Sadie Jones: Jahre wie diese
- Geschrieben von Fee Isabelle Lingnau -
Es ist ein Roman wie ein leichter Sommerwein: Man kann sehr angenehm viele Stunden mit ihm verbringen. Er ist leicht und süß und ein wenig würzig.
Sadie Jones hat mit „Jahre wie diese“ ihren vierten Roman vorgelegt – und wird (meist) dafür gefeiert. Es gibt Stimmen, die vergleichen sie sogar mit den großen Britischen Erzählern Julian Barnes und Ian McEwan.
Die Figuren in „Jahre wie diese“ sind interessant und schön. Sie sind jung und agil. Sie haben Leidenschaft und Visionen. Sie brennen für ihren Traum. Der Leser sieht ihnen zu und er versteht gut, was in den Charakteren vorgeht, was sie antreibt und aufwühlt. Allerdings springt ihr Feuer nicht über. Der Leser brennt nicht mit, er wird nicht angetrieben oder aufgewühlt. Das stört nicht, es ist schlicht eine beobachtende Lesehaltung.
So beobachtet man vor allem vier Protagonisten, die sich von Anfang-Zwanzig-Jährigen mit komplizierten, traurigen Kindheits-und Jugendhintergründen entwickeln zu Persönlichkeiten der Theaterwelt. Der Theaterwelt der 70er-Jahre in London. Diese Theaterszene war geprägt von einer neuen Offenheit in der Kunst, von großer Lust, etwas Auszudrücken, von fallenden moralischen Schranken. Die Menschen strömten in die Theater – ob als Zuschauer oder als Publikum. Theater war bisweilen sehr gesellschaftskritisch, sehr politisch. Zugleich nutzten viele Revuen die neue Freiheit, vor allem die sexuelle – und zogen damit Massen an. Wobei sie oft sehr sexistisch waren. Zusätzlich zu den großen Häusern gründeten sich etliche kleine Gruppen und Spielstätten. Und eine solche Gruppe gründen auch Luke, Paul und Leigh in Sadie Jones Roman. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen und teilen vor allem eines: Die Liebe zum Theater.
Lukasz – später Luke – lebt in einer Kleinstadt und ahnt, dass er sie verlassen muss – oder in ihr versauern wird. Er ist eingeklemmt zwischen seiner Mutter, die schon seit Jahren in einer Psychiatrie lebt, und seinem Vater, einem depressiven Alkoholiker. „Aber er konnte nicht über die Gegenwart hinausblicken. Seine kranken Eltern, das winzige Haus, das Labyrinth der Anstalt; aus diesen Bestandteilen war er zusammengesetzt. Da Tomazsz seine Frau nie besuchte, hatte sie niemanden außer Luke.“ Da begegnet er eines späten Abends im April 1968 Paul und Leigh, die ein schicksalhafter Wink zusammen in Leighs Auto und in die verschlafene Kleinstadt gebracht hat. Sie verbringen Stunden miteinander im angeregten Austausch über Theaterideale. Danach gehen sie jeder ihrer Wege.
Kurze Zeit später verlässt Luke seine Kleinstadt und flieht nach London, steht bei Paul vor der Tür, zieht schließlich bei ihm ein. Sie gründen zusammen das radikale Kneipentheater Graft. Und wieder einmal greift der Zufall ein und bringt Leigh in die Gruppe und bald auch in die Wohngemeinschaft.
Zudem gibt es da Nina, von klein auf von ihrer Mutter zur Schauspielerin getrimmt und ansonsten vernachlässigt. Bei ihrem ersten Auftreten im Roman sagt ihr ihre Mutter das, was ihre gesamte Figur charakterisiert: „Nur Männer können Frauen malen. […] Nur Männer sind wirklich gute Coiffeure, und nur Männer können Kleider zuschneiden. […] Weil Männer Frauen begehren und sie erschaffen können – und das gilt selbst dann, wenn sie homosexuell sind. Frauen haben nicht die leiseste Ahnung. Außerdem sind sie oft einfach neidisch und wollen, dass man gewöhnlich aussieht.“
Luke verfällt ihr. Sie liebt ihn, ist aber inzwischen mit einem berühmten, sadistischen, schwulen Produzenten verheiratet. Und merkt in einem Spiel aus Unterwerfung und Macht schließlich, was sie braucht.
Die Geschichte dieser vier Personen erzählt Sadie Jones mit einer beeindruckenden Sprache, die alle Bilder deutlich macht und doch nie Schwere vermittelt. Sie zieht einen durch die Seiten, zeigt auch grausames mit Leichtigkeit und bedrückt einen nie. Zugleich erzählt sie so klar, dass Gefühle, Gerüche, Licht dem Leser bekannt werden. Dennoch bleibt der Leser außen, ist stets Beobachter der Szenerie. Ergriffen oder mitgerissen wird er eigentlich nicht.
In einem Portrait der Sunday Times vom 20.4.14 erfährt man ein wenig über Sadie Jones Schreiben: Über ihrem Schreibtisch hängen noch die Notizen zu den Charakteren, Zeitstahle und Venn-Diagramme, die die Schnittmengen der Protagonisten verdeutlichen. Sie erzählt, dass sie nichts aus ihrer Biografie oder aus ihrem Umfeld benutze für ihr Schreiben. So habe sie nie ihre Eltern nach etwas gefragt – und das wäre naheliegend bei Jahre wie diese, denn ihr Vater ist u.a. Drehbuchautor und ihre Mutter Schauspielerin. Vielmehr habe sie alles in Büchern erforscht.
Die Geschichte des Romans und seine Leidenschaften entstammen einem sehr romantischen Bild von Welt. Erzählt ist er glasklar, mit einem überraschenden Realitätssinn. Ideale, Suche nach Selbstverwirklichung, vergebene Kämpfe um Freundschaft und um Liebe, und den Mut, dies zu erkennen und konsequent zu sein – das gibt Sadie Jones ihren Figuren und ihren Lesern mit. Das macht den Roman lesenswert. Vielleicht aber sollte man sich das vorhersehbare, versöhnliche Ende schenken, denn da fällt der Roman aus seiner Rolle und gerät kitschig.
Doch Sadie Jones macht Hoffnung, dass sie ihren Leser nicht so stehen lässt: „I feel their story is only half told – (Ich fühle, dass ihre Geschichte unvollständig erzählt ist)“, sagte sie der Sunday Times. Vielleicht schreibt sie die Geschichte ja noch weiter und hebt ihr Ende auf.
Sadie Jones, 1967 in London geboren, arbeitete als Drehbuchautorin, unter anderem für die BBC. 2005 verfilmte John Irvin ihr Drehbuch „The Fine Art of Love“ mit Jacqueline Bisset in der Hauptrolle. Ihr preisgekröntes Romandebüt „Der Außenseiter“ (2008) wurde in Großbritannien auf Anhieb ein Nr.-1-Bestseller und war auch in Deutschland ein großer Presse- und Publikumserfolg. „Der ungeladene Gast“ ist ihr dritter Roman.
Sadie Jones: Jahre wie diese
DVA (randomhouse.de)
Gebundene Ausgabe: 416 Seiten
ISBN: 978-3-421-04629-1 | E-Book ISBN: 978-3-641-12434-2
Abbildungsnachweis:
Sadie Jones. Foto: © Charlie Hopkinson
Buchumschlag
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