Die Hamburger Galeristin Kerstin Hengevoss-Dürkop hat sich in den vergangenen Jahren immer häufiger der Bildhauerei zugewandt. Mit der faszinierenden Ausstellung „Natura Naturans“ der Münchner Künstlerin Keiyona C. Stumpf hat diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Vor drei Jahren hat Keiyona Constanze Stumpf in Eigenregie einen Katalog unter dem Titel „Amalgam“ herausgebracht. Wer „Amalgam“ hört, denkt vermutlich zuerst an den Zahnarzt. Jeder dritte Deutsche hat heute noch die Legierung aus Kupfer, Zinn, Silber und Quecksilber im Mund, die mittlerweile als Sondermüll entsorgt werden muss.
Der lateinischen Wortherkunft nach bedeutet Amalgam lediglich die Vereinigung oder Verbindung mehrerer Elemente ꟷ und da kommen wir dem erstaunlichen Werk der Münchner Künstlerin zielsicher auf die Spur. Keiyona Stumpf experimentiert mit ganz unterschiedlichen Materialien. Vorwiegend mit Porzellan und Steinzeug, aber immer mehr auch mit Glas, Papier, Stoffen und Kunststoffen, selbst mit Kaugummi. Jede weiche, unmittelbar formbare Masse reizt ihre Kreativität. Und das Ergebnis ist jedes Mal eine vegetativ anmutende, hocherotische Plastik oder Installation.
Es ist noch gar nicht so lange her, kunsthistorisch ein Wimpernschlag, da waren Keramiken, im Grunde alles Handwerkliche, in der zeitgenössischen Kunst verschmäht. Die Studierenden in den Glas- und Keramikwerkstätten der Hochschulen (wenn sie denn noch in Betrieb waren) galten als krasse Außenseiter. So auch Keiyona Stumpf. Doch die 38jährige Künstlerin hatte das Glück, in den 1990er Jahren an der Münchner Kunstakademie bei Norbert Prangenberg und Markus Karstieß zu landen. Heute, da die junge Künstler*innen-Generation die uralten Techniken wiederentdecken und aus ihrer kunsthandwerklichen Ecke holen, erhält Keiyona C. Stumpf eine Auszeichnung nach der nächsten.
Wer ihre Ausstellung in der Galerie Hengevoss-Dürkop am Klosterwall gesehen hat, weiß auch warum. Ihre großen, schweren amorphen Objekte sind allesamt beeindruckend. Mal in reinem Weiß, mal mit dicken bräunlich, gräulich, grünen Glasuren, erweisen sie der Natur ihre Reverenz. Erinnern mitunter an die Plastiken des Jugendstils, an Gaudi-Werke, aber auch an die Kirchen-Keramik-Grotte des mallorquinischen Bildhauers Miquel Barceló.
Highlights aber sind zweifellos zwei Werke. Einmal eine deckenhohe weiße Installation aus Textilschläuchen und Füllwatte. „Metamorphose 1“ wächst wie ein verwunschenes Korallenriff aus einer Ecke heraus in den Raum. Die Stoffarbeit besteht aus weichen, länglich-runden Ausstülpungen, die bei näherer Betrachtung unschwer als Phalli identifizierbar sind. Dutzende, vielleicht hunderte kleiner weißen Phalli, die in ihrer Gesamtheit jedoch eher an einen weiblichen als an einen männlichen Körper denken lassen.
Die andere aufregend schöne Arbeit heißt „Bosom Buddy II“, und lässt keinen Zweifel am Geschlecht. Dieses opak-rot und crème-weiß glasierte Relief ist kaum zu überbieten an barocker Opulenz. Ein Werk aus Blättern, Lippen, Seeanemonen und zu Ketten aufgefädelten roten Perlen, das mit seiner zentralen Öffnung sicherlich nicht zufällig die Form einer gigantischen Vagina erhält. Männliche Angstphantasien sind bei ihrem Anblick durchaus nachvollziehbar. „Bossom Buddy“ hat tatsächlich etwas Verschlingendes. Vor allem aber feiert diese Arbeit das Leben!
Keiyona C. Stumpf: „Natura Naturans“, Skulptur und Installation
Zu sehen bis 5. September 2020
in der Galerie Hengevoss-Dürkop, Klosterwall 13, 20095 Hamburg
Geöffnet: Mittwoch - Freitag 14:00 - 19:00, Sonnabend 12:00 - 15:00,
sowie nach Vereinbarung unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und telefonisch unter 040 3039 3383
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