Du meine Güte, was für traurige. tragische, schöne Geschichten werden uns in diesem Briefroman ans Herz gelegt. Was für ergreifende Einzelschicksale werden vor uns ausgebreitet.
Gekonnt erzählt von einer, die uns das Früchten lehrt und das Lieben, das Sich-voreinander-Gruseln und das Einander-Liebhaben. Was für eine wunderbare, erstaunliche, großartige Erzählerin ist diese Jane Gardam. Zu viel des Lobes?
Keinesfalls! Wer bisher noch kein einziges Buch der irischen Autorin gelesen hat, kann gut und gerne mit „Gute Ratschläge“ beginnen. So heißt die deutsche Neuerscheinung von Jane Gardam, hervorragend übersetzt aus dem Englischen von Monika Gaark.
Wer ist diese Jane Gardam? 1928 in North Yorkshire geboren, lebt die mehrfach ausgezeichnete Autorin heute in East Kent. In Deutschland wurde sie einem breiten Publikum vor allem durch ihre „Old Filth“-Romantrilogie bekannt. Mit „Ein untadeliger Mann“ begann 2015 die deutsche Erfolgsgeschichte der Jane Gardam, gefolgt von „Eine treue Frau“ (2016) und „letzte Freunde“ (2016). Diese Reihe wie auch alle anderen Gardam-Romane (zumeist von Isabel Bogdan ins Deutsche übersetzt) sind im Hanser Verlag erschienen. So auch „Gute Ratschläge“.
Überraschende Wendungen, erstaunlich, komplex
Die Ich-Erzählerin Eliza, 51, schreibt Briefe an Joan, eine Nachbarin, die sie kaum gekannt hat, der sie nur ein-zweimal, beispielsweise in der Kirche, begegnet ist. Joan hat offenbar ihren Mann Charles und die beiden Kinder verlassen. Joan, die immer richtig gekleidet war, eine mädchenhafte Frisur trägt, aber auch eine Beinschiene und daher nicht mehr Auto fahren kann. Doch Joan hat – so meint Eliza zu wissen – einfach ihre Beinschiene im Bett zurückgelassen und ist mit dem Auto davongefahren. Das ist es, was die fassungslose Eliza zu Briefen an die verschwundene Nachbarin veranlasst, die voller ungeschminkter Wahrheiten und exzentrischer Ratschläge sind, voller Tragik und Komik, voller Einsamkeit, Verzweiflung und Wut.
Der erste Brief ist kurz, so kurz, dass er hier in Gänze zitiert werden kann: „Liebe Joan, ich hoffe, wir kennen uns gut genug, dass ich das sagen darf. Ich finde, du solltest versuchen, das mit deinem Bein zu vergessen. Ich glaube, es ist etwas Psychologisches, Psychosomatisches, und Charles nimmt es furchtbar schwer. Es macht sowohl ihn als auch dich zum Gespött und ihr ruiniert euch euer Leben. Bitte gib dir mal einen ordentlichen Ruck, ja? Vergiss deine ganzen Wehwehchen. Das Leben ist etwas Wundervolles, Joan. Diese großartige Tatsache ist mir bei meiner Arbeit mit den Sterbenden klar geworden. Deine treue Freundin Eliza (Peabody)“. Es ist ein trickreicher Einstieg, den die Autorin gewählt hat, der neugierig macht und erste Fragen bei uns Leser*innen aufwirft: Was ist mit Joans Bein? Wieso ist das „mit dem Bein“ psychosomatisch? Wieso macht diese Sache Joan und ihren Mann zum Gespött? Und was ist das für eine Arbeit mit Sterbenden, der Eliza nachgeht? Elizas erster Brief wirft nicht nur Fragen auf, er weist auch erste Ratschläge aus – viele weitere werden folgen. Ob diese unerbetenen Ratschläge letztendlich gut und hilfreich sind, wird sich zeigen im Laufe dieses 320 Seiten langen, einseitigen (einseitig, weil die Briefe nur in eine Richtung gehen) und zugleich vielseitigen Briefromans (vielseitig, weil diese Geschichte so viele Facetten hat).
Warum ist Joan fort, fragen wir uns? Joan, deren Garten immer unkrautfrei, deren Hund immer wunderschön sauber war, genau so sauber wie ihr Auto und die selbstverständlich eine gute Mutter war. Doch nun laufen ihre Kinder Simon und Sarah „außerordentlich schlampig“ herum, teilt Eliza der Mutter in einem Brief mit. Warum nur hat Joan ihre Familie verlassen? Noch dazu mit dem Auto. Antworten auf ihre vielen Fragen, auf ihre vielen Briefe erhält Eliza jetzt und auch später nicht. Und dann zieht auch noch ihr Mann Henry aus… Immer wilder, ekstatischer, fiebriger, unkontrollierter werden Elizas Briefe. Wenn die „normalen“ Menschen in Elizas Umgebung sie lesen könnten wie wir, dann würden sie staunen über sich selbst. Möglicherweise wären sie aber auch entsetzt über sich selbst. Oder aber sie flüchteten sich in Unverständnis und Ratlosigkeit.
So überraschend, erstaunlich, komplex wie die ständig wechselnden Situationen sind, die Eliza beobachtet und ihrer zur Brieffreundin erkorenen eher unbekannten ehemaligen Nachbarin schildert, so sind auch die Briefe selbst. Sie werden immer unverständlicher, verschlüsselter und verschlossener - dennoch oder gerade deshalb verlieren sie für uns Leser*innen nie ihren Reiz. Ganz im Gegenteil. Auch bei uns steigt die Temperatur in gefährliche Höhe. Fiebrig und fieberhaft lesen wir weiter – atemlos, pausenlos, gehetzt und gespannt auf die nächsten Sätze, Absätze, Seiten… von Cliffhanger zu Cliffhanger. Doch irgendwann ist auch dieses Buch einmal zu Ende gelesen. Es bleibt zum Schluss gar nichts anderes übrig, als „Gute Ratschläge“ allen potentiellen künftigen Lesern ohne Einschränkung mit den besten Empfehlungen ans Herz zu legen.
Jane Gardam: „Gute Ratschläge“
Verlag Hanser
Roman
Übersetzt aus dem Englischen von Monika Baark
320 Seiten
ISBN 978-3-446-27957-5
Weitere Informationen (Verlag)
Die beiden Romane „Weit weg von Verona“ und „Bell und Harry" haben wir bereits bei KulturPort.De vorgestellt.
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