Bildende Kunst
David Hockney – die Tate zu Gast Foto Ulrich Perrey

Was gerade angesagt ist, hat ihn nie interessiert. David Hockney malte immer gegen den Trend – und wurde weltberühmt.
Ausgerechnet am Abend des Brexits eröffnete das Bucerius Kunst Forum die erste Retrospektive des gebürtigen Britten in Deutschland – mit Werken aus der fantastischen Sammlung der Londoner Tate. Eine starke Schau und ein starkes Zeichen in einem Europa, das immer mehr auseinanderzufallen scheint.

Der Meister himself begrüßt die Besucher. „In the Studio“ (2017), einem riesigen Atelier-Panorama von 2,78 Meter Höhe und 7,60 Meter Breite, steht der 80jährige Künstler in blaugrün gestreifter Strickjacke und schwarzer Hose, fast ein wenig verunsichert. „Gefällt Euch das?“, scheint er zu fragen. „Seht ihr, was ich hier gemacht habe?“ Ja, natürlich. Mit den Perspektiven gespielt. Raum und Zeit eingefangen, die Blickwinkel verschoben, wie es das menschliche Auge permanent macht. „Das Auge bewegt sich immer, wenn es sich nicht mehr bewegt, bist Du tot“, hat er einmal gesagt. Und in diesem Fall schuf David Hockney, der schon Mitte der 1970er Jahre mit Fotografie experimentierte, aus tausenden, am Computer zusammengesetzten Aufnahmen eine, wie er selbst kommentiert: „Kombination aus Fotografie, Zeichnung und Druckgrafik, die jeweils das Beste des anderen hervorbringen“. Seine ewige Suche nach der Darstellbarkeit von Raum und Zeit hat hier zweifellos eine neue Dimension erreicht. Und noch etwas ist auffällig: Die knallbunten Landschaften, die die Wände pflastern, haben merkwürdig beschnittenen Formate. Die unteren Ecken fehlen, sodass es unmöglich ist, „das Bild als Fenster“ aufzufassen.

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Wer an David Hockney denkt, hat vor allem seine naturalistischen Werke vor Augen. Das berühmte Elternpaar (1977), das schon auf dem Bauzaun am Alten Wall den Weg in die Ausstellung weist. Oder die vielleicht noch berühmteren Swimmingpool-Bilder, mit und ohne nackte Jünglinge unter der gleißenden Sonne Kaliforniens, die Hockney das Etikett eines Pop-Artisten einbrachten. Ein Lable übrigens, das er stets ablehnte und bis heute als Missverständnis betrachtet.

Tatsächlich ist das Werk des genialen Briten so umfangreich, vielseitig und experimentierfreudig, dass auch diese hinreißende, chronologisch geordnete Schau von Kathrin Baumstark und Tate-Kuratorin Helen Little nur einen groben Überblick über die wichtigsten Entwicklungsphasen geben kann. Angefangen von den frühen, autobiographisch bestimmten Figurenbildern, in denen er, noch als Student am Royal College of Art, alle möglichen Stile ausprobierte und inhaltlich dabei unverhohlen seine Homosexualität thematisiert. „Doll Boy“ (1960,61) aus der benachbarten Kunsthalle ist prägnantes Beispiel. Ebenso das „Tea Painting in an Illusionistic Style“ (1961, öffentliche Toiletten, in denen sich Schwule trafen, wurden Tearooms genannt). „David wollte ein moderner Künstler sein, aber er wusste noch nicht wie“, sagt Helen Little. „Es gab damals nur zwei Strömungen am College, traditionell oder abstrakt und beide Richtungen lehnte er ab“. Dieses permanente Vorantasten spiegelt sich auch in der Radier-Serie „A Rake’s Progress“ (Werdegang eines Wüstlings), in Anlehnung an William Hogart, in denen Hockney seine ersten New-York-Erfahrungen verarbeitet. Mit dem Umzug nach Los Angeles wird alles anders. Das Leben leichter, die Farben bunter, das Licht zur Kraftquelle. Zwischenmenschliche Beziehungen rücken in den Vordergrund und mit ihnen die naturalistische Wiedergabe von Licht, Schatten und räumlicher Tiefe. „Das Destillat einer Momentaufnahme“, das lebensgroße Paar „Mr and Mrs Clark and Percy“ (1970/71), war für den Künstler eine so große Herausforderung, dass er sogar noch im Museum daran weitermalte, wie Helen Little erzählt.

Den Naturalismus empfand Hockney jedoch schnell als „Falle“ (Little). Ende der 70er Jahre begann er, den Raum wieder aufzubrechen und sich an Picassos Kubismus abzuarbeiten. Die schönsten, farbenprächtigsten Bilder entstanden dabei in Mexiko, im Innenhof des Hotel Acatlan. Im Bucerius Kunst Forum kann man nun in diesen wunderbaren Bildern schwelgen. Und wenn man schließlich vor dem überwältigenden, fast siebeneinhalb Meter langem und gut zwei Meter hohem, rot-gelb leuchtendem Grand Canyon von 1998 steht, dann kann man David Hockney nur zustimmen: „Ich habe das Gefühl, dass es heute eine Möglichkeit gibt, Picassos Arbeit so weiter zu entwickeln, dass es am Ende nicht aussieht wie ein Picasso, sondern unglaublich real wirkt“.

„David Hockney – die Tate zu Gast“

Zu sehen wieder ab 7.5. bis 13.9.2020
im Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, 20457 Hamburg
Es ist ein Ausstellungskatalog erschienen: David Hockney. Die Tate zu Gast
Herausgeberin: Kathrin Baumstark
Beiträge von Kathrin Baumstark, Helen Little, Gregory Salter, Uwe M. Schneede, Lukas Schepers
ca. 220 Seiten mit Abbildungen der ausgestellten Werke
Verlag: Hirmer Verlag, München
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Header: Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey
01. David Hockney: My Parents, 1977, Tate, © David Hockney, Foto: Tate
02. David Hockney: Man in Shower in Beverly Hills, 1964, Tate, © David Hockney, Foto: Tate
03. David Hockney: The Third Love Painting, 1960, Tate, © David Hockney, Foto: Tate
04. Ausstellungsansicht. Foto: Ulrich Perrey
05. David Hockney: The First Marriage (A Marriage of Styles I), 1962, Tate, © David Hockney, Foto: Tate
06. David Hockney: Mr and Mrs Clark and Percy, 1970/71, Tate, © David Hockney, Foto: Tate
07. David Hockney: George Lawson and Wayne Sleep, 1972–1975, Tate, © David Hockney, Foto: Tate
08. und 09. Ausstellungsansichten. Fotos: Ulrich Perrey

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