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Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung

Gezüchtete Unschärfen
Den Blick in die Welt könne man mit einer Zeitung versperren, so ein Aphorismus. Von wegen. In die große Welt schon, aber nicht in die kleine. Da wirst du überhäuft mit guten Ratschlägen fürs Kochen, fürs Make-up, fürs Wohlbefinden im Schlaf, für tollen Sex, für Gartenpflege und, und, und... Banales und flach Gebürstetes haben Hochkonjunktur, also simple, alltagsnahe Botschaften, wie es im Buch „Lügen die Medien...“ heißt, und der überaus brave Bürger ist´s zufrieden. Oder? Mehr noch, nach den armseligen Wahlen klatscht er noch in die Hände und jubelt den Herrschenden zu: „Weiter so!“ 87 Prozent haben da keine Bedenken.
Wer schreit da nach einem tieferen Blick in die politische Welt? Wer ist da unzufrieden mit gewissen Medien, die interessierten Bürgern Wahrheiten verwehren? Was ist los? „Lügen die Medien?“, fragt der Herausgeber Jens Wernicke, Diplom-Kulturwissenschaftler (Medien), 24 Journalisten, Wissenschaftler sowie maßgebende Leute aus der Zivilgesellschaft.

Lügen die Medien? CoverDas Anliegen dieses Buches sei es, so der Herausgeber auf Seite 8, einen Beitrag zu schaffen, der „über Einzelfallkritik und Einzelmeinung weit hinausgeht und ein Verständnis für die Komplexität unserer gesellschaftlich-sozialen Misere“ leistet. Und so stellt er bereits in der Einleitung, Fabian Scheidler zitierend, fest: „Das bisherige System permanenter Akkumulation von Reichtum und Macht in den Händen einiger weniger ist an seine Grenzen gestoßen.“ Die Verschleierung ihrer Motive, um ihr Vorgehen zu legitimieren, die Akkumulation im globalen Maßstab durch Enteignung, dies brauche die Elite, ,,denn sonst zerbrächen die bestehenden Verhältnisse in kürzester Zeit“, so Jens Wernicke.

Den Rezipienten fällt es leicht, die 368 Seiten im Überblick zu behalten, befragt der Herausgeber die 24 Autoren doch zielgerichtet in der Form von Interviews. Nach jeweils einer kurzen Einleitung zum Thema stellt er etwa zehn bis 15 Fragen. Dabei kommen nicht nur die Bezeichnung Lügenmedien, die Hintergründe und Absichten der ökonomischen und politischen Macht, deren Methoden der Manipulation, die Rolle jedes einzelnen Journalisten sowie das Verhalten der Nutzer – sprich der Hörer, Leser und Zuschauer – zum Tragen, sondern auch die persönlichen Meinungen und Erfahrungen jedes einzelnen Autors. Dabei knüpft Jens Wernicke an die jeweils von seinen Interviewpartnern veröffentlichte Literatur an. Das ermöglicht den Lesern, die Gleichheiten als auch manche Unterschiede in der Wahrnehmung zu erkennen. Statistiken veranschaulichen die wachsende Macht der Medien. Eine besondere Rolle kommt den Beispielen der Manipulationsmethoden zu, an denen es in keinem der Interviews mangelt.

Die fundierten Antworten der Interviewpartner ergeben insgesamt ein schauriges Bild von der Verfasstheit der Medien, von ihrer Abhängigkeit von den Herausgebern, vom Mainstream, von den Geldgebern in den Hinterstuben des Etablissements. Obwohl es in der Einschätzung, ob die Medien allesamt lügen, unterschiedliche Positionen gibt, sind sie sich in der Mehrzahl einig, dass die Eigentumsverhältnisse den grundlegenden Nährboden für Diffamierungen, Lügen, Verfälschungen und für das Verschweigen von politischen Zusammenhängen bilden.

Drahtzieher & Begehrlichkeiten
Keinesfalls, und das kommt glasklar zum Ausdruck, dürfen die Medien isoliert von den Machtverhältnissen betrachtet werden. Seite 152: Man dürfe die Rolle der Medien nicht auf Fragen spezifischer Missstände, nicht „isoliert von Fragen gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsbeziehungen“ behandeln. Die Schlacht um die Köpfe ist kein ausgesuchtes Spielfeld für Langweiler oder Profitmachern alleine. Sie, die Elite, die Kapitaleigentümer, die Politik – ihnen sitzt der Druck im Nacken, das vom Einsturz bedrohte Kapitalgebäude zu stützen, die Zuschauer und Leser zur Anpassung, ja, zur Bejahung von Kriegseinsätzen unter der Fahne der größeren Verantwortung Deutschlands in der Welt zu verführen.

Die Ideologie ist durchschaubar: Auf Seite 88 heißt es, den Antikommunismus verpacke man nicht mehr „pro deutsch“, sondern „prowestlich“. Es sei die Funktion der Medien, die Leute von Wichtigem abzuhalten. In den USA befänden sich an der Spitze der Machtstruktur der Privatwirtschaft die profitablen Unternehmen wie New York Times und CBS, „einer extrem tyrannischen Struktur“. Seite 137: Medien dienen vorrangig dazu, „den gesellschaftlichen und ökonomischen Status derer zu stabilisieren, in deren Besitz sie sind oder von denen sie ökonomisch abhängig sind“. Es gehe insbesondere darum, die politische Weltsicht der Eliten zu vermitteln. Das bestimme die Auswahl und Interpretation von Fakten. Marktkräfte könne man nicht abwählen, man könne sich „ihnen nur anpassen und unterwerfen“. Auf die Frage nach der politischen Ökonomie, der gewichtigsten Ursache, wird geantwortet: Die journalistische Repräsentation des Weltgeschehens sei nicht auf eine einzelne Ursache zurückzuführen. Eher sei es ein „Ursachengeflecht“ von kulturellen Fragen über Geschlechterdispositionen bis zu Bildungslücken. Auf Seite 329 wird gezeigt, wie Kritiker als Verschwörungstheoretiker angefeindet werden.

„Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein“, schrieb Karl Marx 1842 in der Rheinischen Zeitung. „Doch die Freiheit des Gewerbes hat gesiegt, Medien unterliegen der totalen Kommerzialisierung. (…) Verflachung durch Quote überwiegt.“ Er hat die Grundsätze dieser Misere bereits vor langer Zeit einmal trefflich zusammengefasst, als er formulierte: Die der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken...“ Und weiter auf Seite 334: „Im Kern geht es um das Verfügungsrecht über privates Eigentum im Medienkomplex: Der Eigentümer des Mediums hat die uneingeschränkte „Deutungshoheit“ über das, was er für Wahrheit hält. Seite 335: Es gehe um eine marktradikale und regierungsfreundliche Gesamtideologie. Ein Denken in Alternativen, ein Aufgreifen abweichender Meinungen – das sei zumeist eine Fehlanzeige.

Krieg auf leisen Sohlen
Natürlich wird sich die Elite hüten, die Verdummungspraktiken offen darzulegen. Umso eindringlicher weisen die Autoren in diesem Buch nach: Die planmäßige Zerstörung des Sozialstaates „wäre ohne eine planmäßige Vergiftung der Sprache und des Denkens nicht möglich“. Seite 233: „Tatsächliche Verantwortungsübernahme würde ja bedeuten, Ausbeutung und Ausraubung rückgängig zu machen...“ Seite 34: Nicht immer werde bewusst manipuliert, dafür aber verschwiegen oder neutralisiert, (siehe Klimagerechtigkeitsbewegung). Das Resultat sei dennoch „ein Zerrbild der realen Welt, das sich an die Interessen und Bedürfnisse der Mächtigen (…) anschmiegt. Auf den Seite 41/42 heißt es, es seien die äußeren Faktoren, die die „institutionelle Schlagseite der Massenmedien verstärken“, Pressekonferenzen, Pressemitteilungen, PR-Arbeit, Hintergrundgespräche, Statements von Top-Entscheidern, Studien, Statistiken und Zahlen, Expertenanalysen, Talkshows. Verwiesen wird auf „diverse Disziplinierungsinstrumente“ wie u.a. positive Sanktionen, gezielte Leaks, Enthüllungen, Auszeichnung durch Exklusivinterviews, lukrative Vortragsangebote, Schaltung von Werbung. Wer aber unangenehm auffalle und rote Linien überschreite, der wird ermahnt, gezügelt, bedroht oder entsolidarisiert. Alle Redaktionen bedienen sich des gleichgeschalteten Einheitsbreis, geliefert von dpa, AP, AFP und Reuter, und schrieben sodann voneinander ab, so lesen wir auf Seite 60. Gewarnt wird auf Seite 58 vor der weitgehenden Gleichschaltung als einen „ersten Schritt in Richtung faschistische Gesellschaft“. Im Klartext: Der „Westen“ versammelt das Gute um sich, Russen und Chinesen sind die Bösen. Und die dritte Welt sei scheißegal, es sei denn sie besitzt Rohstoffe oder bietet Schauplatz für einen kleinen Völkermord.

Die Manipulation hat zum Ziel, eine Vielzahl geeigneter Strategien der sozialen Befriedigung zu entwickeln, „damit also das System nicht an seinen eigenen Widersprüchen zerbricht“. Klassengegensätze sollen verschleiert und eine stillschweigende Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung zu einer Politik erreicht werden, „durch die Gemeinvermögen in großem Umfang einer kleinen Schicht ökonomischer Eliten zugeschanzt wird“. Im Neoliberalismus solle „eine radikal entpolitisierte und sozial atomisierte Gesellschaft“ erzeugt werden. Seite 148: Keinesfalls dürfe ein kollektives Bündnis von „Veränderungsbedürfnissen“ entstehen. Man habe sich lediglich den Marktbedürfnissen anzupassen. Mit schlimmen Folgen: Das wirke, so auf Seite 149, entsolidarisierend und entwurzelnd, Hilflosigkeit und Resignation erzeugend. Eben dazu bedarf es der Medien. Seite 144: Politische Lethargie erhöhe den Status der herrschenden Eliten. Seite 113: Die Masse der Bevölkerung bestehe aus ahnungslosen und lästigen Außenseitern. Sie sollen sich aus der Politik heraushalten, sie sollen zu Hause lieber Fußball gucken. Der Pöbel dürfe nicht auf falsche Gedanken kommen, so steht es auf Seite 117.

Zuviel Scheiße im Kopp?
Um es gleich zu sagen, offen und unverblümt: Bei den miserablen und oft genug substanzlosen Angeboten der „viel gerühmten“ Medien dieses Systems werfe niemand den einzelnen Journalisten den Fehdehandschuh vor die Füße. Sie sind Mitschuldige, aber keineswegs Hauptschuldige. Sie können einfach nichts dafür. Dieses Fazit muss der Rezensent aus dem viel beachteten Buch „Lügen die Medien?“ ziehen. Warum? Weil schlicht und einfach der Medienbereich Teil des kapitalistischen Systems ist. Sie befinden sich – wie wir alle – im gut gesicherten Finanzhof wie hinter einem Burgfried. Sie gehorchen ökonomisch und politisch den Herrschern dieser Festung des Imperiums Kapital. Und wer dennoch ausschert fliegt.

So lesen wir auf Seite 126: Die Journalisten leiden unter Aktualitätsdruck, sie folgen den Vorgaben der Politikelite, sie können und dürfen keine Alternativen, und wenn, dann nur taktische Details der Öffentlichkeit verkaufen. An Ausreden mangelt es nicht. Beispielsweise heißt es auf S. 40: „Wenn Qualität und Vielfalt verschwinden, liege das nicht am Anbieter, sondern am Kauf- und Lesevotum der Bürgerinnen und Bürger, dem das Angebot folgen müsse.“ Man könne aber nur das wählen, was angeboten wird. Eberhard Esche, einst Schauspieler am Deutschen Theater, spitzte manches Phlegma der Zuschauer im Parkett in seinem Buch „Der Hase im Rausch“ auf Seite 263 ziemlich sarkastisch so zu: „Wie oft bin ich aus schlechten Inszenierungen, von oben hinlänglich erwähnten Regisseuren in Szene gesetzt, aus dem Theater gelaufen, die Leute blieben sitzen. Manchmal frage ich mich, was mehr zu bewundern ist, ihr Kopf, der so viel Scheiße aushält, oder ihr Arsch, der so viel Scheiße aussitzt.“

Wichtig ist es, so die Autoren, die Schuld an der Misere nicht allein bei den Journalisten zu suchen, die im Grunde genommen Lohnarbeiter sind, allerdings nicht ohne Mitverantwortung. Erst Recht tragen die Nutzer der Medien ob ihres mehr oder weniger aufnahmebereiten Verarbeitens von Informationen keinerlei Schuld am Blühen der Falschmeldungen vor allem in der Außen- oder Kriegspolitik.

Illusionen & kraftvolle Auswege
Auf dem Gebiet von Lösungsvorschlägen gibt es in dieser so inhaltsreichen Argumentationskette – kann auch nicht anders sein - sowohl zurückhaltende illusionistisch eingefärbte Meinungen als auch „revolutionierende“ Ansätze zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Da ist die Rede von Foren, auf denen man sich austauschen könne, von radikalen Reformen, vom Aufwachen auf Seiten der Bürger, man solle breit lesen und sich informieren, man soll sich in Kritik üben und den Widerspruch organisieren. Seite 314: Man müsse die Massenmedien Entprivatisieren. Über Genossenschaften, Stiftungen und öffentliche Trägerschaften mit gesicherter innerer demokratischer Struktur müssten sie zu „Bürgermedien“ gemacht werden. Von alternativen Medien ist auf Seite 331 die Rede.

Für Lernfähige
Lügen die Medien nun oder nicht? Auf Seite 339 findet sich folgende Antwort: Es seien klare Lügen, „denn sie sind – besonders in diesen Zeiten – ein unmittelbarer Angriff auf unser aller Lebenschancen und -qualität, die Umwelt sowie unsere Fähigkeit zu Solidarität. (…) Sie sind Unmenschlichkeit, die sich – um wirklich kritische Fragen unmöglich zu machen – als Weisheit letzter Schluss gebärdet, als einzig denkbare Gesellschaftsordnung und Welt.“ Da haben wir es: Die Züchtung von politischen Unschärfen, von wem dies ausgeht und wer darunter zu leiden hat.

Das politisch schwergewichtige das Buch „Lügen die Medien...“ zur Erhellung des Bewusstseins sowohl der angepassten als auch der kritischen Leserschaft wird vor allem jene erreichen müssen, die nicht gewillt sind, die Macht den wenigen ein Prozent der Finanzelite über das Denken und Fühlen der Masse der Bevölkerung zu überlassen. Auch diese Lektüre schlägt – wie andere Bücher zuvor – Gassen in Mauern des zunehmenden politischen Stumpfsinns. Es bietet durch die Vielfalt der An- und Aussichten ein breites Feld von Überdenkenswertem. Es hält dazu an, sich selbst in diesem System der systemerhaltenden „Schmuddelware“ von „Hohlheiten“ und Lügen die Messlatte an das eigene Denken und Tun zu legen. Es möge die satte Genügsamkeit, die Lethargie und die dumpfe Selbstzufriedenheit ins eigene Licht der Selbsterkenntnis zerren. Sicher ist dies: Es bedarf – vor allem nach der Bundestagswahl 2017 – einer neuen Gegenwehr gegen den geistigen Krieg um die Köpfe. Es geht um Klarsicht und Scharfsichtigkeit, gegen den Plunder der oberflächlichen Geschwätzigkeit und verdummenden politischen Rhetorik, es geht ums Ganze. Wie treffsicher – ich komme auf ihn zurück - der Schauspieler Eberhard Esche in seinem Buch „Der Hase im Rausch“ auf Seite 332 sagte: „Wem die Lernfähigkeit abhandenkommt, dem bleibt die Zunft verschlossen.“

Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung
Herausgegeben von Jens Wernicke

Mit Beiträgen von Walter van Rossum, David Goeßmann, Ulrich Teusch, Volker Bräutigam, Ulrich Tilgner, Stephan Hebel, Werner Rügemer, Eckard Spoo, Noam Chomsky, Uwe Krüger, Rainer Mausfeld, Jörg Becker, Michael Walter, Erich Schmidt-Eenboom, Klaus-Jürgen Bruder, Kurt Gritsch, Daniele Ganser, Maren Müller, Hektor Haarkötter, Sabine Schiffer, Gert Hautsch, Rainer Butenschön, Markus Fiedler, Daniela Dahn (überwiegend von Jens Wernicke geführte Interviews)
Westendverlag Frankfurt 2017
368 Seiten.


Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen. Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung.


Abbildungsnachweis:
Header: Jens Wernicke. © Westend Verlag
Buchumschlag

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