Die Diktatur des Geldes – Finanz Tsunami
- Geschrieben von Harry Popow -
Ernst Wolff: „Finanz Tsunami. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“
Es ist wie es einmal war und heute noch ist: Ein Ausspruch von Henry Ford, des Gründers der Ford Motor Company vor über hundert Jahren, hat auch im Jahre 2018 nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: „Es ist gut, dass die Menschen der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen, denn sonst hätten wir vermutlich noch vor morgen früh eine Revolution.“
Wie sonst kämen Politiker unseres Landes während ihrer Ansprachen zum Jahresausklang 2017 dazu, mit salbungsvollen Beruhigungspillen den Zusammenhalt zwischen allen Bürgern zu beschwören und Rüstung und Kriegsgefahr im Interesse der Kapitalmächte sowie die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich total auszublenden? Mehr noch, den enormen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und der privaten Aneignung und somit den fortwährenden Klassenkampf bewusst zu ignorieren? Die Verdummung des Volkes hat Hochkonjunktur. Noch...
Ernst Wolff, geboren 1950, Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor, gab im online-Magazin scharf-linksÂÂÂÂÂ eine punktgenaue Antwort: Die Lage zum Jahresende 2017 scheint extrem widersprüchlich: Die Wirtschaft wächst, die Aktienmärkte verzeichnen Rekordstände, die Arbeitslosenzahlen sinken und die Industrie zeigt ein seit langem nicht gesehenes Maß an Optimismus. Zugleich erstickt die Welt unter der höchsten Schuldenlast ihrer Geschichte, krankt an der größten sozialen Ungleichheit und wird von höheren Risiken als vor der Krise von 2007/2008 bedroht. Und dann heißt es: Das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ist seit 2008 klinisch tot. Es funktioniert nur noch, weil es wie ein Patient auf der Intensivstation künstlich am Leben erhalten wird, und zwar durch die Zentralbanken.
Es geht um den Aufstieg des Finanzkapitals, aus dem die heutigen Finanzmärkte mit Beginn des 19. Jahrhundert hervorgegangen sind, sagt Ernst Wolff an anderer Stelle. Nun liegt seit September 2017 zu diesem Thema ein hochgradig politisches und mit Akribie geschriebenes Sachbuch vor: „Finanz Tsunami. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.
Auf 192 Seiten in 23 Kapiteln hellt er in sehr allgemeinverständlicher Sprache sozusagen für Jedermann die nach wie vor im Dunkeln operierenden Machenschaften der Finanzelite auf. Er weist nach, dass das Bankensystem auf dem Nährboden des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung entstanden ist und sich durch Kreditgabe an die Industrie zu einem gefährlichen Monster für die weitere Existenz der Menschheit und des Planeten teilweise gewalttätig aber auch mit Besänftigungsphrasen im Interesse des Maximalprofits emporgeschwungen hat.
Supermacht US-Dollar
Die eigentliche Geburtsstunde des globalen Finanzsystems, so der Autor auf Seite 20, sei 1944 durch die Konferenz von Bretton Woods ins Leben gerufen worden. Es wurde beschlossen, „den US-Dollar zum Preis von 35 Dollar pro Feinunze an Gold zu binden“, was zur Folge hatte, dass alle anderen Währungen (außer SU und später Ostblockstaaten) zu festen Wechselkursen an den Dollar gebunden wurden. Damit wurde der Dollar zur Leitwährung und damit zur mächtigsten Währung der Welt. Im August 1971 jedoch wurde die Gold-Dollar-Bindung wegen steigender Goldnachfrage vom damaligen US-Präsidenten Nixon aufgehoben. Von nun an, so Ernst Wolff, basierte das Währungsgefüge nur noch auf Vertrauen in die Stärke des US-Dollar. Daraus folgte wiederum die Wertminderung des Dollar und das Geldsystem geriet ins Wanken. Den Ausweg fand man nunmehr gemeinsam mit Saudi-Arabien innerhalb der OPEC in der Bindung des Dollar an das Erdöl, genannt Petro(Erdöl)dollar. Der Autor verweist sodann auf den Nachkriegs-Boom in Deutschland, auf das Wirtschaftswunder und auf die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einsetzende Deregulierung des Finanzsektors, was Investoren veranlasste, „immer mehr Geld in die Finanzspekulation und im Verhältnis dazu immer weniger Geld in die Realwirtschaft“ zu stecken. In Stichworten auf den Seiten 26 bis 28: Die Realwirtschaf siecht dahin, während die Verschuldung zunimmt, Anfallende Zinszahlungen aber sind auf „ununterbrochenes Wachstum angewiesen“, aber der Finanzsektor schafft keine Werte. Der Zwang der Geldschöpfung aus dem Nichts, gepaart mit Zinssenkungen führen letztendlich „zum Untergang zinsabhängiger Einrichtungen wie Renten- und Pensionslassen und zur Zerstörung vorsorglicher Altersabsicherung“.
Kriege - Destabilisierung mit Gewinn
Was oftmals wenig Beachtung findet: Auf Seite 30 lenkt der Autor die Leser auf die USA-Wirtschaft, die 1944 auf Hochtouren lief, durch konkurrenzlose Absatzmöglichkeiten sowie u.a. durch die seit der Jahrhundertwende eingeführte Fließbandproduktion. Vorteil brachte den USA durch die Vergabe von Kriegskrediten auch die zwei Weltkriege. So auch an Deutschland und „halfen so mit, einen Krieg in Gang zu halten“. Und auf Seite 83 heißt es, das die USA bis 1941 insgesamt etwa 475 Millionen US-Dollar investiert hatten. So waren in den Jahren 1942 bis 1945 die US-Rüstungsindustrie „und die hinter ihr stehenden Geldgeber“ die größten Gewinner. Verallgemeinernd stellt der Autor fest: „Die Praxis der Geldvergabe an beide Seiten im Kriegsfall – mit dem Ziel der Destabilisierung ganzer Regionen oder möglicher Konkurrenten auf dem Weltmarkt – wurde von folgenden US-Regierungen beibehalten und zählt seit mittlerweile über einhundert Jahren zum Standard-Repertoire der US-Außen- und Militärpolitik.“ Wenn mitunter von der Schuld Deutschlands am verbrecherischen 2. Weltkrieg gesprochen wird, so ist das nicht nur falsch, sondern orientiert nicht auf die Spitzen der deutschen Industrie, die beizeiten nach der Machtübernahme mit der NSDAP verhandelt haben. So am 20. Februar 1933 während eines Geheimtreffens zwischen Hitler und 27 Industriellen. Man muss feststellen, das die US-Rüstungsindustrie sowohl am Kampf gegen den deutschen Militarismus nach dem 1. Weltkrieg, als auch am Niederringen der Faschisten als auch am Kampf gegen den Kommunismus und schließlich gegen Terror ihren Reibach gemacht hat.
Verführung zum Anpassen
Die ungeheuren Profite ermöglichten es der Finanzelite und den Machthabern, das Volk gefügig zu machen, es zur Duldung der ausschließlich den globalen Interessen der USA dienenden Politik zu veranlassen. So ließen sich die Westdeutschen vom sogenannten Wirtschaftswunder durch den Marshallplan blenden. Der Autor verweist darauf, dass dieser Plan in den Köpfen der Menschen falsche Vorstellungen weckte. Er war, so Ernst Wolff auf Seite 162, für die US-Wirtschaft ein Konjunkturprogramm. Dieses Geld durfte nur nach Absprache mit den US-Vertretern ausgegeben werde, war also ein Eingriff in die Souveränität der Empfängerstaaten. Wörtlich heißt es: „Der Marshallplan war das genaue Gegenteil eines Hilfsprogramms, nämlich die größte Vermögensumverteilung von Steuerzahlern zu Großkonzernen und Banken, die die USA bis dahin erlebt hatten.“ Zusammen mit der Truman-Doktrin diente er jedoch dazu, die Sowjetunion in die Schranken zu weisen. „Der kommunistische Einflussbereich sollte von nun an nicht mehr nur eingedämmt, sondern unter dem Vorwand, dass Befriedigung nur zu weiterer Aggression und schlussfolgernd zum Krieg führt,“ aktiv bekämpft werden. Das bedeutete grünes Licht für die US-Rüstungsindustrie, für das Wettrüsten. Ernst Wolff stellt auf Seite 106 die Frage, warum die Menschen dieses Spiel, das mit ihnen getrieben wurde, nicht durchschauten und erinnert daran, dass die Menschen in den Nachkriegsjahren zu müde und erschöpft waren und sie durch den Wirtschaftsaufschwung in dem Glauben bestärkt wurden, beeinflusst durch einschläfernde Propaganda der bürgerlichen Medien, „dass ein neues, besseres Zeitalter angebrochen sei.ÂÂÂÂ So unbemerkt sei die neue Finanzordnung geschaffen worden, die den Keim für den eigenen Untergang aber bereits in sich trug.
Resümé
Auf Seite 155 resümiert der Autor: Das eigentlich für Notfälle gedachte Gelddrucken ist zur Routine geworden, die Zinssätze bereits im Negativbereich, die Manipulation ist fester Bestandteil des Systems geworden, das Finanzgebäude zerbrechlich. Und schließlich dieser Satz: „Je kritischer die wirtschaftliche und finanzielle Lage der USA wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich die Regierung in Washington für die Option eines Krieges entscheidet. Das Schicksal der USA bis zum völligen Zusammenbruch würde nur noch von zwei Kräften entschieden – der Wall Street und dem Militär. Es sei also nicht mit Reformen getan, etwas zu ändern, sondern so der Autor, mit grundlegenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen, um das globale Finanzcasino abzuschaffen. Wahrheiten und Erkenntnisse zu verbreiten, diese Chance sei einmalig.
Klassenkampf passé?
Herzlichen Dank an den Autor, dessen argumentative Vielfalt und Tiefe gerade auf dem Gebiet der Finanzen und der daraus folgenden Machtfülle jedem wahrhaft politisch Interessierten das geistige Rüstzeug im Sinne einer friedvollen Welt ohne Kapitalismus in die Hand gibt.
Jedoch: Beim gründlichen Lesen dieses hoch informativen Buches hatte der Rezensent mitunter den Eindruck, dass das Finanzsystem von seinen Grundlagen, dem Privateigentum an Produktionsmitteln und somit auch vom Klassenkampf abgekoppelt betrachtet worden ist.
Einerseits führt der Autor auf Seite 73 gerade die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln in der Sowjetunion und auf der Seite 96 die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Elektrifizierung des gesamten Landes und den Aufbau einer Schwerindustrie als Erfolge an, das wäre „im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie innerhalb eines Zeitraumes von weniger als zwanzig Jahren“ nicht durchzusetzen gewesen.
Diese und weitere Maßnahmen „versetzten die UdSSR letztendlich auch in die Lage, Deutschland 1945 militärisch zu besiegen“. Die tiefe Liebe des Volkes zu seinem Vaterland, der aufopferungsvolle Kampf gegen die Faschisten, die hohe Moral der Soldaten und Offiziere der Roten Armee, diese typischen Merkmale einer dem Frieden verpflichteten Armee, blendet Ernst Wolff einfach aus. Auch reduziert der Autor die Macht der Sowjetunion lediglich auf die Funktionärsclique sowie auf Gewalt und Zwang gegenüber der Bevölkerung. Richtig die Bemerkung, dass die UdSSR vor allem „ein Dorn im Auge der Wall Street (war), weil sie ausländisches Kapital wegen ihrer Planwirtschaft und ihres Außenhandelsmonopols noch immer weitgehend verschlossen“ hielt.
Das soll doch nicht etwa heißen, nach 1945, nach der Bildung der sozialistischen Staatengemeinschaft wäre es besser gewesen, im „Interesse des Friedens“, dem Kapital Tor und Tür zu öffnen und die Grundlagen der Stärke auf ökonomischem, politischem und moralischem Gebiet aufzugeben, auf Klassenharmonie zu setzen und den Frieden gegenüber dem weltweit agierenden Finanzkapital aufs Spiel zu setzen, wenigstens bis 1989?
Der Leser möge bei allen klugen Erkenntnissen und der Mahnung des Autors, „Wahrheiten und Erkenntnisse so schnell wie nie zu verbreiten“ sich selbst ein Urteil bilden und dem Money-Diktat endlich Paroli bieten.
Ernst Wolff: „Finanz Tsunami. Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“
Taschenbuch:192 Seiten, Verlag: edition e. wolff;
Auflage: 1 (11. September 2017), Sprache: Deutsch,
ISBN-10: 3000575332, ISBN-13: 978-3000575334,
Größe und/oder Gewicht:14,4 x 2 x 20,3 cm.
YouTube-Video:
11. September 2017 - Ernst Wolff über den Finanz-Tsunami
Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen. Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung.
Abbildungsnachweis:
Header: © Foto Claus Friede
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