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Für ihren Debütroman „Upe“ (dt.: „Der Fluss“) wurde die 1984 geborene Lettin Laura Vinogradova 2021 mit dem „Europäischen Literaturpreis“ ausgezeichnet. Jetzt liegt das Buch in der Übersetzung von Britta Ringer unter dem Titel „Wie ich lernte, den Fluss zu lieben“ auch auf Deutsch vor.

Es ist ein kleiner, feiner Roman mit einem Umfang von nur 124 Seiten. Die aber haben es in sich, wollen – wenn möglich – in einem einzigen Lesefluss gelesen werden.

Erzählt wird die Geschichte von Rute, deren Schwester Dina vor zehn Jahren verschwand. Die Mutter sitzt seit langem im Gefängnis. Der Vater starb vor kurzem. Im Prolog sind die beiden Schwestern noch vereint. Dina hat Rute besucht, verabschiedet sich, will zur Bushaltestelle. Es ist ein Abschied für immer. Doch das weiß in diesem Moment keine der beiden. „Sie umarmen sich fest, Rute wirft Dina noch einen Luftkuss zu und schließt die Tür./Danach geht alles ganz schnell. Zu schnell um zu schreien. Zu heftig um sich zu wehren.“ Auf dem Heimweg wird Dina von drei Männern überfallen. „Werden sie ihr wehtun? Wird sie überleben?“ das fragt sich Dina und wir fragen uns das ebenfalls. Wird es eine Antwort geben? Das soll hier nicht verraten werden.

 

Laura Vinogradova Upe COVEREin preisgekrönter Roman aus Lettland

Wir erfahren im Prolog, wie die Schwestern aufgewachsen sind und wissen seitdem, die beiden hatten keine gute Kindheit, ganz im Gegenteil… In 19 Kapiteln folgen wir Rute auf der Suche nach ihrer Schwester, begleiten sie auf der Suche nach sich selbst, nach einem glücklichen Leben, nach dem Leben überhaupt. Als der Vater, an den sich Rute nicht erinnern kann, stirbt, flieht sie aufs Land. Sie flieht vor ihrem Liebsten, vor der Stadt, vor sich selbst. Sie zieht in ein Haus, draußen vor der Stadt am Fluss gelegen. „Das alte Haus ist aus Ritzen gebaut. Aus Ritzen in alten Brettern. Zusammengehalten werden die Ritzen nur von den Brettern. Der Wind vom Fluss füllt das Haus. […]“ Dieses Haus gehörte ihrem Vater. Er hat es Rute vererbt. „Sie ist von den Menschen weggegangen. Von den Satinbettlaken. Vom Wasserhahn mit heißem und kaltem Wasser. Von der schwarzen Kloschüssel. Von dem Elektroherd mit Cerankochfeld. Von der Kosmetikerin einmal im Monat. […]“ Rute hat ihren Mann Stefans und die Luxuswohnung verlassen, ist hierher geflohen, um sich selbst zu finden. Das ist schwer für Rute, denn ein Trauma hält sie gefangen: die Schwester ist seit zehn Jahren verschwunden, die Mutter sitzt im Gefängnis, den Vater war nur einer von vielen Liebhabern der Mutter. Rute vermisst ihre Schwester und jetzt sogar die Mutter, den Vater – obwohl sie nie eine richtige Familie waren und schon gar keine glückliche.

 

Erzählt wird in diesem Buch von einem Leben, das von Sehnsucht geprägt ist, erzählt wird vom Suchen und Finden, von Verlust und Gewinn. Rute schreibt Briefe an ihre Schwester, die uns anrühren. Diese Briefe stehen am Ende jeden Kapitels und enthalten Sätze wie: „Die Leere ist so verdammt leer.“, „Gestern hatte ich das Gefühl, dass der Fluss Schmerzen hat.“, „Das Leben passiert irgendwie einfach von alleine.“, „Ich möchte im Fluss bleiben.“ „Der Fluss ist die große Schwester meiner Verzweiflung. […] Sie nimmt einen in sich auf und wiegt einen. Sie wiegt mich wieder zurück ins Leben“, schreibt Rute der vermissten Schwester. Zum Glück gibt es außer der Verzweiflung in der neuen Umgebung Menschen wie Matilde, deren Sohn Lukass und Matildes Bruder Kristofs. Durch Kristofs` Erzählungen lernt Rute endlich ihren verstorbenen Vater kennen und erfährt, was für ein Mensch ihr Vater war. Es gelingt ihr, der Mutter einen Brief ins Gefängnis zu schreiben; sie schafft es sogar, ihre Mutter dort zu besuchen. Rute ist also auf dem Weg zurück ins Leben und wir dürfen sie dabei begleiten. Für die Beschreibung dieses durchaus schwierigen Weges benutzt Laura Vinogradova eine unprätentiöse schlichte Sprache. Sie wählt dabei die richtigen Wörter, die dank der kunstvollen ungekünstelten Handschrift dieser Autorin zu Worten werden. Genau das macht die Wirkung dieses kleinen Buches aus und macht es groß.

 

Laura Vinogradova F PR

Laura Vinogradova. Foto: Verlag/PR

 

Erschienen ist der Roman im Paperento Verlag in der „Edition der unabhängigen Verlage“, der ausgewählte Titel zeitgenössischer Autoren vereint. Zehn Verlage, zehn Bücher bilden den Auftakt für diese „Schöne Bücher Bibliothek


Laura Vinogradova: „Wie ich lernte, den Fluss zu lieben“

Originaltitel: Upe

Paperento Verlag/Edition Wannenbuch

Aus dem Lettischen von Britta Ringer

Roman. 124 Seiten, gebunden.

ISBN 978-3-947409-57-0

Weitere Informationen (Edition)

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