Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne
- Geschrieben von Isabelle Hofmann -
Ihre Bilder seien ein „gemalter Schrei des Weibes nach dem Kinde“, urteilte der Kunsthistoriker Richard Hamann in den 1920er Jahren. Einem anderen Experten fehlte „weiblicher Geschmack und Zartgefühl“. Keine Frage: Paula Modersohn-Becker hatte es schwer mit ihrer Kunst. Gerade die sogenannten „Kunstkenner“ haben sie oft verklärt und schwer unterschätzt.
Im Bucerius Kunst Forum rückt Uwe M. Schneede, der ehemalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, nun den Stellenwert dieser Ausnahmekünstlerin „mit klarem, nüchternen Blick“ zurecht und präsentiert sie als visionäre Wegbereiterin der Moderne in Deutschland.
Noch heute haben es Künstlerinnen schwer auf dem Kunstmarkt, wie muss es da erst um 1900 gewesen sein? An den Akademien waren Frauen noch nicht einmal zugelassen, durften nur teure Privatschulen besuchen. Im Wilhelminischen Kaiserreich war klar, wo eine Frau hingehört – an den Herd und an die Seite ihres Mannes. Wenn sich eine Künstlerin dagegen wehrt – und dann noch ein so tragisches Schicksal erleidet, wie Paula Modersohn-Becker (1876-1907), den viel zu frühen Tod nach der Geburt ihrer Tochter Mathilde – ist es wohl kein Wunder, dass „Sentimentalität und Schwulst“ (Schneede) die Rezeption des Werkes nur allzu oft geprägt haben. Hartnäckig hält sich das Bild der emotionalen Malerin aus Worpswede, die mit ländlich derbem und naivem Pinselstrich das „Frauenthema“ Nummer Eins, das Kind, auf die Leinwand bannt. Es scheint so passend zu sein für die melancholische junge Frau aus dem verträumten Moordorf vor den Toren Bremens.
Doch diese Sicht hat mit Paula Modersohn-Becker nur wenig zu tun. Jeder, der sich schon mal etwas eingehender mit ihrem Leben und Werk beschäftigt hat, weiß, dass sie Worpswede zwar geliebt hat, aber die Enge der Provinz (und ihre Ehe mit dem elf Jahre älteren Maler Otto Modersohn) auf Dauer nicht ertragen konnte. Paulas Stadt war Paris. In der Silvesternacht 1900, gerade 24 Jahre alt, brach sie das erste Mal in Europas pulsierende Kunstmetropole auf. Diese Stadt war für sie Befreiung und Offenbarung in einem. Zum ersten Mal war sie ungebunden, konnte nach Lust und Laune durch Museen und Galerien schlendern, Künstler, wie Gauguin, Van Gogh oder Matisse studieren, Cézanne und Rodin besuchen und Malunterricht in einer privaten Akademie im ‚Quartier Latin’ nehmen. Drei Mal kehrte sie noch für längere Aufenthalte nach Paris zurück, 1903, 1905 und 1906/07. Immer wieder schilderte sie in Briefen und Tagebüchern begeistert die Eindrücke und Begegnungen dieser Aufenthalte. „Die fremde Stadt mit ihren tausend Schwingungen“ wurde für Modersohn-Becker „ungefähr Lebensbedürfnis“, wie sie ihrer Mutter schrieb. Und nur einen Monat vor der tödlichen Embolie bezeichnete sie den damals noch unbekannten Cézanne in einem Brief an ihre Freundin Clara Westhoff als einen „von den drei oder vier Malerkräften…, der auf mich gewirkt hat wie ein Gewitter“.
Den Einfluss der französischen Avantgarde auf das Werk von Paula Modersohn-Becker hat die Bremer Kunsthalle bereits 2007 in einer aufsehenerregenden Ausstellung aufgezeigt. Die Hamburger Schau geht jetzt noch einen Schritt weiter: Sie stellt die Künstlerin nicht nur als eine der wenigen großen singulären Frauengestalten der Kunstgeschichte vor, sondern als eine völlig auf sich selbst gestellte Suchende, die zwischen zwei „grundverschiedenen Generationen deutscher Künstler gelebt und gearbeitet hat“ (Schneede). Die eine, die von Max Liebermann und Lovis Corinth, war ihr viel zu konventionell. Die andere, die Generation der Expressionisten, war noch gar nicht auf dem Schirm. Erst ab 1909 revolutionierten die Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“ das Sehen in Deutschland. In diesem zwischenzeitlichen künstlerischen Vakuum musste Paula Modersohn-Becker ihren Weg also alleine finden und das tat sie in Auseinandersetzung mit französischen Kollegen. Es ist zwar nicht belegt, ob sie Picasso kannte und traf, doch es ist anzunehmen, denn es lassen sich erstaunliche Parallelen zwischen seiner Porträt-Auffassung und ihrer finden. Beide lösen sich gleichzeitig vom Abbild, hin zu einem maskenhaften Gesicht, das über den persönlichen Ausdruck hinweg einen Archetypus verkörpert. In der ausgezeichnet gehängten Schau kommt die Abkehr vom Individuum, hin zu der allgemeingültigen „großen einfachen Form“, die Modersohn-Becker suchte, klar und konzentriert zum Vorschein. Bislang war die „Entdeckung“ afrikanischer Stammeskunst um 1906 und die damit verbundene Neuerung der Kunst an die Avantgarde in Paris geknüpft. Bilder, wie „Kniender Mädchenakt vor blauem Vorhang“ (106/07), „Burstbild Lee Hoetger“ (1906) oder „Selbstbildnis nach halbrechts, die Hand am Kinn“ (1906) machen klar, dass auch eine Deutsche dabei war – zeitgleich und auf Augenhöhe.
Paula Modersohn-Becker. Der Weg in die Moderne
Zu sehen bis zum 1. Mai 2017 im Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, 20095 Hamburg
Eintritt 9 €, erm. 6 €, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei.
Weitere Informationen
Abbildungsnachweis:
Header: Blick in die Ausstellung Paula Modersohn Becker. Der Weg in die Moderne im Bucerius Kunst Forum, 2017 Photo: Ulrich Perrey
Galerie:
01. Portrait der Künstlerin
02. Zwei Mädchen in weißem und blauem Kleid, sich an der Schulter umfassend, 1906
03. Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, 1906
04. Stillleben mit Goldfischglas, 1906
05. Selbstbildnis nach halbrechts, die Hand am Kinn, Sommer 1906
06. Blick in die Ausstellung Paula Modersohn Becker. Der Weg in die Moderne im Bucerius Kunst Forum, 2017 Photo: Ulrich Perrey
07. Don Quichote, 1900
08. Zwei Mädchen an einem Birkenstamm stehend, um 1902
09. Kopf eines blonden Mädchens mit Strohhut
10. Mädchenbildnis mit gespreizter Hand vor der Brust, um 1905
11. Mädchen in rotem Kleid vor Sonnenblume, 1907
12. Lee Hoetger und Clara Haken
13. Birkenstämme
14. Blick in die Ausstellung Paula Modersohn Becker. Der Weg in die Moderne im Bucerius Kunst Forum, 2017 Photo: Ulrich Perrey
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