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Es grenzt an ein Wunder: Mit 75 Jahren schickt Jane Campbell ihre erste Kurzgeschichte ungebeten an die renommierte „London Review of Books“ und die Story wird prompt veröffentlicht. Daraufhin ermutigte die begeisterte Verlegerin die in Oxford lebende Autorin, die Psychoanalytikerin Jane Campbell, weitere Geschichten zu schreiben.

 

Zum Glück für uns Leserinnen hat Jane es getan und mit 80 Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht. „Kleine Kratzer“ heißt der wunderbare Band mit Erzählungen, der in der kongenialen Übersetzung von Bettina Abarbanell nun auch auf Deutsch vorliegt.

 

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Es sind Geschichten über 13 Frauen, alle älter als 70 Jahre, von denen uns die Autorin erzählt. Zwar sind es alte Frauen, doch haben sie weiß Gott noch nicht dem Weltlichen abgeschworen. Es sind Frauen, die wissen, was sie wollen, die sich nicht in ihr Schicksal fügen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Es gestalten. Wenn möglich. Das ist nicht immer der Fall. Natürlich nicht.

 

Jane Campbell F Phoebe Dill„Wenn Sie meinen, das Debüt einer Achtzigjährigen müsse milde und nostalgisch sein, irren Sie sich gewaltig“, urteilte die berühmte amerikanische Talkshow-Moderatorin Oprah Daily über dieses Buch. Nein, milde ist dieser Erzählband nicht und es ist auch nicht nostalgisch, was Jane Campbell uns über diese 13 betagten Frauen zu erzählen hat. Die Geschichten sind aufrüttelnd, mitreißend, wahrhaftig und literarisch eine große Freude. Beginnen wir mit der Story „Katzenbuckel“, mit der ersten veröffentlichten Geschichte von Jane Campbell. „Die Katze und ich lernen mehr und mehr über den Prozess der Enteignung“, heißt es hier. Wenn die Frau ihre Katze gebürstet hat, muss sie sich neuerdings an der Küchentischkante festhalten, „um wieder auf die Beine zu kommen, aber ich sage mir, dass es eine gute Übung für meine Schenkel ist. Und dann kommen mir unweigerlich andere Übungen in den Sinn, in die meine Schenkel einst involviert waren.“ Die alte Frau weiß, sie kann niemanden mehr glücklich machen und versucht, „wenigstens nützlich zu sein“. Das könnte sogar bald der Fall sein. Denn die Schwiegertochter erwartet ein Baby. Allerdings: die Katze wird wohl wegmüssen wegen der Keime, befürchtet die Frau und mehr noch, sie würden die Katze töten und „ich soll dann für das Baby stricken“. Sie fragt sich, ob es ihre Aufgabe wäre, die Katze bis auf den Tod zu verteidigen. „Ich werde sie schrecklich vermissen“, lautet der letzte Satz, der die große Tragik dieser kleinen Geschichte zusammenfasst.

 

Während in diesem Fall mit dem Schicksal gehadert wird und die mögliche Zukunft zögerlich betrachtet wird, sieht die Sache in „Edelmut“ ganz anders aus. Hier geht es um eine nicht ganz selbstlose Hilfehandlung, genauer gesagt: um einen ganz gemeinen, hinterhältigen Mord. Das allerdings wird sehr humorvoll und sarkastisch erzählt. Die Ich-Erzählerin stellt uns Leo vor, einen „großgewachsenen, gutaussehenden Achtundsiebzigjährigen, ehemals Chirurg, der seine reizlose Promenadenmischung hinter sich herzieht“, wenn sie ihm auf Spaziergängen begegnet. Die Frau des Chirurgen ist „klein, dick und dumm. Eine dieser alternden Blondinen, deren Äußeres nach dem Adjektiv „nichtssagend“ ruft.“ Klar, dass Mattie tägliches Opfer von Leo ist, zumal sie manipulativ ist. Und dann geschieht es: der „grässliche Hund, Brutus“, hat Matty gebissen. Dieser Sachverhalt, dieser Tatbestand bringt die Ich-Erzählerin auf eine Idee… Wie Mitleid und Hass, Ideenreichtum und Mordlust hier wortmächtig Hand in Hand gehen, ist grandios. Wie die Geschichte um einen dieser „traurigen alten Männer mit ihren Erektionsängsten“ ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten.

 

Wiederum ganz anderer Art, leicht und zart gesponnen, ist die Geschichte von „Susan und Miffy“. Die 86jährige Susan verliebt sich in eine junge Pflegerin. Sie schaut ihr zu, wie diese sich zur Decke streckt, um eine Glühbirne auszuwechseln, „und spürte, wie sich in ihren welken Lenden die Lust regte“. Wie diese schicksalhafte Begegnung und die sich hieraus ergebende Liebesbeziehung von der Autorin beschrieben werden, ist überaus anrührend. Hier zeigt sich die ganze Stärke von Jane Campbells Erzählkraft, die enorme Eindringlichkeit ihrer bildhaften Sprache. „Doch während sie so ihre Gefühle abtat, wurde ihr Blick erneut von Miffys hochgestreckten, langen goldenen Armen angezogen, glatt und schimmernd wie Sirup.“ Wir fühlen und denken wie Susan, lassen wie sie die Augen über Miffys Körper wandern, „der vor Anstrengung zitterte und bebte; über ihre Brüste, ihre Taille, ihren Bauch bis hinunter zu den Schenkeln, und dachte: Das also ist die Jugend.“ Eine traurig-schöne Geschichte von Liebe und Tod und von Träumen, die unerfüllt bleiben. Aber auch von Hinterbliebenen, die nichts wissen von alledem.

 

Mal sind es „Kleine Kratzer“, die von Rasierklingen herrühren und verborgen werden müssen, wenn möglich. Mal ist es eine alte Liebe, von der man sich erst trennen kann, wenn sie noch einmal heraufbeschworen wird. Mal sind es Phantasmen, die das Paradies bedeuten. Mal bringt der Besuch einer falschen Beerdigung eine alte Liebe zurück. Mal hält ein Roboter das, was sonst niemand mehr verspricht. Mal will ein Wort nicht zurückkehren, das so wichtig war. Mal begegnet jemand einem Menschen, dem er (bzw. sie) besser nicht begegnet wäre. „Wie leben“, fragt sich Pamela in der Geschichte „Der Kaskade“ und „wie alt werden“. Das ist die große Frage in diesem klugen Buch, auf das es viele Antworten gibt. Literarisch sind diese unterschiedlichen Geschichten allesamt hervorragend. Realistisch betrachtet ist allerdings manches weniger schön in diesen so lebendigen, lebhaften Storys von Frauen, die alle alt genug sind um voraussichtlich bald zu sterben.


Jane Campbell: „Kleine Kratzer“

(Originaltitel: Cat Brushing)

Kjona Verlag

Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell

Kurzgeschichten. 192 Seiten, gebunden.

ISBN 978-3-910372-17-7

Auch als E-Book erhältlich

Weitere Informationen (Verlag)

Leseprobe (PDF)

Fotonachweis: Jane Campbell. Foto: Phoebe Dill

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