Eine perfekte Ausstellung, wenn man sehr viele Besucher anlocken will, bietet in diesem Sommer die Kunsthalle St. Annen in Lübeck.
Armin Mueller-Stahl, natürlich vor allem bekannt als Schauspieler, ist darüber hinaus nicht allein auch noch musikalisch hochbegabt – ein ausgebildeter Geiger, sondern betätigt sich seit einigen Jahrzehnten zusätzlich noch als Maler. In dieser Rolle ist er wohl mittlerweile ebenso bekannt wie als Schauspieler.
Als Maler ist er fast ausschließlich an Menschen und dabei hauptsächlich an Gesichtern interessiert; an Landschaften oder Stillleben hat er sich überhaupt nicht versucht, an (nicht selten sehr plakativen) politischen Stellungsnahmen aber schon. Im Grunde ist Mueller-Stahl in allen Bildern Porträtist, denn die Körperhaltung seiner Protagonisten spielt bestenfalls eine Nebenrolle, und es sind vor allem die Köpfe, die auf den Bildern erscheinen, nicht selten verziert, umgeben oder erläutert von allerlei Symbolen oder einzelnen, oft längeren und nicht immer gut lesbaren Schriftzügen.
Die meisten Kommentatoren betonen, dass sich Mueller-Stahl vor allem am Expressionismus orientiere, und angesichts seiner hingepfefferten Bilder – er pflegt offensichtlich einen sehr schnellen Strich – mit ihren gelegentlich sehr grellen Farben scheint diese Einordnung überzeugend. Aber die Expressionisten waren immer auch an der Darstellung von Landschaft interessiert (vielleicht sogar ihr wichtigstes Thema) oder an Städten, deren Gebäuden oder Straßenschluchten. Das alles fehlt bei Mueller-Stahl vollständig.
Für mich ist Mueller-Stahl, seines hohen Alters ungeachtet, eher ein junger Wilder, wie sie Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in Deutschland auftraten. Ihre Arbeiten waren gegenständlich, sehr grell und bunt und dazu von ihrer subjektiven Sicht auf die Dinge geprägt, und alles dies trifft auch auf den Maler Mueller-Stahl zu, der als Künstler so aggressiv und kraftvoll ist wie als Mensch soigniert und freundlich. Dieser Gegensatz ist wirklich auffallend, auch wenn die politischen Wertungen, die sich in seinen Bildern finden, ganz und gar mit seinen eigentlichen Überzeugungen übereinstimmen werden.
In Lübeck werden immerhin 140 Bilder gezeigt, davon viele in sehr großem Format, die in die gute Stube der wenigsten passen würden. Es handelt sich um eine Werkschau, die in verschiedene Gruppen eingeteilt ist.
Den Auftakt in Katalog und Ausstellung machen die Porträts bedeutender Juden (unter anderem Salomon Carlebach, Rabbiner von Lübeck (1845-1919); auch der Hamburger Bankier Eric Warburg, Dichter wie Franz Kafka und Paul Celan und noch andere); dazu kommen großformatige Bilder wie „Allegro expressiv“ (200x300 cm!), welche die Musik thematisieren und sich wohl auch in ihrer Struktur von ihr bestimmen lassen, oder tiefsinnige politische Kommentare wie jenes, das mitfühlend die Präsidentschaft Obamas charakterisiert („Obama gerät von einer Scheiße in die nächste“, 2011).
Der schön in dunkelblaues Leinen gebundene Katalog bietet leider keine Aufsätze, sondern der Leser findet außer einem telefonisch geführten Interview der Kuratorin Antje-Britt Mählmann mit Mueller-Stahl und einem „Zeitstrahl“ mit den Lebens- und Werkdaten des Künstlers nur noch die üblichen Gruß- und Dankesworte der städtischen Größen. Und natürlich alle Bilder der Ausstellung. Besonders für die Entzifferung einiger der nicht immer leicht lesbaren Inschriften wird man dankbar sein.
Armin Mueller-Stahl. Nacht und Tag auf der Erde
Die Sonderausstellung ist zu sehen bis Sonntag, 3. Oktober 2021
in der Kunsthalle St. Annen, Lübeck
Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr
Katalog: Nacht und Tag. Armin Mueller-Stahl auf der Erde.
Kunsthalle St. Annen 2021
120 Seiten
978-3942310338
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