Seinen neunzigsten Geburtstag feiert noch im Februar Johannes Jäger, langjähriger Kunstlehrer am Lübecker Johanneum und dazu ein renommierter Maler. Anlässlich seines Ehrentages präsentiert die Kunsthalle St. Annen-Museum in Lübeck die Früchte seiner Urlaubsreisen in einer Doppelausstellung, in der man seine farbenfrohen Aquarelle zusammen mit den Arbeiten seiner verstorbenen Frau Hanna anschauen kann.
Die Arbeiten des Künstlerpaares werden in drei mittelgroßen Räumen präsentiert, geordnet nach seinen bevorzugten Urlaubsorten: dem Mittelmeer, dem dänischen Jütland und endlich den USA, wo es seinen Sohn in Minneapolis besuchte. Niemals ging es ihnen um Sehenswürdigkeiten oder spekatakuläre Aussichten, sondern immer nur um Landschaften, von denen sich das Paar „beeinflussen“ ließ, ohne sich an der Abbildung von irgendetwas zu versuchen. Eigentlich also gaben sie nur den Anlass für einige farbstarke Bilder ab, die mit ihr, der Landschaft, nur eine sehr indirekte Beziehung eingegangen sind.
In der ganzen Ausstellung findet sich kein einziges gegenständliches Bild, und selbst abstrakte Formen aller Art spielen nur eine untergeordnete Rolle. Es gibt keinerlei Zeichen, die über das Bild hinausweisen, so dass eigentlich alle Bilder als Beispiele einer vollkommen autonomen Kunst angesehen werden müssen. So sind sie geprägt von der Kunst der Nachkriegszeit, die als Reaktion auf die ideologischen Werke der Weimarer Jahre verstanden werden muss (von Nazi-Kunst ganz zu schweigen…).
Wichtig, sogar allein wichtig ist immer und überall die Farbe. Auf den düsteren Bildern von Lanzarote bedeutet das, dass Schwarz dominiert (der Künstler sieht sie als Ausdruck der vulkanischen Energie der Insel), und auf Kreta nahm Hanna Jäger die kretische Erde, um sie mit Fingerkalk zu einem braunen Ocker anzurühren. In manchen Fällen wurden braune Obsttüten bemalt, wozu sie dann gelegentlich Farbe bei ihrem Mann klaute, wie dieser sich erinnert. Nun, er scheint es ihr ja verziehen zu haben. In der Mitte dieses ersten, dem Mittelmeer gewidmeten Raumes steht noch eine Lichtskulptur aus Neonröhren, für die Hanna Jäger die Poller an den kretischen Straßenrändern als Vorlagen benutzt hat; ihr gefiel es, dass diese Poller weniger exakt hergestellt und ausgerichtet waren als die unsrigen.
Die Bilder des zweiten Raumes wurden größtenteils im dänischen Fårup ziemlich im Norden Jütlands gemalt. Dort, in der Nähe der Nordsee, begegnete Jäger einer eher unverhofften Anregung: Eiern des Katzenhais. Von ihnen ließ sich Johannes Jäger zu kryptischen Figuren inspirieren, die aber von Fachleuten tatsächlich als Haieier erkennt werden können: seine Brut, dieses Tier in den Tang hängt. Jetzt findet sich ihre Form auf fast allen Bildern aus Fårup.
Schließlich die Arbeiten aus Minneapolis, einer Stadt, in deren Nähe es viel Wasser zu geben scheint. Hier ließ sich Johannes Jäger zu Bildern anregen, in denen er heute, mit einigem Abstand, Reminisenzen an die Seerosenbilder Monets zu erkennen glaubt. In diesem letzten Raum finden sich aber vor allem Arbeiten der Lichtkünstlerin Hanna Jäger. In den USA hat sie gelernt, die Röhren zu zertrennen und wieder zusammensetzen, nachdem sie ein Pulver für die Farben eingefüllt hatte. Probleme hatte sie nur damit, die neu zusammengefügten Lampen ganz gerade auszurichten. Ihr Mann fand sich selbst immer an Schachtelhalme erinnert… Es gibt mehrere dieser großen, ästhetisch sehr reizvollen Skulpturen, manchmal in der Mitte des Raumes, dann aber vor allem im letzten Raum an dessen Stirnwand: sie bilden den spektakulären Abschluss. Das gilt vielleicht besonders für „Something is always happening“ mit Bezug auf John Cage, einer Arbeit aus Glasfaserkabeln.
Zur selben Zeit finden in Lübeck zwei Ausstellungen des iranischen Künstlers Reyman Rahimi statt, organisiert von der Overbeck-Gesellschaft an zwei Orten: in St. Petri und im Overbeck-Pavillon im Garten des Behnhauses. Rahimi, Jahrgang 1977, hat in dem Kirchenraum eine sehr große Installation aufgebaut, in der er von seinen Erinnerungen an einen kurzen Gefängnisaufenthalt in Teheran zehrt. Er hatte Alkohol getrunken und war erwischt worden, aber dank seiner Eltern, die die Geldstrafe zahlten, blieben ihm Peitschenhiebe erspart. Die Gitter, die zusammen mit herabhängenden schwarzen Tüchern eine Art Labyrinth bilden, schaffen eine düstere Atmosphäre, deren Heimtücke man wahrscheinlich am besten wahrnehmen kann, wenn man die Kirche allein besucht; als ich dort war, summte das kunstbegeisterte Publikum in froher Laune umher und gab sich mal hier und gab sich mal dort ein Küsschen. Wenn ich mich also fürchtete, dann nicht vor Peitschenhieben.
Nicht alles ist in St. Petri düster, denn es finden sich ja auch zu kleinen Pyramiden gebündelte Neonlampen, aber diese sind weniger ein ästhetisches Ensemble wie bei Hanna Jäger als vielmehr die Erinnerung an das Licht in einer Zelle. Niemand liebt ihr nervöses Flackern… Oder erinnert ihr heller Schein an die große Rolle, die das Licht in den persischen Religionen spielt?
„Zelle“ ist der Titel dieser Installation, deren Absicht es durchaus ist, mit seinen Gittern, Tüchern und fiesen Geräuschen eine gewisse Unbehaglichkeit zu erzeugen.
Johannes und Hanna Jäger. Ein Künstlerpaar auf Reisen
Die Ausstellung ist zu sehen bis 8. März 2020 in der Kunsthalle St. Annen, St. Annen-Straße 15, 23552 LübeckGeöffnet: Dienstag bis Sonntag: 11 – 17 Uhr (im Sommer: 10 – 17 Uhr)
Weitere Informationen
Dieselben Öffnungszeiten wie für die Jäger-Ausstellung gelten für den Overbeck-Pavillon, für den aber anders als für St. Petri Eintritt (2 / 3 €) zu entrichten ist. Die Kirche ist täglich von 11 bis 16 Uhr geöffnet.
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Header: Johannes Jäger „Vokabelbild“, 1996
Galerie:
01. Hanna Jäger, aus der Serie „Kreta“, 1985
02. Johannes Jäger „Am Wasser“, 1965, © Kunsthalle St. Annen Lübeck
03. Hanna Jäger „Something is always happening”, 2001 © Stadtgalerie Elbeforum, Brunsbüttel
04. Johannes Jäger „Lanzarote – Lavalandschaft“, 1985
05. Johannes Jäger „Regensonntag in Norwegen“, 1981 © Kunsthalle St. Annen Lübeck
06. Johannes Jäger „Bornholmer Etüde“, 1975
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