Terézia Mora: „Nicht sterben“ – Lesenswerte Vorlesungen
- Geschrieben von Fee Isabelle Lingnau -
„Nicht sterben“ – das ist der Titel der Frankfurter Poetik-Vorlesungen von Terézia Mora. „Aus der Höhle kommen und überleben, nicht irgendwie, sondern in einer neuen Qualität“, das ist für Mora eine Analogie dazu, wie man zum ersten Buch kommt.
Es ist eine Analogie dazu, wie man schreiben kann. Was sie damit meint, beschreibt sie direkt auf den ersten Seiten der Publikation dieser Vorlesungen: Sie bezieht sich auf den Film Croods, in dem eine Gruppe Höhlenmenschen aus Angst vor dem Tod ihre Höhle nur in den äußersten Notfällen verlassen. In Geschichten manifestieren sie ihre Angst. Doch eine Notwendigkeit treibt sie alle raus aus der Höhle. Sie begegnen einem Menschen, der ihnen vom Umherziehen als Möglichkeit von Leben und Nicht-Sterben erzählt. Das Leben der Höhlenmenschen verändert sich.
Zu überleben und in neuer Qualität weiterleben. Das fasst wesentliche Aspekte ihres Schreibprozesses: Das genaue Beschauen, das stete Befragen der Handlung, der Sprache und von sich selbst. Die langen und genauen Recherchen. Die Angst und den Schmerz. Scheitern. Und irgendwann dann doch ein Buch.
Es ist ein langer, ein harter Erkenntnisprozess, den Mora durchläuft, indem sie immer wieder kritisch ihren Text und ihr Tun betrachtet, immer mit der Möglichkeit, zu scheitern und von vorn anzufangen. „In der verworfenen Fassung war im Grunde alles und jeder diffus, auch das war so unglaublich frustrierend: dass ich mich mit der ursprünglich gewählten Erzählweise selbst den Oberflächen nur leidlich annähern konnte, geschweige denn, dass ich in den Kern der Dinge vorgestoßen wäre. Wenn du dem Kern der Geschichte nicht nahekommen kannst, dann stimmt etwas mit der Erzählweise nicht.“
In den Frankfurter Poetik-Vorlesungen verhandelt jedes Jahr ein Autor Aspekte von poetischem Schreiben und seinen Bedingungen. Im Wintersemester 1959/ 60 hielt Ingeborg Bachmann die erste Poetik-Vorlesung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Diese Vorlesungen gehören zur gestifteten Gastdozentur Poetik, die der S.Fischer Verlag initiiert und gestiftet hat. 1979 übernahm der Suhrkamp Verlag die Finanzierung, seit vier Jahren zusammen mit dem S. Fischer Verlag und Schöffling & Co.
2013/14 hielt Terézia Mora ihre fünf Poetik-Vorlesungen. Sie lesen sich flüssig, denn sie sind wunderbar leicht geschrieben. Sie lesen sich wahnsinnig spannend, denn sie sind tief geschrieben und verhandeln über die Technik des Schreibens auch die Themen, die Mora in ihren Erzählungen und Romanen bewegt. Immer wieder redet Mora nicht nur über ihre Techniken, sondern sie zeigt sie auch. So zum Beispiel ihre Methode des Sich-Selbst-Befragens:
„Worum geht es?
Um Abel Nema.
Wer ist Abel Nema?
Ein Lehrer. Ein verschwiegener Typ. Ein Ausländer.
Was heißt das: Ausländer?
Einer, der nicht dort lebt, wo er geboren worden ist.
Warum lebt er nicht dort, wo er geboren worden ist?
Er ist fort.
Warum ist er fort?
Er wollte weder in die serbische noch in die kroatische Armee eingezogen werden.
Das ist verständlich. Und weiter?
Weiter weiß ich eben nicht. Jetzt ist er eben hier.“
Terézia Mora ist 1990 aus Ungarn zum Studium nach Berlin gezogen – und geblieben. Sie schreibt in Deutsch. Dass diese Sprache ihr eine Heimat ist – sie ist zweisprachig aufgewachsen – merkt man ihren Texten an. Und man merkt auch, dass da eine sprachliche Tiefe ist, die bei ihr vielleicht aus der Mehrsprachigkeit erwachsen ist. Jedenfalls zeigt sie in Nicht sterben, wie genau sie sich mit der Sprache ihrer Romane, mit dem Sprechen ihrer Figuren auseinander setzt. Und wie sie „vom privaten Sprechen ins poetische“ kommt.
Doch nicht nur aus ihren Sprachen generiert sie das Erzählen, sondern auch aus ihrem Leben und Personen, denen sie begegnet ist. Das können Verwandte sein und Freunde oder die Menschen der Umgebung, die sie ganz genau beobachtet. Das können aber auch unsichtbare Personen sein, die sie umgeben, mit denen sie sich auseinandersetzt und spricht und sie studiert – etwa so, wie Kinder bisweilen ihre unsichtbaren Freunde.
Diese Personen kopiert sie nicht einfach, die verleiht Charakteren ihre Züge, erhält an ihnen die Konsistenz ihrer Darstellung. Dazu verfolgt sie – bisweilen recht ungewöhnliche – Wege der Recherche, die sie manchmal Anekdotenhaft einstreut. Wie zum Beispiel für eine Figur ihres aktuellen Projekts, der Trilogie um den IT-Spezialisten Darius Kopp: für Flora. Dafür hat sie sich mit 10 Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern unterhalten. „Mit zwei von ihnen bin ich befreundet, mit 2 weiteren bekannt, mit ihnen habe ich offen über das Projekt und die Figur Flora geredet. Bei den anderen 6 habe ich mich als angebliche Patientin für ein Erstgespräch angemeldet.“
Nicht sterben ist eine Lust für jeden, der gern liest. Es ermöglicht durch die Perspektive des Schreibens, durch die genaue Beschreibung und Reflexion einer Art von Schreibprozess einen neuen Blick auf Literatur. Die Arbeit dahinter, das Ringen mit Figuren und Konstellationen gerät in die Wahrnehmung des Lesers. Fragen und Entwicklungen, das Suchen nach Aussagen während des Schreibens scheinen durch geschriebene Werke hindurch. Man lernt, was für harte Arbeit das Schreiben ist.
Und es ist eine Bereicherung für jemanden, der jedwede Art von Texten schreibt: Dadurch, dass Terézia Mora so anschaulich und detailreich ihr Arbeiten an ihren Texten beschreibt, dadurch, dass sie gnadenlos in die Tiefen des Prozesses geht, an das Scheitern, an das Ringen. Und an das Gelingen. „Vertraue deiner Methode, aber verliebe dich nicht in sie.“
Terézia Mora: Nicht sterben
Luchterhand Literaturverlag
Gebunden: 160 Seiten
ISBN: 978-3-630-87451-7 | E-Book ISBN: 978-3-641-14998-7
Homepage von Terézia Mora
DW-Interview mit Buchpreisträgerin Terézia Mora (12.10.2013, 4:10 Min.)
Abbildungsnachweis:
Header: Terézia Mora. Foto: © Peter von Felbert
Buchumschlag
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