Dramatische Gesten oder Farben sind ihre Sache nicht, nur ein stiller, kraftvoller Realismus. (Julian Exner, 1987)
In einer Einzelausstellung präsentiert das Frankfurter Städel Museum bis zum 17. März 2019 die Malerin Lotte Laserstein, deren umfangreiches Œuvre zu den großen Wiederentdeckungen der letzten Jahre gehört. Rund vierzig Gemälde, Zeichnungen und Fotografien zeigen den künstlerischen Werdegang dieser ungewöhnlichen Frau, wobei der Fokus auf der Zeit der Weimarer Republik liegt. Diese vor ihrer Emigration nach Schweden entstandenen Bilder stellen – aus heutiger Sicht – den Höhepunkt ihres Schaffens dar. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verblasst ihr Ruhm: sie ist nicht mehr zeitgemäß und gerät in Vergessenheit. Wer war Lotte Laserstein?
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933, gelingt Lotte Laserstein vier Jahre später die Flucht nach Schweden. Als Künstlerin und „Dreivierteljüdin“ von den Nazis diffamiert, gebrandmarkt und vom offiziellen Kunstleben ausgeschlossen, sollte sie bis zu ihrem Tod 1993 in Kalmar/Schweden leben.
Geboren wird sie 1898 als Tochter des wohlhabenden Apothekers Hugo Laserstein und seiner Frau Meta, geb. Birnbaum in der Kleinstadt Preußisch Holland Ostpreußen (heute Pełsak/Polen). Von 1921 bis 1927 erfolgt ein Studium an den Vereinigten Staatschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin bei Erich Wolfsfeld, dessen Meisterschülerin sie für zwei Jahre wird – bis 1919 ist Frauen der Besuch einer Akademie in Deutschland untersagt.
Aber wie schafft Laserstein eine Karriere als Malerin in der männlich dominierten Kunstszene? Nach der Studienzeit leitet sie ein eigenes Atelier und eine private Malschule, beteiligt sich erfolgreich an Ausstellungen und Wettbewerben, wird Mitglied im Verein der Berliner Künstlerinnen. Die renommierte Galerie „Fritz Gurlitt“ – spezialisiert auf zeitgenössische Kunst – zeigt bereits 1931 ihre Werke in einer Einzelausstellung.
Thematisch und motivisch stehen ihre Arbeiten im Stil der Neuen Sachlichkeit. Ihr Malstil ist sachlich-nüchtern, etwas unterkühlt, aber nie gesellschaftskritisch, überzeichnend oder karikierend, wie zum Beispiel bei George Grosz. Mit großflächigem Pinselduktus skizziert sie ihr alltägliches Umfeld. Und das mit einer akribischen Genauigkeit, die an die Alten Meister oder den Realismus des 19. Jahrhundert erinnert. Ikonographische Bildformeln und malerische Traditionen werden von ihr adaptiert, neu interpretiert und in einen zeitgenössischen Kontext überführt. Bilder von bestechender Aktualität entstehen.
Lotte Lasersteins beliebtestes Modell ist der Mensch in all seinen Facetten und Schwächen. Sie malt in gedeckten, häufig erdfarbenen Tönen das pulsierende Leben der Berliner Großstadt: die modisch aufgebrezelten Frauen im Café, die flanierenden Männer, den technischen Fortschritt, kurzum: sie malt den Zeitgeist der 1920er Jahre, den Glauben an den technischen Fortschritt und die Modernisierung der Gesellschaft. Der Traum von Unabhängigkeit und Geschwindigkeit kommt in „Der Motorradfahrer“ von 1929 hervorragend zum Ausdruck. Sie portraitiert darin einen selbstbewussten jungen Mann in typischer Lederbekleidung vor seinem Motorrad Marke „NSU 251 R“ posierend – Motorräder erobern in der Weimarer Republik zunehmend das Straßenbild. War das Vehikel vor 1914 noch ein Luxusprodukt, so wurde es nach Kriegsende als günstiges Transportmittel immer beliebter. Das Gemälde ist übrigens eins der wenigen männlichen Portraits der Berliner Jahre, in denen ansonsten die Frauenportraits überwiegen.
Zu Lasersteins Hauptwerk gehört „Abend über Potsdam“, das sich thematisch am christlichen Abendmahl orientiert und heute zur Sammlung der Nationalgalerie Berlin gehört. Die großformatige Holztafel aus dem Jahr 1930 zeigt einen bildparallel aufgebauten Tisch mit weißem Tischtuch auf einer Dachterrasse, um den sich fünf Personen – zwei Männer, drei Frauen – und ein liegender Hund gruppieren. Im Hintergrund erkennt der Betrachter die topografisch genaue Ansicht der Stadt Potsdam. Auf den ersten Blick vermittelt die Dachgartengesellschaft den Eindruck einer abendlichen Idylle. Doch der Schein trügt. Weltuntergangsstimmung! Die Personen verharren mit leerem Blick in ahnungsvoller Melancholie, in einem unbestimmten Warten und grüblerischem Sinnieren. Ist die bedrückte Stimmung eine Vorahnung auf den aufkeimenden Antisemitismus im Deutschen Reich? Oder ist es die Weltwirtschafskrise, welche die jungen Leute schockiert?
In zahlreichen Selbstbildnissen und Portraits hinterfragt die Malerin immer wieder das Idealbild der modernen Frau. Vor allen Dingen in den Malerin-Modell-Darstellungen mit der Schauspielerin und Sängerin Traute Rose signalisiert Laserstein ihre Stellung als eigenständige Frau und Malerin, die sich für den Beruf und gegen die Ehe entschieden hat. So auch in dem Bild „In meinem Atelier“ von 1928, wo sich das Modell als schlafende Venus à la Tizian auf dem Bett rekelt und sich die Künstlerin als androgyner, sportlich-maskuliner Frauentyp mit kurzem Bubikopf an der Staffelei präsentiert. Ihre Muse und Freundin Gertrud Rose (geb. Süssenbach), genannt Traute, verkörpert genau wie sie den Typus der „Neuen Frau“, wie er in den Medien propagiert wird. Rose wird in zahlreichen Bildern porträtiert, in Aktdarstellungen oder in der Rolle der selbstbewussten und sportbegeisterten Frau als „Tennisspielerin“ von 1929. Mit eindringlicher Intensität, ähnlich dem aufkommenden Fotojournalismus, charakterisiert Laserstein die Gesichter ihrer Geschlechtsgenossinnen, die sich zwischen Distanz und Nähe, zwischen Sachlichkeit und Sensibilität bewegen. Sie hat Erfolg. Ihr unverwechselbarer Malstil macht sie in der Kunstszene der Weimarer Republik bekannt. Kunstkritiker prophezeien ihr eine glänzende Karriere. „Lotte Laserstein – diesen Namen wird man sich merken müssen. Die Künstlerin gehört zu den allerbesten der jungen Maler Generation, ihr glanzvoller Aufstieg wird zu verfolgen bleiben!“, heißt es 1929 noch im Berliner Tageblatt. Jedoch es sollte anders kommen. Die Nazis erklären sie aufgrund ihrer jüdischen Großeltern zur „Dreivierteljüdin“, obwohl sie christlich getauft wurde. Ihre Malschule wird geschlossen, ihre Ausstellungen verboten. Sie darf keine Farben mehr kaufen. Es ist das „Aus“ ihrer Karriere als Malerin. Im Juli 1937 startet in München die nationalsozialistische Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ mit mehr als 600 beschlagnahmten Kunstwerken aus rund 30 deutschen Museen. Lotte Lasersteins Werke gehören zwar nicht zu den Exponaten, dennoch gerät sie auf den Index.
In dieser prekären Lebens- und Arbeitssituation nutzt die Malerin eine Einladung der Stockholmer Galerie Moderne zur Flucht. Im Winter desselben Jahres verlässt sie Deutschland mit einem Teil ihrer Werke. Nach Deutschland kehrte sie auch nach dem Krieg nicht zurück. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an das Land: Ihre Mutter kommt 1943 im KZ Ravensbrück ums Leben, ihre Schwester Käte überlebt die Kriegsjahre in einem Berliner Versteck. Vor allen Dingen die jüdische Gemeinde in Stockholm unterstützt sie und arrangiert eine Scheinehe mit dem jüdischen Kaufmann Sven Marcus, die ihr die schwedische Staatsbürgerschaft und ein uneingeschränktes Bleiberecht ermöglichen. Der Neubeginn im Exil gestaltet sich als schwierig. Zwar etabliert sie sich mit Portraits und Landschaftsbildern, aber an ihre Berliner Erfolge kann Lotte Laserstein nicht mehr anknüpfen.
In einem Katalog aus den siebziger Jahren äußert sie sich: „Wirklichkeit? Das ist und war mir die Arbeit, seit ich Kind bin. Mein Leben wurde in zwei fast gleichgroße Teile geteilt: Kindheit, Jugend, Ausbildung, die erste selbständige Arbeit und der Weggang aus Deutschland. Dann ein neuer mühsamer Start in Schweden. Hätte ich nicht meine eigene Wirklichkeit im Malkasten gehabt, diesem kleinen Köfferchen, das mich von Skä' ne über Stockholm bis nach Jämtland führte, so hätte ich die Jahre nicht durchstehen können, in denen mir alles genommen wurde: Familie, Freunde und Heimat. Einen Teil davon fand ich dank meiner eigenen, meiner einzigen Wirklichkeit zurück.“
Erst 2003 wird die Künstlerin in Deutschland mit der Ausstellung „Lotte Laserstein. Meine einzige Wirklichkeit“ im Verborgenen Museum in Berlin wieder entdeckt. Nach ihrem Auftakt im Frankfurter Städel Museum wandert diese Ausstellung weiter an die Berlinische Galerie. Dort wird die Schau unter anderem um Exilwerke von Lotte Laserstein ergänzt.
„Sie (Lotte Laserstein) kann der sogenannten ‚verschollenen Generation‘ zugerechnet werden, da ihre realistisch gemalten Bilder in der avantgardeorientierten Nachkriegsforschung vernachlässigt wurden. Erst seit den 1990er-Jahren findet diese außergewöhnliche Künstlerin eine späte Würdigung, zu der unsere Ausstellung einen entscheidenden Teil beitragen kann“, so die Kuratoren der Ausstellung, Alexander Eiling und Elena Schroll.
Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht
Zu sehen bis zum 17. März 2019 im Städel Museum Frankfurt, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main.Die Öffnungszeiten sind Di, Mi, Sa, So von 10-18 Uhr, Do, Fr von 10-21 Uhr, Mo geschlossen.
Ein Katalog ist erschienen.
Weitere Informationen www.staedelmuseum.de
Abbildungsnachweis: Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht. Alle © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Header: Ausstellungsansicht Lotte Laserstein (1898–1993)
Galerie:
01. Abend über Potsdam, 1930, Öl auf Holz, 111x205,7cm. Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Roman März
02. In meinem Atelier, 1928, Öl auf Holz, 46×73cm. Privatbesitz. Foto: Lotte-Laserstein-Archiv / Krausse, Berlin
03. Liegendes Mädchen auf Blau, um 1931, Öl auf Papier, 69×93cm. Privatbesitz, Courtesy DAS VERBORGENE MUSEUM, Berlin Foto: DAS VERBORGENE MUSEUM, Berlin
04. Ausstellungsansicht Lotte Laserstein
05. Russisches Mädchen mit Puderdose, 1928 Öl auf Holz, 31,7x40cm. mStädel Museum, Frankfurt am Main. Foto: Städel Museum-ARTOTHEK
06. Mongole, um 1927, Öl auf Holz, 27,1x21,8cm Privatbesitz. Foto: Lotte-Laserstein-Archiv / Krausse, Berlin
07. Tennisspielerin, 1929, Öl auf Leinwand, 110×95,5cm. Privatbesitz. Foto: Berlinische Galerie
08. Ausstellungsansicht Lotte Laserstein
09. Selbstporträt im Atelier Friedrichsruher Straße, um 1927, Öl auf Leinwand, 32x42cm. Leihgabe aus Privatbesitz, Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur Foto: Kai-Annett Becker/Berlinische Galerie
10. Wanda von Debschitz-Kunowski, Ohne Titel (Lotte Laserstein vor dem Gemälde „Abend über Potsdam“), undatiert Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Foto: Anja Elisabeth Witte/Berlinische Galerie
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