Am 2. Februar 2023 wäre der amerikanische Schriftsteller und Lyriker James Dickey 100 Jahre alt geworden, gestorben ist er am 19. Januar 1997 in Columbia (South Carolina).
Dickey ist der Mann, über den Quentin Tarantino sagte, er sei „kein Tarzan, sondern ein Dichter”; dessen Gedichte Stephen King so stark fand, dass er eines davon in seine Flugkatastrophen-Anthologie „Flight or Fright” aufnahm. Auch Vertreter der Hochkultur hoben James Dickey in den Himmel: etwa John Updike, der Dickey als „Überflieger der amerikanischen Lyrik” titulierte oder Joyce Carol Oates, die den „Walt Whitman unserer Zeit” in ihm erkannte.
Erstmals ist nun zum 100. Geburtstag des Autors eine Auswahl der Gedichte in einer Sammlung auf Deutsch zu lesen. Ausgewählt hat der Herausgeber und Übersetzer Christophe Fricker diese Gedichte, die unter dem Titel „Wenn es dunkel wird“ im Weissbooks Verlag erschienen sind.
Vorweg gesagt: James Dickey hat mit „Deliverance“ (Flussfahrt) im Übrigen auch einen der größten amerikanischen Romane geschrieben. Und er hat sozusagen dreimal Geschichte gemacht: Ende der 1960er Jahre war er auf Einladung des amerikanischen Nachrichtenmagazins „Life“ nach Florida zur Crew der Apollo 8 gereist. Über diese Reise schrieb er für das Magazin das Gedicht „For the First Manned Moon Orbit“ und zur Mondlandung „The Moon Ground“. 1992 war Dickey für den Golden Globe nominiert – er hatte seinen Roman „Deliverance“ zum Drehbuch umgearbeitet. Der Film war ein Riesenerfolg an den Kinokassen. Und 1977 schrieb Dickey auf Einladung von Jimmy Carter als erster Autor überhaupt im Auftrag eines neugewählten Präsidenten zu dessen Amtseinführung ein Gedicht („The Strength of Fields“).
„Was dunkel ist, kommt ans Licht“, heißt es in James Dickeys Gedicht „II Erlkönig“. Diese Aussage scheint programmatisch für den Dichter zu sein: Das Dunkle will ans Licht, und es kommt ans Licht, erhellt sich. Nicht immer ist das Helle in Dickeys Gedichten gleich, nicht immer leicht sichtbar. Doch beim genauen Lesen erhellt sich das Dunkle. Genaues Lesen ist also eine gute Voraussetzung für das Verständnis dieser Gedichte. James Dickey geht in seinen Gedichten oft an die Grenzen zwischen Leben und Tod, zwischen Menschen und Tieren – und darüber hinaus. Er lotet das Erleben von Extremsituationen wie Schiffbruch und Ertrinken aus („Und langsam versinke ich bald/Und die Haare lösen sich wie der Gedanke/Des Trauervogels“. Aus: „Mit anderen ertrinken“), setzt sich mit seiner Kriegserfahrung auseinander („Du trägst, was du tragen musst,/Nicht im Schlachtengetümmel“. Aus: „Rüstung“), mit seiner Unfähigkeit zum Gebet („Wenn auch nicht erhört, / So doch wenigstens gesagt.“ Aus: „Zwei“) und mit all dem, was Menschen und Tiere miteinander verbindet. „Dickey ist der Dichter des Urtümlichen und der Gewalt“, heißt es seitens des Verlages. Und von seinen Gedichten: „Sie sind körperliche Erfahrungen […]“.
Es ist auch viel Mystisches in diesen Texten zu finden. Und immer wieder viel Dunkles, das um Helligkeit bittet und mitunter schlussendlich Helligkeit bietet. Bei weitem nicht immer, aber es kommt vor. Das hat trotz allem Traurigen auch etwas Tröstliches. „Das Dunkel ist groß Und leuchtet in meinen Augen“, so Dickey in dem Gedicht „III. Das blinde Kind erzählt“. An anderer Stelle dieses langen Gedichtes heißt es: „Mein Kopf ragt tief/ Ins Mondlicht, tief/ In die Äste und Blätter, / Dort lenkt er mein Dunkel hin, / Die Dunkelheit meiner Augen, /Die jetzt eine Farbe annehmen:/ Sie sind endlich blau!“ Bei aller Dunkelheit ist Licht in diesen Texten, kommt Farbe ins Spiel: „Meine Augen sind golden/ Wie die einer Eule, / Wie die eines Königs.“
„Das Deutsche liegt einem schwer im Magen. Dickey nicht – Dickey drängt vorwärts, und in den Wochen des Übersetzens habe ich schlecht geschlafen“, schreibt Christophe Fricker in seinem Nachwort. Abgesehen von vielen Informationen über die Schwierigkeiten eines (guten) Übersetzers ist dort unter anderem Folgendes zu lesen: „Nun haben Sie ein Buch von James Dickey gelesen, und jedes einzelne Wort ist von mir.“ Kecker noch fügt Fricker hinzu: „Wie war ich? Wie hat’s Ihnen gefallen?“ Dieser Übersetzer scheint ebenso selbstbewusst zu sein wie der Autor selbst, den manche auch als Lügner bezeichneten, wie in diesem Buch in einem Essay von Joshua Mehigans ersichtlich wird. Mehigans, längst selbst preisgekrönter Autor, erzählt in diesem Aufsatz von einem überraschenden Anruf Dickeys im Jahr 1996, der in ein eineinhalbstündiges Telefongespräch mündete.
Das Buch ist thematisch in drei Abschnitte gegliedert: Familie, Naturmystik, Amerika. Doch die Bereiche sind nicht eindeutig getrennt, es gibt inhaltliche Überschneidungen. Christophe Fricker hat hierfür Gedichte aus allen Schaffensphasen James Dickeys ausgewählt und übersetzt. Dies auch, um die stilistische und inhaltliche Vielfalt für uns Leser kenntlich zu machen. Oftmals geht es auch inhaltlich um Bewegung und Rhythmus, um das Körperliche also. Hinzu kommt das Visuelle: Bei an der Mittelachse ausgerichteten Gedichten stechen einzelne Zeilen heraus oder sind irgendwo mittelinks verankert – aber wo genau? Die deutschen Zeilen sind mal länger mal kürzer als das Original, verrät uns der Übersetzer. Doch Dickeys Gedichte waren und sind sicher nicht nur für Übersetzer, sondern auch für Setzer, Lektor und Verleger stets eine große Herausforderung. Denn auch Grammatik und Zeichensetzung sind mitunter eigenwillig gebraucht, entsprechen nicht der Norm. Das alles erfordert vom Leser große Aufmerksamkeit, schadet aber der Lektüre nicht. Ganz im Gegenteil: Die erhöhte Aufmerksamkeit vertieft logischerweise das Verständnis. Wie sagte doch der Übersetzer: „So ist das bei Übersetzungen: Es sind immer drei dabei – Autor, Übersetzer und Sie.“ Es lohnt sich, sich auf diese Gedichte einzulassen. Den Gewinn trägt der Leser nachhaltig in sich. „Sterne und Gras/ Sind miteinander verbunden, / daraus will ich irgendwas/ Machen – ich will sie / Auf eine Ebene bringen, so gut ich kann“, (aus: „Unkraut“). James Dickey hat etwas daraus gemacht: Er bringt oben und unten zusammen. Für uns Leser. Wenn wir uns darauf einlassen. Was wir tun sollten.
James Dickey: Wenn es dunkel wird
Ausgewählte Gedichte. Weissbooks Verlag
Mit einem Essay von Joshua Mehigan
Aus dem Englischen von Christophe Fricker
Weissbooks Verlagsgesellschaft mbH
112 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-86337-204-0
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