Seiner großartigen Sammlung spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Kunst hat das Lübecker St. Annen-Museum jetzt zwei Porträts aus der Hand Lucas Cranachs hinzufügen können.
Das St. Annen-Museum wurde als ein Kloster inmitten Lübecks errichtet, aber 1531 zerschlug die Reformation alle Pläne, und seine außerordentlich schönen Räume dienten fortan verschiedenen Funktionen – unter anderem als ein Armenhaus. Aber seit gut einhundert Jahren ist es ein Museum, und für nichts dürften sich seine Räume besser eignen als für die Präsentation von sakraler Kunst.
Die hier präsentierte Sammlung mittelalterlicher Altäre ist ohnehin schon herausragend, wird aber jetzt durch zwei kleine Porträts ergänzt, gemalt von keinem Geringeren als Lucas Cranach dem Älteren, dem engen Freund Martin Luthers und neben Albrecht Dürer bedeutendsten Maler seiner Zeit. Mit seiner großen Werkstatt in Wittenberg war Cranach einer der wichtigsten Protagonisten der Reformation, der Luthers Gesicht in ganz Deutschland verbreitete und mit seinen Stichen auch an dem gewaltigen Erfolg von dessen Bibelübersetzung Anteil hatte.
Seit seinen ersten Anfängen steht der Protestantismus nicht allein Marienbildnissen und Heiligenverehrung ablehnend gegenüber, sondern wies auch sonst den Bildern aller Art eine andere, viel weniger bedeutende Rolle und Funktion zu. Für Luther war das Reich Christi „ein hör Reich, nicht ein sehe Reich“, wie es in seiner Schrift „Über Bilderbücher“ heißt. Dem Reformator kam es auf das Wort an, nicht auf das Bild. So verschwanden viele der typischen Themen kirchlicher Kunst, und stattdessen konzentrierten sich die Maler auf das Porträt. Cranach selbst wurde einer der bedeutendsten Bildnismaler seiner Zeit, und ihm folgten nicht wenige seiner Schüler auf diesem Weg. Besonders das Bildnis Martin Luthers wurde dank Cranach in ganz Deutschland berühmt – in seiner Werkstatt wurden von ihm selbst und von seinen Mitarbeitern unzählige hergestellt. Dank Cranach steht uns allen noch ein halbes Jahrtausend später vor Augen, wie Luther ausgesehen hat!
Bei den beiden Bildern, die jetzt vom St. Annen-Museum angekauft wurden, handelt es sich um Bildnisse Philipp Melanchthons und Martin Luthers. Sein Porträt schenkte Cranach dem Reformator anlässlich seiner Hochzeit 1525. Seine damals neue runde Form erinnert an Schaumünzen der Zeit und ist vielleicht das erste Bildnis dieser Art; mit einem Durchmesser von 12,5 Zentimetern ist es ziemlich klein. Das etwas größere Porträt Melanchthons (20,1 x 14,4 cm) dagegen wird auf 1543 datiert. Beide Porträts sind mit dem schwarzen Schlangensignet Cranachs signiert, aber vor allem dank der Meisterschaft der Ausführung scheint die Urheberschaft Cranachs außer Frage zu stehen. Sowohl der Hintergrund, bei dem auch nicht ein Pinselstrich zu sehen ist, als auch die Feinheit der Haare und anderer Details lassen keinen Zweifel daran zu.
Luther und Melanchthon waren über Jahrzehnte hinweg eng miteinander befreundet, und sie müssen in vielem sehr ähnlich gedacht haben. Aber ihre Erscheinung war sehr verschieden, denn dem grobschlächtigen, im Alter übermäßig fetten und dazu cholerischen Luther stand der feinsinnige, zierliche und mit nur einer schwachen Stimme begabte Melanchthon gegenüber. Eben diesen Gegensatz machen die beiden Porträts sehr schön anschaulich. Dem Bildnis des „praeceptor Germaniae“, des „Lehrers Deutschlands“, wie Melanchthon genannt wurde, gebe ich den Vorzug – besonders seines sprechenden Blickes wegen. Einigermaßen misslungen dagegen scheinen seine merkwürdig gefalteten Hände, die eher die Fäuste eines Bauern zu sein scheinen und jedenfalls kaum mit einem Gelehrten in Verbindung zu bringen sind.
Die beiden Porträts hängen an der Stirnseite eines kleinen Nebenraumes neben einem „Die Liebesgabe“ betitelten Ölgemälde Hans Kemmers (1495-1561), eines gebürtigen Lübeckers, der seine Ausbildung von 1515 bis 1520 in der Wittenberger Werkstatt Cranachs genoss. Zurück in Lübeck, musste er sich wie der Meister auf die Porträtmalerei werfen, weil die kirchlichen Aufträge nach der Reformation wegblieben, hatte aber damit ziemlich großen Erfolg. Das Bild zeigt den sehr bedeutenden Lübecker Kaufmann Johann Wigeringk (1500-1563) zusammen mit seiner Braut. Auch dieses Bild zeigt einige Merkwürdigen, der Schönheit der Komposition und Feinheit der Ausführung zum Trotze. So lugt das Pferd in Richtung des Betrachters, aber es ist ein Pferd ohne Unterleib, denn wo ist sein Hinterteil geblieben? Und was befindet sich am linken Knie des Bräutigams?
Am 1. November besteht noch die Gelegenheit, sich die beiden Porträts anzuschauen, dann aber schließt das Museum bis einschließlich den 29. November 2020.
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