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Gino Leineweber

Es ist Juni 2006. Ein sonniger Tag. Ich sitze im Flugzeug und unter mir schiebt sich ein Land ins blaue Wasser der Adria und eine Stadt.
Kroatien und Dubrovnik. In Deutschland, von wo ich komme, wird in wenigen Tagen eine Fußballweltmeisterschaft stattfinden, die ob der begeisternden Fröhlichkeit der Besucher als Sommermärchen in die Geschichte eingehen wird.
Auf dem Weg vom Flughafen zur Halbinsel Pelješac, meinem Ziel wird angehalten, und ich kann von einer Anhöhe aus, einen ausgiebigen Blick auf Dubrovnik und einige vorgelagerte Inseln im Mittelmeer werfen. Bereits vom Flugzeug aus ist das ein herrlicher Anblick. Jetzt, hier auf der Anhöhe, fühle ich mich von der Schönheit mystisch berührt und empfinde wieder, in der Mitte der Welt zu sein.

Im Jahre 1463, auf einer anderen Anhöhe, spricht einiges dafür, dass Sultan Mehmed II, als er sein Pferd zügelt und über das vor ihm liegende Tal blickt, ebenfalls mystisch berührt ist. Unter ihm quillt, rauschend und kalt der Buna Fluss aus dem Fels, zieht westwärts und vermischt sich bald mit den Wassern der Neretva. Hier an der Vrelo Bune (Buna-Quelle) wird später ein Kloster errichtet.

Als Sultan Mehmed die Vrelo Bune erreicht, hat er Bosnien für das Ottomanische Reich erobert. Es ist nicht die erste Eroberung, die Bosnien erlebt, und es wird nicht die letzte sein. In dem Roman des bosnischen Nobelpreisträgers Ivo Andrić „Die Brücke über die Drina“ wird der Wechsel der fremden Einflüsse auf Bosnien-Herzegowina über vier Jahrhunderte hinweg literarisch beschrieben.

Als ich in jenen Junitagen erstmals Bosnien besuche, ist es mir geläufig als ein Land, das einen langen Bürgerkrieg durchlitten hatte, ein Land, in dem grausame Massaker an der Zivilbevölkerung begangen wurden und ein Land, dessen Hauptstadt, Sarajevo, die längste Belagerung ertragen musste, die in der Weltgeschichte jemals dokumentiert wurde. Die Spuren des Krieges sind noch überall zu sehen, obwohl mir meine Schriftstellerkollegen und andere Künstler, die bereits vor Jahren hier waren, und in deren Begleitung ich mich befinde, erzählen, das sei vorher noch schlimmer gewesen, was ich unbesehen glaube.

Vier Jahre später, bei unserem zweiten Besuch haben wir in Städten und Dörfern an Gebäuden und Bauwerken kaum noch Narben des Krieges zu sehen bekommen. Wir, das sind Künstler des Pinsels und Stifts, Maler und Schriftsteller, die sich erneut zu einem Workshop auf der Halbinsel Pelješac zusammenfinden. Aus den Workshops sind jeweils Bücher entstanden, die sich mit einem bestimmten Thema beschäftigen, die sich eng anlehnen, an die Historie und Bewohner Bosniens. Sie bieten uns Material im Überfluss, und unsere Geschichten und Bilder sind auch eine Hommage und ein Dank an die vielen Eindrücke und Begegnungen. Weder das Schicksal des Landes, noch seine Schönheit oder die herzliche Gastfreundschaft seiner Bewohner, lässt uns unberührt.

Brücke der HoffnungHeute, nachdem ich inzwischen viele Male Bosnien besucht habe, fühle ich mich durchaus heimisch. Die Halbinsel Pelješac, wo wir während der Workshops wohnen, liegt in Kroatien, und uns bleiben selbstverständlich die Schönheiten auch dieses Landes nicht verborgen. Doch mehr Material für unsere Arbeit finden wir im bunteren Bosnien-Herzegowina.

Wir machen Ausflüge in die Städte und Gegenden, die mir früher unbekannt waren, deren Namen aber inzwischen für mich einen besonderen Zauber entfalten. Wie beispielsweise die Vrelo Bune, und wer wäre nicht verzaubert von einer Szenerie, in der das Quellwasser in breitem schnellen Rauschen aus einer steil aufragenden Felswand heraustritt, die belebt wird von unzähligen Vögeln, die in ihr nisten und halsbrecherische Flugschauen bieten, aber auch von Ziegen, die hoch oben im Berg balancieren.

Die Quelle des kleinen bosnischen Flusses, genauer gesagt, das, was nach der Eroberung Bosniens von ihr ausgeht, ändert nicht nur das Schicksal Bosniens, sondern auch meinen Blick auf den Islam.
Das ist, auch ohne meine Eindrücke von Vrelo Bune, in Bosnien-Herzegowina, inmitten des Balkans gelegen, nichts Besonderes. Das Besondere besteht in dem Land selbst. Als die Osmanen, die seit dem 15. und 16. Jahrhundert den östlichen Teil Europas weitgehend beherrschen, sich wieder langsam zurückziehen müssen, im 19. Jahrhundert auch aus Bosnien-Herzegowina, trocknen auch die Quellen des Islam, die das beherrschte Gebiet überflutet hatten, langsam aus. Das Besondere an Bosnien ist, dass in ihm der Islam wie ein kleiner Teich nach einer großen Flut zurückbleibt.

Die an der Quelle befindlichen Gebäude und Anlagen sind seit meinem ersten Besuch erheblich ausgebaut und modernisiert worden. Das Gebäude ist im 16. Jahrhundert als Kloster errichtet worden. Wenn auch im Eingangsbereich dem Tourismus für mein Empfinden, nach dem Ausbau, mit den Shops, etwas zu viel Raum zugewiesen ist, sind im Innern des alten Klosters, in seinen niedrigen Räumen und den engen Treppen, immer noch die Schwingungen der alten spirituellen Sehnsucht zu spüren. Außen am Gebäude befinden sich einige Tafeln, die auf die Geschichte des Klosters und die Eroberung Bosniens durch Sultan Mehmed II. hinweisen. Auf einer befindet sich, in englischer, bosnischer und türkischer Sprache, der Text einer Ahdnama des Sultans, die er kurz nach der Eroberung erlassen hatte. Die Ahdnama ist ein verbindlicher Rechtserlass aus den Zeiten des Osmanischen Reichs. Der Text beeindruckt mich tief, denn er lässt Kultur und Politik einer islamischen Gesellschaft in einem völlig anderen Licht erscheinen, das ich vorher nicht damit verbunden habe. Wie viele im Westen weiß ich bis dahin vom Islam nicht viel mehr, als was ich aus den Medien erfahre, auch wenn ich mich durchaus mit dem Leben des Propheten Mohamed beschäftigt hatte.

Nach 2006, dem Jahr, als ich die Ahdnama entdecke, werde ich jedoch – ohne für mich genau erkennbare Ursache – in verschiedene Länder eingeladen, deren Einwohner mehrheitlich Muslime sind oder gar islamisch geprägte Verfassungen besitzen. Inzwischen sind meine Wahrnehmungen über den Islam mehr von eigener Anschauung, vielen Kontakten die ich inzwischen habe, besonders zu Schriftstellerkollegen, und meinen weiterführenden Studien geprägt, die ich nicht nur aus Interesse betreibe, sondern auch weil sie für meine öffentlichen Auftritte in diesen Ländern notwendig sind.

Im Jahre 2006 jedoch ist Bosnien-Herzegowina erst das zweite Land, mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, das ich besuche. Das erste ist Ägypten. Einmal, vor längerer Zeit, als Tourist, um mir die altertümlichen Sehenswürdigkeiten anzuschauen, und ein weiteres Mal im Jahre 2001, um einen Freund zu besuchen, der in Ägypten, genauer gesagt, auf dem Sinai, ein Hotel betreibt.

Bis zum Zeitpunkt meiner Kenntnisse des historischen Ereignisses an der Buna-Quelle, ist meine Wahrnehmung der Religion des Islam von den Ereignissen des Tags meiner Ankunft auf dem Sinai geprägt. Ich treffe früh am Vormittag ein, bringe meinen Koffer aufs Zimmer und schalte den Fernseher ein, um zu sehen, welche Uhrzeit hier vor Ort ist. Ich wähle den Sender CNN, denn da wird die Zeit immer eingeblendet. Auf dem Bildschirm erscheint ein Wolkenkratzer, aus dessen oberen Stockwerken Flammen schlagen. Ich frage mich, wie die das wohl löschen wollen und wo das ist? Dann kommen zwei Polizeifahrzeuge ins Bild: NYPD. Aha, New York. Danach schwenkt die Kamera wieder auf das brennende Hochhaus, dieses Mal aus einer anderen Perspektive, und ich erkenne, es ist einer der Twin Towers von New York, der in Flammen steht. Ich habe, kurz nachdem das erste Flugzeug am 9. September 2001 in den ersten Turm des World Trade Centers gestürzt ist, den Fernseher eingeschaltet und bleibe danach Stunden davor sitzen, bis irgendwann abends mein Freund kommt, und meint, wir müssten etwas essen.

An dem Tag erfahre ich das erste Mal in meinem Leben, dass es vorkommt, etwas zu sehen, was den Verstand nicht erreicht. Als der erste Turm zusammenfällt (der zweite ist inzwischen, vor meinen Augen, auch attackiert worden), sehe ich das life im Fernsehen. Wo er gestanden hatte, erhebt sich jetzt eine gewaltige Staubwolke. Auf der umlaufenden Schrift am unteren Bildschirmrand wird das Geschehen kommentiert: „The first tower has collapsed“. Ich denke, und zwar nicht nur kurz, sondern immer wieder, wenn mein Blick auf die Schrift fällt, wieso schreiben die „collapsed“ (eingestürzt). Wieso eingestürzt? Was ich gesehen hatte, erreicht mich nicht. Nur langsam dringt das ganze Ausmaß der Ereignisse in mein Bewusstsein, und ich nehme an, dass es nicht nur mir so gegangen ist.

Trotzdem wird sofort über Reaktionen gesprochen, öffentlich und privat. Das liegt in der Natur der Sache und der Menschen. Auch ich machte da keine Ausnahme, inmitten des Sinai, im Norden des Golfs von Akaba, in Sichtweite von Israel, das weiter nördlich liegt, und Jordanien, auf der anderen Seite des Golfs. Der Sinai ist eine wüstenhafte, schroffe Halbinsel, die von kahlen Bergen und Felsen durchzogen wird. Ich empfinde die Landschaft als unangenehm, wahrscheinlich, weil sie das unbedingte Gefühl vermittelt, jedes Leben bitter, wenn nicht gar unmöglich werden zu lassen. Die schwer zu ertragende Hitze verstärkt diesen Eindruck. Ich fühle mich gefangen. Würde man alle Flughäfen schließen? Und wenn ja, für wie lange? Wie würden die Muslime um mich herum reagieren?, denn es werden von Anfang an Islamisten verdächtigt. Ich schaue mir die wenigen Einheimischen die ich treffe an, kann aber nichts feststellen. Sie sind höflich und verurteilen im Gespräch die Anschläge. Wir Freunde sitzen zusammen und diskutieren, und ich erinnere mich heute noch, dass ich immer wieder argumentiere: „Druck erzeugt nur Gegendruck, Gewalt zieht immer Gewalt nach sich“. Gemeinplätze zwar, aber deshalb nicht weniger richtig. Man möge die Täter verfolgen, vor Gericht stellen und sie angemessen bestrafen, plädiere ich, aber man solle nicht mit Gewalt gegen wen auch immer zurückschlagen. Ich bin relativ allein mit meiner Meinung, und wie man an den nachfolgenden Reaktionen sehen kann, nicht nur im Kreise meiner Freunde.

Der damalige amerikanische Präsident, Georg W. Bush, entscheidet sich für Druck und Gewalt, beginnt mehrere Kriege, wovon der „Gegen den Terrorismus“ der erste ist, und verstößt mit seiner Politik mehrfach gegen die Menschenrechte, die zu verteidigen er vorgibt. Jedes Leben, das diese Auseinandersetzungen auf allen Seiten immer noch kostet, ist und wird umsonst geopfert. Die Welt hat sich damit in einer tiefen Schlucht der Schuldzuweisungen verfangen, in der vor lauter Lärm von rechts und links keiner die Rufe der Verständigen hört.

Für mich ist es eine Frage des Respekts, sich mit der Kultur eines fremden Landes, das ich besuche, zu beschäftigen, auch und besonders wenn sie islamisch geprägt ist. Meine Kontakte zu Muslimen in deren Heimatländern geben mir Einblicke in ihre Gesellschaft, die weit über das hinausgehen, was ich aus den Medien erfahren kann. Die Kenntnis über den Islam in unseren Breiten ist tief geprägt durch Konflikte und Terroranschläge, durch Fragen der Integration von Immigranten und misslungenen Beispielen dafür. Hilfreich wäre es, zumindest in den letzteren Fällen, man konzentrierte sich auf die Menschen. Probleme der Integration in eine andere Gesellschaft oder deren Misslingen, betreffen Männer, Frauen oder Kinder, die als Immigranten kommen. Die Probleme sind nicht beschränkt auf Muslime. Welchen Glaubens auch immer, Immigranten bringen sowohl Wünsche als auch Abneigungen mit, und ihnen stehen häufig entgegengesetzte Wünsche und Abneigungen der einheimischen Bevölkerung gegenüber.

Anders ist es in den Fällen von gewalttätigen Konflikten und Terroranschlägen. Die Religion wird von den Verursachern der Gewalt selbst ins Spiel gebracht. Die hilflosen Toleranzbemühungen westlicher Politiker, wenn sie nach Anschlägen von Islamisten erklären, das habe mit dem Islam nichts zu tun, sind gedankenlos daher gesagt und verstärken nur die Unsicherheit bei denen, die nicht dieser Religion angehören. Es wäre Sache des Islam und seiner Vertreter, uns Erklärungen zu geben, damit wir anderen es aus berufenem Munde hören. Aber das hören wir leider nicht.

Der Islam als Religion ist etwas anderes als die Religion jedes einzelnen Muslims oder jeder einzelnen Muslima. Eine Religionsgemeinschaft vertritt Werte, die für die Gläubigen gelten sollen. Für die Menschen jedoch ist Religion etwas, das jeder mit sich selbst auszumachen hat. Sie ist erlebnishafte Begegnung mit dem Heiligen.

Es muss unwichtig sein, welcher Religion jemand angehört, wenn es um gesellschaftliche und kulturelle Fragen geht. Ob ein Mensch beispielsweise der Religion des Islam angehört, ist seine Sache. Jeder soll glauben, an was er will. Ich habe Freunde in Deutschland, von denen ich nicht sicher weiß, welcher Religion sie angehören. Es spielt keine Rolle. Diese Einstellung zum Mitmenschen entspricht der, die ich gegenüber Freunden aus Jugoslawen erlebt habe. Vor dem Auseinanderfallen Jugoslawiens habe ich nicht gewusst, ob sie beispielsweise Serben, Kroaten oder Bosniaken sind. Es ist mir egal gewesen. Nur ihnen dann plötzlich nicht mehr. Nachdem Tito gestorben war, und es alles drunter und drüber geht, in seinem Jugoslawien, bis zum Krieg, ist es den Mitgliedern der einzelnen Gruppen, auch in Deutschland, nicht mehr egal, und die Ablehnung des jeweils Anderen ist auch nach Deutschland getragen worden.

Bei meinem ersten Besuch Bosniens bin ich mir sehr bewusst, in ein Land zu kommen, das schwer traumatisiert ist. Dagegen wird in Deutschland, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, die heimatliche schwarz-rot-goldene Fahne im Freudentaumel einer harmlosen Sportveranstaltung geschwungen. Ich habe zuerst ein wenig mit dieser nationalen Begeisterung gefremdelt, als ich davon in Bosnien höre. Aber als ich zurück in Deutschland bin, werde ich von der Feierlaune mitgetragen, die auch nicht abebbt, als die deutsche Mannschaft aus dem Wettbewerb ausscheidet: Von da an werden eben die anderen bejubelt, und es macht keinen Unterschied ob die fahnenschwingenden, schwarz-rot-gold bemalten Männer und Frauen einen Migrationshintergrund haben. Wie schön, denke ich, in einem Land leben zu dürfen, wo sich die Menschen nicht mit Ablehnung begegnen.

Das ist beispielsweise in Bosnien-Herzegowina im Jahre 2006 noch ganz anders, und besonders deutlich in Mostar zu beobachten. Die weltberühmte Brücke über die Neretva, die am 9. November 1993 zerstört wird, nur weil sie als Symbol der Begegnung zwischen den Völkern steht, ist inzwischen wieder aufgebaut worden. Ein Meisterwerk türkischer Baukunst, auch der Wiederaufbau. Selbstverständlich überquert man sie, wenn man in Mostar ist. Ich tue es und viele andere. Aber nicht alle. Die Kroaten von der einen Seite der Stadt benutzen sie nicht, weil sie nicht in den muslimischen Teil gehen, in den der Bosniaken, und diese wiederum nicht in den der Kroaten.

Dabei ist Stari Most, die Alte Brücke, nicht nur ein städtebauliches Juwel. Jeder, der sie überquert, und von der Brüstung in die grünen Wasser der Neretva schaut und dem Fluss mit seinem Augen folgt, wie er sich eng durch Stein und Landschaft schlängelt, ist fasziniert von dem was sich den Blicken darbietet. Aber nicht nur vom grandiosen Panorama. Im Darübergehen fühlt man das Versprechen der Verbindung zwischen den Kulturen. Auf den glänzenden Kopfsteinen, findet der Fuß nie den gewohnten Halt und man spürt das Gehen erneut wie einstmals als Kind, als man barfuß zu laufen gewohnt ist, und die Füße alles Ebene und Unebene erfühlen und einen Grundton erzeugen, aus dem sich die Bewegung in reine Freude verwandelt.

Aber nicht nur Stari Most zu überqueren, erfüllt das Herz, sondern auch ihr Anblick von einem der vielen Stellen von unterhalb. Dem Schriftsteller, der sich dem Zauber dieses einmalig türkisfarbenen Flusses hingibt, über den sich jener Brückenbogen filigran erhebt, obwohl er aus tausenden schwerer Steinen gefertigt ist, mag es geschehen, dass ein Engel sich zu ihm setzt und ihm eine Geschichte ins Ohr flüstert, die dann nur noch niedergeschrieben zu werden braucht.

Solche geistigen Eindrücke sind es, die mit Symbolen verbunden sind, mit der Energie um sie herum, einer geschichtlichen und kulturellen Aura, die sich den Menschen öffnet. Wenn man sie zerstört, wie Stari Most, verliert man nicht nur eine Brücke oder ein Symbol, sondern auch die Geschichten der einzelnen Menschen, die sich in der Wirkung des Symbols zu dessen eigener Geschichte verbinden. Da sich die Geschichte in Mostar nicht von der von Vrelo Bune trennen lässt, ist mit der Zerstörung auch der Geist des mittelalterlichen Ahdnama betroffen.

Das hat der kroatische General, der sich später nicht entblödete, sich öffentlich mit der Zerstörung der Brücke von Mostar zu brüsten, wahrscheinlich nicht begriffen. Er mag nur eine dumpfe Vorstellung davon gehabt zu haben, was dieses Symbol der Begegnung der Kulturen im Tiefsten bedeutet, und es ist leider seine Ignoranz damals, im November 1989, die über die Ahnung von jener Bedeutung triumphiert. Hoch oben, von einem der Berge, die das Tal der Neretva umgeben, schießen er und seine Soldaten sich auf die Brücke ein. Mutwillig zur Zerstörung, ohne strategische Notwendigkeit.

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