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Vielversprechendes Debüt von Simon Strauß: Sieben Nächte – eine literarische Reifeprüfung

Dieses Buch hat nicht auf alles eine richtige Antwort, aber es stellt die richtigen Fragen. Ein solches Fazit lässt sich durchaus an den Anfang stellen. Denn schließlich geht es schon zu Beginn des Debütromans „Sieben Nächte“ von Simon Strauß um alles und nichts.
Dementsprechend heißt das erste Kapitel „Vor dem Anfang“. „Was mir wirklich etwas bedeutet, woran ich glaube, kann ich nicht sagen… Für Widerworte sei später immer noch Zeit, habe er sich eingeredet“, heißt es wenig später, also immer noch am Anfang des Buches, das vom Autor im Gewölbekeller des Buddenbrookhauses in Lübeck vorgestellt wurde.

Unser Held, der keiner ist, ist „ein Sympathiesüchtiger. Einer, der sich leichtfertig zu vielem bekennt, von dem er eigentlich zu wenig weiß. Der von Gegnerschaft träumt, und im entscheidenden Moment doch lieber nichts sagt oder nur lustlos vermittelt.“ Eine traurige Gestalt, ein junger Mann voll Sehnsucht nach wirklichem Leben und schon gesättigt vom nichtgelebten.

Rasant erzählt, manchmal auch mit Pathos. Doch das schadet dem Ganzen nicht. „Pathos ist der impulsive Moment, das ist das, was wir ein wenig verlernt haben“, erklärte Simon Strauß seinem Publikum. Assoziativ stürzt sich der Autor in seinen Erzählstrom, mutig, aber durchaus nicht kopflos. Mich erinnert der Erzählstil an „Das Particular“ von Botho Strauß aus dem Jahr 2000. Kein Zufall, denn Botho Strauß ist der Vater von Simon Strauß. Ich erinnere mich noch gut an diese Geschichten über die Liebe, in die ich mich als Leser nur allzu gern hineinfallen ließ. Jene Geschichten, die von Hingabe und Gewalt erzählen, von Anziehung und tödlichem Hass. Die von Menschen handeln, die zu viel umsonst gelächelt haben, und solchen, denen die Worte ausgegangen sind. Dieses rauschhafte Erzählen, dieser Sog, der von diesen Geschichten ausgeht – da scheint es der Sohn mit dem Vater aufnehmen zu wollen. Die Chancen stehen gut. Sehr gut sogar. Zweifellos ist „Sieben Nächte“ ein vielversprechendes Debüt.

Worum geht es? Es ist Nacht, ein junger Mann sitzt am Tisch und schreibt. Er hat Angst, sich entscheiden zu müssen. Für eine Frau, einen Freundeskreis, einen Urlaubsort im Jahr. Er hat Angst, dass ihm das Gefühl abhandenkommt. Dass er erwachsen wird. Wie dem entrinnen? Ein Bekannter hat ihm ein Angebot gemacht: Sieben Mal soll er einer der sieben Todsünden begegnen. Als erstes stürzt sich unser Held von einem Hochhaus – allerdings am sicheren Seil, das auf und ab wippt und ihn in Sicherheit wiegt. „Sieben Nächte“ ist ein Streifzug durch die Stadt, eine Reifeprüfung, die vor zu viel Reife schützen soll, ein letztes Aufbäumen im Windschatten der Jugend. „…bald, sehr bald, werde ich mich festlegen müssen“.

Simon Strauß erzählt von einem jungen Mann an der Schwelle zum endgültigen Erwachsensein. Ein junger Mann, der alles aufbringt, um sich Gewohnheit und Tristesse zu verwehren. „Nie geschrien zu haben, immer nur kleinlaut geblieben zu sein, davor fürchte ich mich.“ Wirkliches Hemmnis sei die Angst vor dem Kompromiss. Bald werde er nur noch Gespräche führen, die mit »Stress« beginnen und mit »viel zu tun« enden, befürchtet er. „In Mittagspausen sitzen, in denen von Auszeit und Aufstieg geträumt wird. Vor dem Einschlafen an Gehaltserhöhungen denken und mich fragen, ob noch genug Baby-Brei im Kühlschrank steht. Die Wolken werden über mich hinwegziehen, ohne dass ich den Blick auf sie richte, die Sterne fallen und ich werde zu müde sein für einen Wunsch.“

Nicht mehr zu wollen, als man hat, davor fürchtet er sich. Auch davor, dass Zynismus überhandnimmt und alles andere übertönt. Dass die leisen Töne der Zartbesaiteten überhört werden vor lauter Lärm und Getöse der Hartgesottenen. Deshalb diese Nacht. Deshalb dieses Schreiben. Dieser junge Mann um die dreißig ist – und das gilt möglicherweise auch für viele andere seiner Generation - gefangen in „einer Blase aus Glück“. Diesem Unglück im Glück will er entfliehen. Dabei soll ihm das unmoralische Angebot jenes flüchtigen Bekannten helfen. Unser Held soll nun gierig, hochmütig und faul sein, soll neiden und wüten, Völlerei und Wollust treiben. Er will und soll sich sieben Nächte lang dem Leben preisgeben, um das Empfinden zu erhalten.

Sieben Nächte, sieben Seiten für jede dieser Nächte, für jede der sieben Todsünden. „Der Schreiber bei Nacht ist eine Kippfigur. Auf einer Schulter sitzt die Angst zu versagen, auf der anderen der Mut, es mit allen aufnehmen zu können.“ „Angst kann auch eine produktive Kraft sein“, so der Autor. Jedes der sieben Kapitel hat Simon Strauß in einer Nacht geschrieben. Ausgangspunkt für dieses handlich kleine und leichte, aber inhaltsschwere Buch „Sieben Nächte“ war ein vor zwei Jahren im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichter Text. Entstanden ist der damalige Kurztext als Gegenpol zur Arbeit an der Dissertation. „Das freie Schreiben war ein hervorragender Ausgleich.“ In dem Text begab sich Simon Strauß, der heute Theaterredakteur der FAZ ist, auf die Suche nach Identität – nach der eigenen und der seiner Generationsgenossen. Und siehe da: die bislang verhüllte Identität einer vermeintlich identitätslosen Generation lüftete ihren Schleier.
Worte, Sätze seien etwas sehr Subtiles, äußerte der Autor bei der Lesung in Lübeck. Es sei aber naiv zu glauben, Worte und Sätze seien eins zu eins in die Wirklichkeit zu übertragen, umzusetzen, antworte er auf die Publikumsfrage, was Literatur schaffen, bewirken könne: „Literatur kann freie Räume schaffen“. Simon Strauß sprach sich gegen Ironie bis hin zum Zynismus als Mittel der (übertriebenen) Abgrenzung aus und warb dafür, wieder mehr Wahrheit, Klugheit, Gefühle zu zeigen. Mit Blick aufs heutige Theater befand er, hier könne Anteilnahme zu einem neuen, fantastischen Reichtum führen. „Die Chancen sind da. Die Menschen meiner Generation haben so viele Möglichkeiten.“

„Im Schutze der Nacht entwickelt er aus der Erfahrung der sieben Todsünden die Konturen einer besseren Welt, eines intensiveren Lebens“, heißt es in der Inhaltsangabe des Aufbau Verlags. Ob das gelingt, ist wissens- und lesenswert: Hier ist ein junges Schreibgenie unterwegs, dem diese Gabe vielleicht schon in die Wiege gelegt wurde. Schließlich ist Simon der Sohn von Botho Strauß. Das verspricht viel Gutes. Denn auch der Schriftsteller Botho Strauß hat uns immer noch viel zu sagen. Das könnte dem Sohn auch gelingen in einer Zukunft, die hoffentlich seinen Ansprüchen und denen seiner Generation genügt.

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Simon Strauß: Sieben Nächte

Aufbau Verlag / Blumenbar, Berlin 2017
ISBN 978-3-351-05041-2
Gebunden, 144 Seiten | Digital

Leseprobe


Hinweis: Die Inhalte der Kolumne geben die Meinung der jeweiligen Autoren wieder. Diese muss nicht im Einklang mit der Meinung der Redaktion stehen.


Abbildungsnachweis:
Header: Buchumschlag (links), Simon Strauß. Foto: © Martin Walz/Aufbau Verlag (rechts)

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