Vor mir liegt der Lebensbericht – der Autor Harry Popow nennt ihn „authentische Lebensbilder“ eines Zeitgenossen, der vom wahren Leben in der DDR berichtet. Er geht gegen die undifferenzierten Verzerrungen und Anfeindungen des Lebens im DDR-Staat – als erster Arbeiter-und-Bauern-Staat nach dem Krieg entstanden – durch konservative und „postnationalsozialistische“ Kreise an.
Er stellt sein Anliegen am Leben des Einzelnen, seiner eigenen Familie, dar, wobei dieses Bedürfnis das Zeitgeschehen vom Ende des 2. Weltkrieges bis zur immer bedrohlicher werdenden Gegenwart einschließt.
Dem Autor ist es gelungen, in Anerkennung und sehr (selbst-)kritischer Sicht des Geschehens, ein Kaleidoskop der unterschiedlichsten persönlichen Entwicklungen in der DDR herzustellen. Durch die sehr lebendige Darstellung der Agierenden, besonders natürlich der eigenen Familie Popow/Orlow, lernt man einerseits mit den Personen zu leben und Verhältnisse, in denen sie nach schlimmen Kriegserfahrungen des 2. Weltkrieges in der DDR aufwachsen, verstehen und Gleichaltrige sich mit leisem Lächeln selbst erinnern. Es sind für viele Menschen stehende, deutsche Schicksale.
Zur Familiengeschichte gehört das Leben der russischen Mutter Tamara, begabt und schön, an den Künsten interessiert, die Mitte der 30iger Jahre ihrem deutschen Mann Erich (Ingenieur) nach Deutschland folgt und in Höhen und Tiefen, erst an der Seite Ihres Mannes, dann allein, ihr Leben und das ihrer vier Kinder bewältigt. Dieser Teil der Familiengeschichte umfasst die schwere Kriegs- und Nachkriegszeit. Hier wird der Leser viele Erlebnisse des Werdens finden. Er kann die Erlebnisse des Aufbaus in der DDR, der Berufswahl und Ausbildung, bis zur Hochzeit und vielen glücklichen Ehejahren nachempfinden. Besonders bewegend sind aber auch die kritikwürdigen Erfahrungen im Umgang mit den Menschen, die der gestandene Offizier und spätere Diplomjournalist in seinem Arbeitsumfeld und im Privatleben machen musste. Ehrlich und sehr kritisch berichtet er als Mitarbeiter der Wochenzeitung „Volksarmee“ über seine letzten Jahre in der DDR. Er charakterisiert im Jahr 1984 die Zeit mit den Worten: „Es kracht im Gebälk“. Er beschreibt viel Nachdenkliches und kritisiert den sozialistischen Alltag, aber es führt nie zur Negation des Sozialismus, den er nach wie vor für den einzig richtigen Weg hält, ein für alle Mal Kriegsgefahren zu bändigen.
Die Wende 1989 erlebte er als Mitarbeiter des Fernsehens der DDR, mit diesem abgewickelt, die demütigende Zeit ohne Arbeit und gesellschaftlichen Bezug zum neu organisierten Umfeld. So stürzen Harry und seine Cleo wie Millionen DDR-Bürger ins Ungewisse, sie kehren in Schweden – ab dem Jahr 1996 – unter dem Motto „In die Stille gerettet“ dem umgekrempelten und vom großen Geld geenterten Heimatland den Rücken. Es folgen Jahre der Ruhe, des sich Findens und der Bekanntschaft mit vielen neuen schwedischen Freunden, deren Lebensgefühl sie teilen und auf ihr Interesse stößt. Das sind für Cleo und Harry Popow Jahre voller Glück und kraftschöpfender Energie, um nach neun Jahren nach Deutschland zurückzukehren und sich vereint dem Leben des neuen/alten Deutschlands zu stellen.
Nun bekommen die Popows kräftig den „Westwind“ um die Ohren geblasen. Ein sehr „neutraler“ Briefschreiber fragt ihn im Internet, warum in den Medien so viele Unwahrheiten über die DDR verbreitet werden. Dieser und anderen Fragen zur Gegenwart in Deutschland geht er im 4. Teil der „Lebensbilder“ nach. Als Blogger und Rezensent zur Zeitgeschichte stellt er über 80 Sachbücher und Zeitungsartikel vor, setzt sich mit ihnen auseinander und führt eine spitze Feder gegen Verlogenheit in der Politik und der damit verbundenen oder zielgerichtet beförderten „Volksverdummung“, der Ablenkung der Menschen von den eigentlichen politischen Aufgaben der Zeit. In Essays und in seinem und weiteren Blogs geht es darum, auf die große Kriegsgefahr der Gegenwart aufmerksam zu machen und die Menschen von einem verlogenen Demokratiebild in Europa auf die eine andere Demokratieform zu verweisen, die seiner Meinung nach eine echte Volksherrschaft vertritt.
Der erfreuliche Nebenaspekt des Buches ist die klare umgangssprachliche Gestaltung. Ein Buch, welches man ohne Fremdwörter- oder gar Englischwörterbuch lesen kann. Ihm kann man ein humanistisches Weltverständnis als menschliches Vorbild entnehmen und das Bemühen der Altvorderen im Sinne Hessels zu sagen „Empört Euch!“ Dazu setzt er gegen den heute in der kapitalistischen Welt entwickelten „homo ökonomicus“ in seinem Buch den Ausspruch eines berühmten Deutschen entgegen: „Der wahre Reichtum des Menschen ist sein Reichtum an gesellschaftlichen Beziehungen“.
So konnte der Autor von den „Sonnenkindern“ berichten. Sie leben und arbeiten in einer Zeit ohne Kriege zwischen Ost und West, abgesehen von den Auswirkungen des Faschismus‘ und 2. Weltkrieges und des nachfolgenden Kalten Krieges. Sie waren materiell bescheiden gesichert, ohne Arbeitslosigkeit, mit einer intakten Kinderbetreuung und einem auf hohem Niveau funktionierendem Schul- und Gesundheitssystems.
Sonnenkinder – der Neuanfang in der DDR: Nachahmbares für gegenwärtiges Denken, Tun und Kämpfen. Der wahre Reichtum. Damit nicht wiederholt eine Mutter einen Sohn durch gegenwärtige Eroberungskriege beweinen muss.
Harry Popow: „Wir Sonnenkinder. Authentische Lebensbilder“
Verlag: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-746719-09-2, 504 Seiten.
Weitere Informationen
Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.
Abbildungsnachweis:
Buchumschlag; Gestaltung: Harry Popow
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