Es sind sinnliche Gedichte über Mensch und Natur, die Christine Langer in ihrem fünften Lyrikband veröffentlicht hat. Der schmale Band mit dem Titel „Ein Vogelruf trägt Fensterlicht“ ist voll bildhafter Poesie, mit der wir unseren Geist und unsere Seele füttern können.
Das Buch ist daher nicht nur eingefleischten Lyrikfans zu empfehlen, sondern auch solchen Lesern und Leserinnen, die eher selten Gedichte lesen. Für Literaturfreunde also, die vor allem Gedichte lesen möchten, die einerseits anregend sind für die eigene Gedankenwelt, die sich aber andererseits nicht allzu schwer erschließen lassen. Gedichte also, die sich uns möglichst schon beim ersten Lesen öffnen, die wir sofort verstehen, die Herz und Sinn berühren und die Sicht weiten. Von solch feiner Art sind die hier versammelten poetischen Texte. Daher ist dieser neue Lyrikband der mehrfach ausgezeichneten 1966 in Ulm geborenen Lyrikerin als Lektüre für alle Stimmungslagen zu empfehlen.
Wer mag, kann die Nachbemerkung des Lyrikers Mirko Bonné ruhig zuerst lesen und sich erst danach den Gedichten widmen. Dies, um sich einzufühlen in die Sprache der Dichterin. Bonné beginnt mit Überlegungen zum Vogelruf und stellt die Frage, die sich aus dem Titel des Gedichtbandes ergibt, ob ein Vogelruf überhaupt in der Lage sein kann, etwas anderes zu tragen als sein Tönen, sein Lied. Wie er denn wohl ein Licht tragen mag, „und wie erst, wenn es das eines Fensters ist, ein aus dem Haus ins Freie fallende, ein menschengemachtes Licht“? Oder funktioniert das genau anders herum, „birgt in Wirklichkeit jeder Ruf eines Vogels, ein Fenster, ein helles, aus Klängen, aus Klingendem“? Denken wir diesen Gedanken ruhig mit, bevor wir uns den Gedichten zuwenden, in denen Innen und Außen sichtbar gemacht wird und die Natur ihren angemessenen Platz erhält im Austausch mit uns.
„Dichtung ist lebendig. Das Schöne am Gedicht ist die Freiheit, das es (das Gedicht) den Leser*Innen lässt.“ Das ist ein Grundgedanke der Lyrikerin, die in ihren Gedichten den Leser*Innen viel Raum lässt für eigene Gedanken und somit auch für eigene Interpretationen. Langers lyrische Verse führen uns ins Dunkle und zurück ins Helle und umgekehrt. Jedes Detail wird von der Autorin wahrgenommen und beschrieben. Sei es ein Gefühl, ein Gespräch, ein Blick, ein Anblick, ein Geräusch oder die Stille. Tag und Nacht stehen einander gegenüber, gehen ineinander über. Wie im richtigen Leben auch, nur eben lyrischer. Weil Christine Langer die Natur liebt, den Menschen und die Sprache – und weil sie dichten kann. Ihre Gedichte sind musikalisch, klingen im richtigen Rhythmus. So ist es kein Wunder, dass sie häufig mit Komponisten und Musikern zusammenarbeitet und zahlreiche ihrer Gedichte bereits vertont wurden, u.a. von Orchestern aus Linz, Bratislava, Bukarest. So werden sicher auch Gedichte aus ihrem neuen Lyrikband musikalisch umgesetzt werden.
Das Buch mit dem Titel „Ein Vogelruf trägt Fensterlicht“ ist in fünf Teile gegliedert. Die ersten vier Teile widmen sich dem Verhältnis von Mensch und Natur, dem Gespräch, das bestenfalls zwischen beiden stattfindet. Der fünfte Abschnitt trägt den Titel „Traumnuancen – Übungen im poetischen Sprechen“. Hier spielt das Thema Zeit eine große Rolle, die Dämmerung, die blaue Stunde, die dunkle Nacht, der helllichte Tag. Weil der Tag noch auf den Schultern liegt,/Sinken wir mit der blauen Stunde/In die Dämmerung. Bald sagst du/Über Nacht sind wir andere geworden […] heißt es im ersten Gedicht der Traumnuancen und wir sind sofort bereit, diesen Gedanken zu folgen. Ob der erste Augenaufschlag noch die Nacht in den Wimpern trägt oder der Morgen anbricht und stille Verse statt Kaffee gereicht werden: Es ist in diesen Gedichten viel von flüchtiger Schönheit zu spüren, die überall zu sehen ist – wenn wir wie Christine Langer genau hinsehen (würden). Wenn wir dem Tag jede Zeit abschauten, im Augenblick verweilten, das Bild einer Landschaft suchten, der Notiz des Winds lauschten, dem Wort eine Stimme geben würden… Zum Glück gibt es Lyrikerinnen wie diese, die uns Zeile für Zeile eine Welt erschließt, in der es sich lohnt, ein Weilchen zu bleiben.
Das gilt genauso für die ersten vier Teile dieses Lyrikbandes. Das erste Gedicht Bäume beschreibt eine Baumlandschaft, ein Land in den Bäumen. Wir hören und sehen die zum Baum gewachsene Sprache, die laubrauschenden Silben […]und es dauert nicht lange, bis wir die nötige Ruhe und Gelassenheit gefunden haben, bis wir dem Alltag entronnen sind und den Inhalt dieser und aller folgenden Zeilen wirklich und wahrhaftig wahrnehmen können. Jetzt sind wir zu unserem Glück in der Lage, der zum Baum gewachsenen Sprache zu lauschen und den Zwiegesprächen dazwischen. In dem zweiteiligen Gedicht An Tagen wie diesen fragt uns die Dichterin, Hörst du die Wörter wie sie rauschen im blauen Gras? Ja, wir hören sie. Diese zarten und dennoch bestimmten Wörter, diese schönen und doch unbestimmten Bilder ergreifen unseren Kopf und beruhigen unser Herz. Da möchten wir die Fensterflügel weit öffnen, den Vogel hereinlassen und mit ihm den Vogelruf. In den Traumnuancen finden wir im sechsten Gedicht nach einem Zitat von Arthur Rimbaud (Rimbaud: Durch die blauen Abende des Sommers werde ich gehen,/In den von Korn stechenden Wegen/Das zarte Gras zertreten. Ich Träumer.) auch die Worte, die dem Lyrikband den Titel gaben. Denn die letzten beiden Zeilen dieses Gedichts von Christine Langer lauten: Ein Vogelruf trägt flutendes Fensterlicht/Durch die offene Tür, verwurzelt mich. Wir jedenfalls sind schon tief verwurzelt in diesen Gedichten.
Christine Langer: Ein Vogelruf trägt Fensterlicht, Gedichte
Mit einem Nachwort von Mirko Bonné
Alfred Kröner Verlag
Hardcover, 104 Seiten
ISBN: 978-3-520-76501-7
Abbildungsnachweis:
Buchumschlag, Portrait Christine Langer. Foto: Jennifer Glennon
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