Die diesjährige Sommerausstellung im Schweriner Museum zeigt den wenig bekannten, aber sehr bedeutenden Landschaftsmaler Carl Malchin.
Auf den ersten Blick scheint er in Konventionen gefangen gewesen zu sein, aber ein genaueres Hinsehen entdeckt einen ebenso eigenständigen wie ernsthaften, malerisch sehr versierten Künstler. Von Langeweile also keine Spur – ganz im Gegenteil.
Der 1838 in Kröpelin bei Rostock geborene Carl Malchin wurde nicht auf dem schnellsten Weg ein Maler. Zunächst wollte er Schiffsbauer werden, aber als er dafür körperlich nicht geeignet schien, schlug er die damals sehr zukunftsträchtige Laufbahn eines Landvermessers ein. 1860 bis 1862 bildete er sich in München fort, beschäftigte sich aber gleichzeitig – allerdings beileibe nicht nur so nebenbei – mit Kunst, ohne über Zeichen- und Malunterricht sein Studium ganz und gar zu vernachlässigen. So konnte er anschließend Vermessungsingenieur in Diensten des Großherzogs von Schwerin werden; gemalt wurde in jener Phase nur noch in seiner Freizeit. Nachdem er ein erstes Bild hatte ausstellen dürfen, intervenierte angesichts seiner offensichtlich übergroßen Begabung der Hofmaler Schoepke beim Herzog. Eben das wurde die große Wende seines Lebens, denn der Familienvater Malchin erhielt ein Stipendium für die Kunsthochschule Weimar bewilligt, wo er sich unter dem Einfluss von Theodor Hagen und Albert Brendel zu einem Realisten entwickelte.
Der Titel der Ausstellung ist nicht allein verwirrend, sondern sogar direkt falsch. Denn wo liegt Barbizon? In Frankreich, ganz in der Nähe des großen Waldes von Fontainebleau, wo Carl Malchin aber tatsächlich nie gewesen ist. „Von Barbizon“ kam er also nicht. Der Titel spielt darauf an, dass der Mecklenburger Maler über Umwege von einer sich in Barbizon treffenden Künstlergruppe beeinflusst wurde. Wie seine französischen Kollegen suchte er wenig spektakuläre Ansichten mit interessanten Lichteffekten und malte im Freien, vergaß aber über den ästhetischen Phänomenen nie das Alltagsleben, das in Mecklenburg wie in Frankreich die Darstellung großer Armut und schwerer Arbeit bedeutete. Porträts malte Malchin nur höchst selten – die wenigen, die sich in dieser Ausstellung finden, zeigen Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung.
Der Auftakt der Ausstellung ist den französischen Malern aus Barbizon und ihren großformatigen, sehr häufig dunklen und schwermütigen Landschaftsgemälden gewidmet. Trotz seines Namens ein Franzose war auch Narcisso Virgilio Díaz de la Peña (1807 – 1876), dessen lichtdurchfluteter Waldweg zu den Höhepunkten der Ausstellung gehört.
Malchin wurde ein bedeutender Realist, und vielleicht musste er es werden – sein eigentlicher Beruf wie seine Lehrer ließen kaum einen anderen Weg zu. Wenn man von dem Schweriner Schloss absieht, malte er nicht die Prunkbauten seiner Zeit, sondern Hütten, Katen und reetgedeckte Fischerhäuser. Gelegentlich auch von innen, und man fragt sich angesichts der Innenansicht eines fast leeren Bauernhauses, wie die Menschen ihre Abende verbracht haben. Oder man sieht schlammige Dorfstraßen mit tiefen Fahrspuren. So bedeutete der Realismus Malchins keineswegs allein die stilistische Ausrichtung seiner Malerei, sondern viele seiner Bilder zeigen ganz ungeschminkt das Elend der Mecklenburger Landbevölkerung – im 19. Jahrhundert eine besonders arme Ecke Deutschlands –, wie sie in Malchins Jugend auch von Wilhelm Raabe in seinem „Hungerpastor“, einem häufig aufgelegten Roman von 1853, geschildert wurde.
Neben seinem ursprünglichen Beruf – Landvermesser – und dem Einfluss seiner Lehrer wurde für Malchins Stil noch ein dritter Einfluss entscheidend: Der Großherzog stellte ihn als Restaurator seiner umfangreichen und sehr hochwertigen Bildersammlung ein, die heute den Grundstock des Schweriner Museums bildet. Zunächst bedeutete das natürlich, dass seine Existenz auf diese Weise gesichert war – großes Glück nach einer ziemlich schweren Zeit in Weimar. Jedenfalls scheint es nur logisch, dass Malweise wie Motivwahl Malchins an die Niederländer erinnern, die seit langem einen Schwerpunkt der Schweriner Sammlungen bilden. Beispielsweise malte er wie Paulus Potter mehrfach das liebe Vieh – in dieser Ausstellung findet sich ein ganz wunderbares Beispiel mit sich abkühlenden Kühen in einem flachen Teich. Trotz dieser Kühe aber dominieren Schafe, und zwar bereits bei den Malern aus Barbizon; die sich vor einem Stall drängende Schafherde ist ein realistisches Motiv ganz eigener Art. Einen Hang zur Genremalerei hatte Malchin vielleicht auch schon zuvor besessen, aber die Schweriner Sammlung bedeutender Niederländer wird ihn darin noch einmal bestärkt haben.
Die sehr große, durchdachte und reiche Ausstellung – fast dreihundert Arbeiten! – zeigt neben dem Œuvre Malchins noch eine Reihe von schönen Bildern aus dem Barbizon-Umfeld, überwiegend Landschafts- und Genregemälde. Eine sehr große Rolle spielen besonders die ziehenden Wolken; oft, indem sie die untergehende Sonne durchscheinen lassen. Nicht wenige Bilder sind dunkel und ein wenig melancholisch. Es ist eine unspektakuläre, auf genaue Beobachtung der Wetter- und Lichtphänomene wie der Vegetation beruhende, stets sauber ausgearbeitete Pleinairmalerei.
Für diese Ausstellung gibt es einerseits einen opulenten Katalog im Deutschen Kunstverlag. Dem Katalogteil, der allein die Bilder Malchins enthält, sind vier Aufsätze vorgeschaltet, von denen der umfangreichste aus der Feder des Kurators Tobias Pfeifer-Heike stammt und die Biographie Carl Malchins zusammen mit den oben angedeuteten Einflüssen behandelt. Dazu gibt es einen Aufsatz über die Arbeit Malchins als Restaurator, einen über die Bedeutung der Ölskizze für sein Werk und endlich eine sozialgeschichtliche Untersuchung – schließlich handelt es sich bei diesem Maler um einen bedeutenden Realisten.
Das Museum hat sich einiges einfallen lassen, um diese Ausstellung zu bewerben: Zunächst hat es eine eigene Website eingerichtet, die mit etlichen Fotos über die Entstehung der Ausstellung unterrichtet und dazu einen guten Überblick über die Werke Carl Malchins gibt. Zusätzlich kann man für ganze zwei Euro ein Magazin in einem eher journalistischen Stil erwerben. Eine gute Idee, denn es finden sich einige interessante Marginalien, besonders zu den Motiven. Die Hauptrolle spielt im „Malchin-Magazin“ die Geographie, und es werden säuberlich die vielen verschiedenen Orte aufgezählt und auf einer Karte gezeigt, in denen Malchin gemalt hat. Unter anderem hatte es ihm zwischen 1887 und 1902 die angeblich tausendjährige, wahrscheinlich „bloß“ siebenhundertjährige Israelsdorfer Eiche angetan, wegen der er mehrfach nach Lübeck reiste. Nur wenig später – 1922 – erschien der Baum seines pittoresken Aussehens wegen im „Nosferatu“ Friedrich Wilhelm Murnaus, der „Symphonie des Grauens“. 1932 wurde die Eiche gefällt. Obwohl der Rezensent in Israelsdorf haust, hat er seiner übergroßen Jugend wegen, diesen Baum nicht mehr sehen dürfen.
Trotz Israelsdorf: Der Höhepunkt der Ausstellung ist sicherlich das Mecklenburg-Panorama in dem letzten Saal, das nicht weniger als 147 topografisch geordnete Landschaften umfasst. Darunter sind viele, dicht an dicht aufgereihte Ölskizzen in der Größe eines Zigarrenkistendeckels, gehängt unterhalb von mittelgroßen Gemälden, die teils die freie Natur, teils Mecklenburger Dorfleben oder auch die Residenzstadt Schwerin mit ihrem im See gelegenen Schloss zeigen. Es ist nicht allein für die Liebhaber Mecklenburgs eine spannende Sache, die Vielzahl dieser kleinen Bilder zusammen mit mittelgroßen Gemälden abzuschreiten. Es beginnt im Osten mit Rügen, dem Darß und Ahrenshoop, aber in den Bildern Malchins ist weder der aufkommende Tourismus noch die Künstlerkolonie des frühen 20. Jahrhunderts auch nur zu erahnen. Im Westen geht es bis nach Boltenhagen und Lübeck (die Israelsdorfer Eiche!), ja sogar bis nach Schleswig. Immer wieder morastige Dorfstraßen, alte Mühlen, ziehende Wolken…
Es ist eine schöne, sehr empfehlenswerte Ausstellung. Carl Malchin war ein großartiger Maler.
Von Barbizon bis ans Meer. Carl Malchin und die Entdeckung Mecklenburgs.
Staatliches Museum Schwerin, bis 6. Oktober 2019Weitere Informationen
Katalog: Von Barbizon bis ans Meer. Carl Malchin und die Entdeckung Mecklenburgs.
Herausgegeben von Tobias Pfeifer-Helke.
Deutscher Kunstverlag 2019
256 Seiten
ISBN-13: 978-3422980280
Abbildungsnachweis:
Headerfoto: G. Broecker Carl Malchin: Gerichtssekretaer. Jahr im Freien malend
Alle Abb. Carl Malchin (c) Staatliche Museen Schwerin
01. Mondscheinstimmung am Schweriner See
02. Ausstellungsansicht
03. (nach Narcisso Virgilio Diaz de la Pena) Im Wald, um 1850
04. Windmuehle bei Ahrenshoop, 1891
05. Sommer Schweriner Schlossgarten
06. Ein alter Schuster
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