlezeichnung Barlachs von 1929 anschauen, wie sich der Künstler die Besetzung sämtlicher Nischen vorgestellt hatte. Dass Marcks später seine Arbeit fortsetzte, ist ein außergewöhnlicher Glücksfall, denn tatsächlich arbeitete er ganz im Sinne Barlachs. Die Figuren in der Fassade, zu denen man von der gegenüberlegenden Straßenseite aus hinaufschauen muss, sind menschliche Archetypen von allergrößter Kraft des Ausdrucks. Was ihnen fehlt, ist natürlich die schwermütige Erdverbundenheit der viel kleineren Plastiken, die man im Behnhaus anschauen kann und die typisch ist für so viele Arbeiten Barlachs. Dazu sind sie auf Untersicht gearbeitet, berücksichtigen also, dass man von unten zu ihnen hinaufblickt – deshalb sind die Köpfe leicht überdimensioniert, und ebenso sind die Beine ein wenig zu lang. Steht man ihnen frontal gegenüber, ist der Eindruck also ein ganz anderer.
Dieses Projekt Heises scheint bis heute wichtig, weil es zeigt, wie man mit historischer Bausubstanz umgehen, wie man eine Brücke über die Zeiten schlagen und sie in unsere Gegenwart holen kann. Die Katharinenkirche gehörte bis zur Reformation den Franziskanern, also einem Bettelorden, und war daher sehr schlicht ohne großen Schmuck. Heutige Denkmalpflege hätte sich einem Projekt wie demjenigen Heises wohl verweigert, weil sie einen Anschlag auf die originale Bausubstanz vermutet hätte. Auch in unseren Tagen könnte St. Petri in ähnlicher Weise von der Arbeit eines großen Künstlers profitieren, aber man findet es besser, sie „original weiß“ zu halten, wie sie früher natürlich nie gewesen ist – es handelt sich dabei wohl eher das architektonische Ideal im Zeichen des Betons.
Einige Bemerkungen verdient der hochwertige Katalog – nicht allein wegen der Abbildungen, sondern auch wegen der Aufsätze. In dem bei weitem längsten beschäftigt sich Alexander Bastek mit der Tätigkeit Heises in Lübeck, die er auf vierzig Seiten akkurat nachzeichnet. Zwei weitere Beiträge stellen „Neuere schwedische Kunst“ vor (Andrea Haarer) und Heises Verhältnis zur alten Kunst (Iris Wenderholm). Michael Thimanns Überlegungen endlich kreisen um die Frage, was ausgerechnet die Nazarener für die Künstler der Zwanziger Jahre so interessant machte. Im Garten des Behnhauses sitzt heute die Overbeck-Gesellschaft, und im Museum findet man etliche Hauptwerke Friedrich Overbecks.
Heute stoßen die Bilder der Nazarener bei den wenigsten auf Gegenliebe, aber bei manchen Künstlern der zwanziger Jahre kann man fast von einer Wahlverwandtschaft sprechen. Wenn die Nazarener nur nicht katholisch gewesen wären… Ihre künstlerische Nähe zu den Magischen Realisten wird besonders in den Bildnissen offensichtlich. Ein anderes gemeinsame Interesse galt den Naturstudien – als Beispiel gelten auch die Bilder Albrecht Aereboes (1889-1970). Als er auf die Verwandtschaft zweier zunächst so unterschiedlicher Kunstrichtungen einging, waren es zunächst allein ästhetische Fragen, die 1925 von Franz Roh in seinem „epochalen Buch“ (Thimann) „Nach-Expressionismus“ behandelt wurden. Thimann gebraucht das Vokabular der Phänomenologie, wenn er schreibt: „Wie auch bei den Nazarenern 1810/20 ist Nachahmung der Natur für die Neue Sachlichkeit nicht Abmalen und Kopie, sondern Wesensschau und Aufdeckung eines Wahrheits- und Symbolgehalts.“ Ich habe das nie so gesehen, aber es ist ein Hinweis, den zu folgen sich wahrscheinlich lohnt.
nordisch modern
100 Jahre Nordische Woche – 100 Jahre Museum Behnhaus
Vom 1. September 2021 bis 2. Januar 2022
Inklusive Sonderschau des Buddenbrookhauses:
„100 Jahre Nordische Woche – Thomas Manns Kurskorrektur“
Museum Behnhaus Drägerhaus, Königstraße 9, in 23552 Lübeck
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag (01.04. - 31.12.), 10 - 17 Uhr
Katalog: 100 Jahre Nordische Woche – 100 Jahre Museum Behnhaus.
Herausgegeben von Alexander Bastek. Michael Imhof Verlag 2021
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