11 Künstlerinnen und Künstler – 11 Betriebe: Künstler und Betriebe der Region Lübeck zusammenzubringen, ist das Vorhaben der „KunstBetriebe“, das in diesem November zum dritten Mal stattfindet. Von Anfang an war es ein Projekt der Bildhauerin Bettina Thierig, die vor zehn Jahren erstmals die Industrie- und Handelskammer ansprach und auch in diesem Jahr als Kuratorin tätig war.
Warum Künstler an einem solchen Projekt Interesse haben, braucht man nicht zu erläutern. Jeder wird es leicht verstehen. Aber warum die Betriebe? Es sind natürlich keine Drei-Mann-Betriebe, sondern zumindest mittelständische Unternehmen, die zu groß sind, als dass sie mit derartigem Kleinkram finanzielle Interessen verfolgen. Vielleicht also, um ihr Image ein wenig aufzupolieren? Das könnte schon eher ein Grund sein. Und schließlich ist es möglich, dass es wirklich ein ernsthaftes Interesse an Kunst auf Seiten der Firmen gibt – das ist naturgemäß der Grund, der bei der Vorstellung der Arbeiten betont wurde. Tatsächlich hielten sich die Künstler in den Betrieben auf, sprachen mit der Belegschaft und beschäftigten sich vor allen Dingen mit den Materialien, um diese anschließend aus ihren Zusammenhängen zu lösen und in ästhetische Objekte zu verwandeln.
Wenn ich von dem Besuch eines Künstlers in einer Fabrik höre, muss ich an das erste Meisterwerk denken, das ein großer Maler dem Produktionsprozess und damit einer ihm ganz fremden Welt widmete, an das „Eisenwalzwerk“ (1872-1875) von Adolph von Menzel (1815-1905). Menzel besuchte eine riesige, von Rauch durchzogene und vom funkensprühenden Feuer düster erleuchtete Fertigungshalle immer und immer wieder, um dort, bevor er mit der eigentlichen Arbeit begann, eine Unzahl von Zeichnungen anzufertigen – nicht allein von dem großen Ganzen, sondern auch von den einzelnen Werkzeugen und Arbeitsgängen. Zweifellos ging es ihm um das große Ganze, aber das hätte nicht ohne das Verständnis im Detail funktioniert.
Menzel bildete das chaotisch scheinende Ineinander der Arbeitsvorgänge ab, so dass der Betrachter einen ungeheuer lebendigen Eindruck von der Fabrik bekommt, von den schweren Arbeitsbedingungen, den Lichtverhältnissen, der riesigen Halle. Besonders im Gedächtnis bleiben dem Betrachter die Bewegungen der mit dicken Lederschürzen geschützten Männer, die uns noch heute anschaulich machen, wie schwer ihre Arbeit wirklich war. Die Materialität des Eisens dagegen hat Menzel ganz offensichtlich nicht interessiert, und er hätte verständnislos reagiert, wenn man ihn daraufhin angesprochen hätte; wenn überhaupt, dann hätte er die Oberfläche des Eisens nur als eines von vielen Momenten beachtet.
Es ist diese Totalität der Sicht, die allen Arbeiten in der Lübecker Ausstellung fehlt, aber nicht etwa, weil die einzelnen Künstler nicht das Genie eines Menzel besaßen. Geschenkt! Und natürlich hat die Abbildung einer für die meisten von uns ganz und gar exotischen Welt heute nicht mehr die Funktion früherer Zeiten – heute wissen wir alle dank des Fernsehens, wie es in solchen Hallen aussieht. Oder wir glauben es jedenfalls… Also: Was soll man tun, wenn man als Künstler von einer Firma eingeladen wird? In der Kunsthalle St. Annen kann man sich das jetzt anschauen.
In ausnahmslos allen Fällen wurde ein subjektiver Zugang gewählt, der die Produktion und das wirkliche Leben der Firmen komplett ausblendet. Einzelne Gegenstände werden isoliert, um sie als ästhetische Objekte zu behandeln, ganz gleich, ob es sich um leere Patronenhülsen, Haferkörner oder Holzstücke handelt. Dabei sind die meisten Arbeiten mit einem Wort der Kuratorin „collagemäßig“ organisiert. Sie kombinieren verschiedene Aspekte und Materialien und wollen auf diese Weise beim Betrachter allerlei Assoziationen hervorrufen. Am stärksten ausgeprägt ist dies bei der Installation des in Benin geborenen Georges Adéagbo, dessen Partnerin die Sparkasse Holstein war. Er ließ sich von den Mitarbeitern Erinnerungsstücke oder Accessoires geben, um sie mit Zeitungsausschnitten, einer Schaufensterpuppe oder kleinen Bildchen zu kombinieren. Und noch mit anderen Sachen, zum Beispiel mit Zeichnungen fiktiver Briefmarken. Sein Projekt ist viel perspektivenreicher, als es die anderen Objekte sind, aber ebenso subjektiv.
Gleich eingangs der Ausstellung findet sich eine bunte Arbeit, die ein typisches Vorgehen veranschaulicht: Aus Kabelbindern hat die Dänin Kit Kjærbye eine LED-Glühlampe gebastelt, und wir sind nicht überrascht, dass die Stadtwerke Lübeck darin „eine tolle Möglichkeit“ erkennen, ihrem „Produkt ‚Energie‘ buchstäblich ein ganz neues und kreatives Gesicht zu verleihen.“ Kabelbinder, erläutert die Kuratorin im Katalog, „schaffen Verbindungen“. Und richtig, die Lampe hat wirklich einen Stecker!
Dänemark ist sehr präsent in der Kunsthalle, denn auch Peter Lang kommt von dort; seine Zusammenarbeit mit der an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze gelegenen Wirtschaftsakademie brachte ihn auf den Gedanken, eine „Grüst“ nachzubauen (eine „Grenzübergangsstelle“). Es handelt sich in der Hauptsache um das Häuschen der DDR-Grenztruppen, deren Liebenswürdigkeit unvergessen bleiben wird. Dass es halb in den Erdboden eingesunken ist, soll vielleicht das allmähliche Verblassen der Erinnerung an diese Zeit andeuten. – Die Bedeutung Dänemarks für diese Ausstellung spiegelt sich auch im Katalog, denn alle Texte finden sich in dänischer Übersetzung.
Es würde zu weit führen, sämtliche Arbeiten ausführlich zu beschreiben. Sebastian Schröder hat in seinem „Postament“ genannten Projekt metallische Formteile von der Firma HAKO zu Skulpturen zusammengesetzt, also allein als ästhetische Objekte behandelt. Almut Linde, Partnerin der Gebäudereinigungsfirma Bockholdt, hat in ihrem Konzept des „Dirty Minimal“ Fichtenbretter zunächst mit Hochdruck gereinigt und dann an die Wand gelehnt. Thomas Kadziola – ein weiterer Däne – hat als einziger eine herkömmliche Holzskulptur geschaffen, die er „Ib“ nannte und für die er sich unter anderem durch einen Besuch von St. Jacobi inspirieren ließ. Das lässt sich an den etwas zu weit oben angesetzten Augen erkennen, die sich auch bei gotischen Figuren finden, auf die man meist von unten schaut.
Thomas Rentmeister, Partner der Hass + Hatje GmbH, schuf aus geschichteten Holzdämmstoffplatten eine Art Würfel, die er zunächst mit einer Kettensäge, sodann mit Zupfen in Form brachte. Pia Stadtbäumer stellt „They Thought It’s Human“ vor, handartige Kunststoffgliedmaßen, die Haferkörner halten, Grundbestandteile des Müslis der Firma Brüggen. Janine Gerber war Partnerin von Gollan, einer Firma, die unter anderem mit Recycling ihr Geld verdient; so stellte die Künstlerin Abfallprodukte aller Art zusammen und nennt das Ergebnis „Verkörperung einer Stadt“. Und Thomas Judisch endlich, Partner der Eutiner Metallhandlung Gustav Tesnau, legte die abgeschossenen Patronenhülsen von Übungsmunition so geschickt auf den Boden, dass der Betrachter den Eindruck eines riesigen Topfuntersetzers bekommt.
Hervorgehoben sei „Querung“ von Andreas Pfeifer, der mit Femern A/S zusammengearbeitet hat, also mit dem Unternehmen, das schon bald den Tunnel unter dem Fehmarnbelt zu graben hofft. Dem Katalog kann man entnehmen, dass dieses Projekt wie jedes andere große Bauvorhaben ein „Für und Wider“ kennt. Das ist sehr diplomatisch formuliert, denn tatsächlich wird der Tunnel von sehr vielen Menschen auf Fehmarn und in Ostholstein entschieden abgelehnt; sie glauben (und können dafür mancherlei Gründe anführen), dass sich ihre Lebenssituation durch die provozierte Verstärkung des Verkehrs entschieden verschlechtern wird.
Kann man also verstehen, dass der Künstler hier lieber nicht Position beziehen will, sondern sich auf eine ästhetische Position zurückzieht? Er hat eine begehbare Skulptur geschaffen, welche die Situation unter dem Meer während des Baus simuliert: Man soll sich so fühlen, als wenn man sich tatsächlich tief unter dem Meeresspiegel aufhält. Diese Konzeption erinnert Rosa Windt im Katalog an „Land- und Minimal-Art“: „Als Einschreibung in die Natur werden Masse und Beschaffenheit des Bauwerks seinem ideellen Wert als Verbindung zwischen zwei Ländern gegenübergestellt“, so dass „das Bauvorhaben als kultureller Moment mit skulpturalem Charakter sichtbar“ wird.
Also wirklich, ich weiß nicht… Sind das nicht etwas zu große Worte?
Angesprochen werden müssen die qualitativ hochwertigen und wirklich sehr ansprechenden Fotos, die Michael Haydn für den Katalog erstellt hat. Allerdings geben sie nicht die Situation in der Kunsthalle wieder. Beispielsweise wurde die von Thomas Kadziola geschaffene Holzskulptur in einer Lagerhalle von HSP Holz und Projekte fotografiert, also auf dem Gelände einer Firma, die „individuelle Spielgeräte“ für Spielplätze und Außenanlagen herstellt. Es handelt sich bei dem Katalog nicht um ein Buch, sondern um einen Karton, der für jedes Kunstwerk eine zweisprachige Broschüre enthält.
Kunstbetriebe3 – Neue Impulse für Wirtschaft und Kultur
29. November 2019 bis 12. Januar 2020
in der Kunsthalle St. Annen, St. Annen-Str. 15, in 23552 Lübeck
Geöffnet: Di-So, 01.01.-31.03. 11-17 Uhr / Di-So 01.04.-31.12. 10-17 Uhr
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: © Michael Haydn. Werk von Kit Kjærbye „Strom" (Detail)
Galerie:
01. Peter Land: “Kontrollpunkt”. Foto: Stefan Diebitz
02. Georges Adéagbo: “Les Banques et la Banque!" (Detail). Foto: Stefan Diebitz
03. Thomas Hudisch: „Eine Ladung Blaue Bohnen“, Hintergrund: Almut Linde: "Dirty Minimal #114". Foto: Thomas Judisch
04. Thomas Rentmeister: o.T. (Detail) Foto: Stefan Diebitz
05. Georges Adéagbo: "Les Banques et la Banque!" (Detail). Foto: Stefan Diebitz
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