Egbert Scheunemann: „Trilogie des Scheiterns. Drei Erzählungen, Kurzgeschichten, was auch immer“
- Geschrieben von Harry Popow -
Nein, das glaube ich jetzt nicht. Da wähne ich mich plötzlich im Portugiesen, einem Restaurant, in das ich öfter einkehre. Wegen des guten Geschmacks, essensmäßig, getränkemäßig und auch sonst. An meinem Tisch zwei unbekannte Herren. Vor Hunger kriege ich die Augen nicht so recht auf und glaube in meiner träumerischen Art, Tucholsky und Kästner vor mir zu sehen. Wie denn das? Waren das nicht...? Ja, natürlich, jene, die vor Krieg gewarnt hatten. In ihrer spöttischen Art. Geliebt und verehrt von hauptsächlich Intellektuellen. Aber was haben deren Wortmahnungen gebracht? Gescheitert waren sie, zerbrochen an mancher Dummheit, keiner wollte glauben, wovor sie warnten. Ich schüttele den Kopf. „Gescheitert“, flüstere ich vor mich hin.
Ja, ja, das stimme schon, meint einer, der sich plötzlich aus dem Nebel meiner Wahnvorstellung gelöst hat und mir seinen Namen zuruft: Egbert Scheunemann. Was? Wer? Nie gehört. Unverblümt und nahezu marktschreierisch ergänzt er, er habe das Buch „Trilogie des Scheiterns“ geschrieben. Nicht ohne dabei an große Vorbilder wie eben – welch ein Zufall – an Tucholsky und Kästner gedacht und sie bewundert zu haben.
Mein Gegenüber schnippst mit dem Finger, der Kellner schnellt heran, und gibt – offenbar eine Delikatesse – die Bestellung auf. Jeder bezahle für sich, so sei es doch recht, fragt er mich. Ich nicke, ohne zu wissen, was da auf mich zukommen sollte. Ich befühle meine Gesäßtasche, aber die ist wie gewohnt sehr dünn anzufassen. Ich kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen, da stellt der Kellner mit aller Behutsamkeit einen überdimensionalen Teller vor mich hin, darauf nichts weiter liegt als ein dünnes Bändchen mit dem zuvor von meinem Gegenüber angekündigten Titel. Auf dem Klappentext lese ich flüchtig folgende Zeilen: „Die Protagonisten der drei in diesem Band zusammengefassten Erzählungen beherrschen die Kunst des Scheiterns in ganz exaltierter Weise. Leiden Sie mit! Lachen Sie mit...“
Erstaunt und fragend schaue ich den Herrn Egbert an. Ich habe Hunger, schreie ich ihm wortlos entgegen. Er muss es an meinem dummen Gesichtsausdruck gemerkt haben. Ich verstehe, sagt er, aber das hier stillt einen anderen Hunger, wenn sie wissen, was ich meine. Unglaublich, ich bin entrüstet. Sollte ich tatsächlich Appetit auf geistige Kost haben, wo ich doch – genauso wie sicherlich Tausende andere Bundesbürger – dem nahezu entwöhnt bin? (Ich spreche nicht von gesellschaftskritischen Werken, die gekonnt Kritik dort ansetzen, wo nichts mehr zu retten ist, an angeblich unverrückbaren Zuständen!)
Und nun werde ich unhöflich und frage meinen Tischgegenüber nach seinem Tun und Lassen, worauf er sechs Bücher anführt, die er bereits veröffentlicht habe. Oh, denke ich, ein Autor? Ergänzend meint dieser, es seien kritische Bücher, die ihm sozusagen aus den Händen gerissen werden. Ein Titel frisst sich in mein Hirn: „Chronik des (nicht nur) neoliberalen Irrsinns“. Ich horche auf. Das ist nach meinem Geschmack. Also klemme ich mich an das vor mir liegende Heftchen und vergesse Hunger, Kneipe und Tischnachbarn.
Wenn auch das Scheitern, das Versagen, das Pleitemachen, das Abbrechen, eines Studiums z. B., keine großen Besonderheiten in der heutigen marktwirtschaftlich geprägten Szene darstellen, dachte ich, so ist es doch interessant, wie es anderen ergeht, wie sie sich durchschlagen, mit mehr oder weniger Erfolg im Ellenbogenkampf. Und lachen will ich auch. Also lese ich auf den 104 Seiten von drei Leuten, die sich mit Ach und Krach durch den Alltag schlängeln. Sie nennt der Autor David, Aaron und Edgar.
Nun, die ersten beiden, so kriege ich schnell mit, haben Angst vor Begegnungen, bei denen sie sich festnageln müssten oder sind zu feige, sich möglicherweise dem anderen Geschlecht zu nähern. Irgendwie kommen sie nicht zum Ziel. Man könnte sie vorschnell als Trottel abtun. Sollen sie doch so lahmarschig weitermachen, sind sie ja selber schuld. Bei Edgar sieht es schon gewaltig anders aus. Er hat eine Geschäftsidee. Muss man ja haben, will man auf sich aufmerksam und womöglich schnell Knete machen. Und sei die Idee noch so verrückt. Gut überlegt, klug und taktisch vorgehend, robbt er sich an vermeintliche und tatsächliche Gönner und Investoren heran.
Wie er dabei vorgeht, raffiniert, mit großem Gehabe und Getue, sich jeglichen marktbedingten Verhaltensweise anpassend, ist nicht nur köstlich zu lesen, es ist amüsant und man kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus. Er veralbert den Marktschwachsinn, den Modekonsumblödsinn, gibt vor einem Manager mit für ihn fremden Wörtern an wie „Sprachstrukturen“ und „Wirklichkeitsstrukturen“, denn, lügt er glatt, er sei als Autor in Sachen Politik, Ökonomie und Philosophie tätig, und nun habe er ein tolle Idee, denn er müsse ja irgendwie zu Geld kommen. Auch ein Sozialtrottel, der er war, habe natürlich seine Geistesblitze.
Kurz: Dieser ulkige und vom Lebenskampf gebeutelte Edgar tut alles, um sich an den Mann, sprich an den Manager und so an das erhoffte Kapital zu bringen. Mit Lügen, mit viel Tamtam und Aufgeschneide. Der Autor Egbert Scheunemann hat ein gutes Händchen für Metaphern, Vergleiche und Wortzusammensetzungen (Katerausschwitzgymnastik, Schädelbekämpfungsprogramm). Sein durchgehend in indirekter Rede gehaltener Text liest sich flüssig, wobei der Leser angehalten ist, die Pointen nahezu in jedem Absatz zu suchen und zu finden.
Atemlos und noch laut lachend lege ich das schwarze spannende kleine Büchlein endlich aus der Hand und wollte mich beim Autor, meinem Gegenüber, herzlich bedanken. Doch der war offensichtlich davongeeilt, sicherlich, um eine neue Episode über einen schwerfälligen Rezensenten, der wohl an seinem Text gescheitert sein dürfte, eine tiefgründig ausgefeilte, sachlich geschriebene Buchbesprechung zu Papier zu bringen – oder besser – in die PC-Tasten zu hauen. Des Autors offerierte Poesie-Satire auf dem großen Werbeteller hat dem Markt gemäß jedoch gut funktioniert. Der geistige Hunger ist geweckt. Bis zum nächsten Mal, Herr Egbert Scheunemann, rufe ich in Gedanken. Oder waren es Kästner und Tucholsky? Hier im Portugiesen natürlich. Herr Kellner, bitte Hefeweizen. Für alle drei...
Egbert Scheunemann: Trilogie des Scheiterns.
Drei Erzählungen, Kurzgeschichten, was auch immer,
Hamburg-Norderstedt 2015,
ISBN 9783734746659,
104 Seiten
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