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Die Gedichte der im Klosterdorf Cismar (Schleswig-Holstein) lebenden Lyrikerin Doris Runge halten, was sie versprechen.

Seien es auch „die schönsten versprechen“, so der Titel ihres neuen Lyrikbandes, soeben erschienen im Wallstein Verlag. Vielleicht faszinieren diese auf den ersten Blick so leichten Gedichte auch deshalb immer wieder aufs Neue, weil Doris Runge die „Welt auf den Punkt bringt“, wie ihre langjährige Freundin und Journalistin Jutta Colschen bei der öffentlichen Buchpräsentation im Weißen Haus in Cismar befand. Auf den zweiten Blick sind dies allerdings keine leichten, einfachen Gedichte. Ganz im Gegenteil: Sie sind mit Falltüren versehen und doppelten Böden.

 

Doris Runge die schoensten versprechen COVERDoris Runge ist neugierig geblieben, offen für die Welt, für die Menschen, für die Natur – trotz ihrer mittlerweile 79 Lebensjahre. ­­­­„Auf Wunder hoffen, auf Zeichen setze ich“, heißt das letzte Gedicht im neuen Lyrikband, dem nunmehr 12. Diese immer noch vorhandene Neugierde macht sicher nicht nur ihr literarisches Leben aus. Wie gerne würde Doris Runge, würden wir, alles sehen und alles, was wir sehen, erklären und verstehen können. Doch mitunter ist und bleibt alles verschwommen/auf weißer See/und kein glas/die inseln/zu sichten/fremde zeichen/zu lesen und/draußen fällt/schnee wie früher/auf bildschirmen/am ende des tages. Um Gedichte wie dieses zu finden, braucht Doris Runge „manchmal stille Orte, kleine Auszeiten um zu schreiben“, erzählt sie dem Publikum. Offenbar und glücklicherweise für uns LeserInnen findet sie beides hin und wieder.

 

Ihre Gedichte sprechen von der Liebe, vom Leben, vom Tod, von der Einsamkeit des Menschen und vom Glück der Zweisamkeit. Auch die Natur gerät immer wieder ins Visier, beispielsweise als Raum des Möglichen im Unmöglichen.

So wie in dem Gedicht von einer die auszog. Wie all ihre Gedichte ist auch dieses ohne Punkt und Komma gesetzt, wird alles klein geschrieben, sei es auch noch so groß, noch so weit gedacht, so nah oder so fern: ich habe gewohnt/in den wolken/kein ort/heimisch zu werden/unterwegs sein/habe ich gelernt/mit den wolken/und schwer sein/regen sturm schwarz sein/und flüchtig und leicht/schönwettergegerbt/habe ich gelebt/und fürchten nie/nur die liebe/das leben/das glück. Es sind die großen Themen der Literatur, die hier aufgegriffen und mit dem Blick der Lyrikerin be- und verarbeitet werden. Da taucht die Kindheit aus der Erinnerung auf, mein gitterbettchen, der kleine käfig[…]/nie wieder war ich/behüteter. Da ist eine junge Frau/nimmt meine greisenhand/sagt kind[…]. Hier sind das Kind und die junge Frau ein und dieselbe Person; sie sind vereint und erinnern gemeinsam die Schwester, den Vater, das vergilbte Foto, das so vergilbt ist wie das haus/vor dem er steht. Fürwahr, es sind schöne Bilder, die uns die Dichterin mit ihren Versen schenkt.

 

Doris Runge F Marion Hinz

Doris Runge. Foto: Marion Hinz

„Ich schreibe ja nur ab, es ist alles vorhanden. Wenn das äußere mit meinem inneren Bild zufällig zusammenfällt, dann kann es in ein gutes Gedicht sein.“ Ja, so ist es: Wenn Gedanken und Wörter bei Doris Runge zusammenfließen, sich vereinen, dann erwächst quasi wie von selbst hieraus ein gutes Gedicht. Kleine Falltüren sind allerdings fast immer vorhanden, die Idylle trügt meist: „Wenn man lesen kann, findet man auch die geheimen Texte, die dahinter liegen“, ermutigt Doris Runge die Zuhörer im Weißen Haus in Cismar. Und das traut sie ihren Lesern und Leserinnen durchaus zu. Auch Aussagen wie diese wissen jene zu schätzen: „Ich habe keine Botschaft in die Welt zu bringen, keine Weisheiten, vielleicht ein bisschen Entschleunigung. Und das ist in dieser Zeit bestimmt nicht das schlechteste.“ Recht hat sie. Diese Art von Entschleunigung tut uns allen gut.

 

Beispielsweise, wenn wir unterwegs sind und kein knopf im ohr ist, das Ohr frei für den wind/der heute so leise spricht/[…]er flirtet mit mir/geht mir durchs haar/als wär`s noch blond/und singt eine weise/so alt und vertraut/[…]. Die Gedichte in diesem Lyrikband sind in Kapitel unterteilt, mit Zwischentiteln versehen wie in der tintenschwarzen brandung oder melusines zimmer. Im letztgenannten Part ist auch das titelgebende Gedicht zu finden, die schönsten versprechen. Hier erzählt die Dichterin von uns Menschen, die wir auf zwei Beinen an Land kamen, ins reich der wölfe/in wälder/aus stein/und herzen/und hunger/herrschte/dieser alte/unstillbare/hunger/nach mehr. Dieser unstillbare Hunger nach mehr scheint – wohl auch aufgrund ihrer Neugierde – ein Lebensprogramm der Lyrikerin zu sein. Wenn Hunger so schön daherkommt, so ausgefeilt und ausgesprochen im Gedicht, können und wollen auch wir uns diesem Hunger nicht entziehen. Wir wollen mehr davon, mehr von diesen schönen Gedichten, die unseren Hunger zu stillen vermögen. Für eine gewisse Zeit. Für eine entschleunigte Zeitspanne. Genau das brauchen wir von Zeit zu Zeit.


Doris Runge: die schönsten versprechen

Gedichte, Wallstein Verlag

89 S., geb., Schutzumschlag

ISBN 978-3-8353-5297-1

Weitere Informationen

Leseprobe

 

Doris Runge studierte in Kiel und lebt heute in Cismar (Schleswig-Holstein). Ihr erster Gedichtband erschien 1985. Hierfür erhielt sie den Friedrich-Hebbel-Preis. Mit Beginn der 90er Jahre erwarb sich Doris Runge zudem einen hervorragenden Ruf als Verfasserin und Referentin literaturwissenschaftlicher Arbeiten und Vorträge zu Thomas Mann. 1995 wurde sie mit dem Preis der GEDOK Schleswig-Holstein ausgezeichnet, 1997 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg. 1997 war sie die erste Liliencron-Dozentin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 1998 wurde Doris Runge mit dem Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein für ihr Lebenswerk geehrt. 1999 erhielt sie am Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur die Poetik-Professur der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. 2007 wurde Doris Runge mit dem Ida Dehmel-Literaturpreis des GEDOK Bundesverbandes ausgezeichnet. 2009 wurde sie vom Land Schleswig-Holstein zur Ehrenprofessorin ernannt aufgrund ihrer literarischen Verdienste. 2011 erfolgte die Aufnahme als ordentliches Mitglied in die Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz.

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