Wenn die Lokomotive dampfend aus dem offenen Kamin braust, wenn ein Huhn traurig auf ein Ei im Eierbecher blickt, wenn Männer mit Bowler unterwegs sind und die Regenschirme aus dem Himmel tropfen, ist sicher, dass solch rätselhafte Szenerien nur Schöpfungen von René Magritte (1898-1967) sein können.
Die Frankfurter Kunsthalle Schirn widmet dem belgischen Phantasiekonstrukteur eine umfangreiche Ausstellung mit gut 70 Ölbildern. Gezeigt werden zudem Plakate für die belgische KP und Korrespondenzen mit Philosophen wie dem Heidegger-Interpreten Alphonse De Waelhense oder Michel Foucault.
Der Meister besaß kein Atelier. Wenn er zu malen gedachte, rollte er im Wohnzimmer einen kleinen Teppich aus und machte sich ans Werk, trug dabei keinen Malerkittel, sondern gern einen feinen Anzug, was ihm auch den Beinamen „Buchhalter des Surrealismus“ eintrug. Im Gegensatz zum Surrealisten-Vordenker André Breton und dessen Pariser Kollegen Max Ernst, Salvador Dalí, Jean Arp oder Paul Eluard, die mit Somnabulismus und der Écriture Automatique zu den verborgenen Quellen des Unbewussten zu gelangen suchten, zog Magritte die Inszenierung des Irrationalen mit rationalen Mitteln vor. Breton war nicht begeistert, schloss ihn von Ausstellungen aus, erwähnte ihn nicht einmal in seinem Buch „Der Surrealismus und die Malerei“. Magritte reagierte mit seiner farbüberladenen „Période vache“ im Stil der Fauves, verstörte damit die Pariser Surrealisten. Er selbst persiflierte sich mit sieben Pfeifen im Gesicht, eine davon im Auge. Damit griff er ein früheres Motiv wieder auf, die Pfeife. Die laut schriftliche Auskunft keine Pfeife, sondern eben nur das Abbild einer Pfeife war. Damit wollte Magritte den Betrachter dazu anregen, nicht vordergründig an den äußeren Wahrnehmungen eines Objektes hängenzubleiben, es vielmehr zu hinterfragen, sich mithin mit den Eigenarten des dargestellten Objektes auseinanderzusetzen.
In der Frankfurter Ausstellung wird Magritte als Künstler präsentiert, der das Denken malt. Dieser Anspruch geht zurück auf Magrittes Erweckung, als er 1922 eine Reproduktion von Giorgio de Chiricos „Lied der Liebe“ sah - ein Bild mit gipsernem Apollo-Kopf, einem orangefarbenen Gummihandschuh und einer grünen Kugel. „Dies war einer der ergreifendsten Augenblicke meines Lebens: Meine Augen haben zum ersten Mal das Denken gesehen“ erzählte der Maler selbst.
Magrittes Bilder sind nicht im Rausch entstanden. In nüchterner Akkuratesse malte er seine Szenerien, propagierte die Gleichwertigkeit von Bild und Schrift, spielte mit der Zufälligkeit von Bezeichnungen. Die Vorhänge, die Flammen, die Staffeleien, die Schrift in Magrittes Bildern sind Anzeichen einer Skepsis gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Malerei und stellen ihren Illusionscharakter heraus.
Mit seiner geradezu photographischen Malweise stellte er seine wundersamen Paradoxien einleuchtend selbstverständlich dar. Naturgesetze werden auf den Kopf gestellt, wenn Felsbrocken in der Luft schweben oder der Jockey dem Rennpferd die Sporen gibt – auf dem Dach einer Limousine, in dem zwei gleichgültig schauende Männer sitzen. Dahinter mag ein modernes Verständnis von Realität stecken: Dass die Wirklichkeit ein Zusammenspiel von Wahrscheinlichkeiten sei.
Magritte. Der Verrat der Bilder
Zu sehen bis 5. Juni 2017
Kunsthalle Schirn, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main
Es ist ein Katalog und ein Begleitheft erschienen.
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René Magritte. Die sechs Elemente
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Magritte. Der Verrat der Bilder – Jetzt in Frankfurt
Abbildungsnachweis: Magritte. Der Verrat der Bilder
Header: Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Norbert Miguletz
Galerie:
01. René Magritte, This is not a pipe, 1935, Öl auf Leinwand, 27x41cm, Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 2017
02. René Magritte, Les Amants, 1928, Öl auf Leinwand, 54x73.4cm, New York, Museum of Modern Art (MoMA), Gift of Richard S. Zeisler © 2017 Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence/VG Bild-Kunst, Bonn 2017
03. René Magritte, Le palais de rideaux III, 1928/29, Öl auf Leinwand, 81.2x116.4cm, The Sidney and Harriet Janis Collection© 2017. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence/VG Bild-Kunst, Bonn 2017
04. René Magritte, La lecture défendue, 1936, Öl auf Leinwand, 54,4x73,4cm, Royal Museums of Fine Arts of Belgium, Brussels, Foto: J. Geleyns - Ro scan / Charly Herscovici, with his kind authorization – c/o SABAM-ADAGP, 2016 © VG Bild-Kunst, 2017
05. René Magritte, L’Art de la conversation, 1950, Öl auf Leinwand, 51.4x59.1cm, New Orleans Museum of Art, Gift of William H. Alexander, 56.61 © VG Bild-Kunst, Bonn 2017
06. René Magritte, Les Mémoires d’un saint, 1960, Öl auf Leinwand, 80x99,7cm, The Menil Collection, Houston © VG Bild-Kunst, Bonn 2017
07. Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2017, Foto: Norbert Miguletz
08. René Magritte, L'Heureux donateur, 1966, Öl auf Leinwand, 55,5x45,5cm, Musée d'Ixelles-Brussels, Photo: Mixed Media © VG Bild-Kunst, Bonn 2017
09.Duane Michals, Magritte (Coming and Going), 1965 © Duane Michals, Courtesy of DC Moore Gallery, New York
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