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Beate Grimsrud

Psychosen: schmerzvoll – und unterhaltsam.
Der Roman ist nicht schön. Er ist unbequem. Er stößt bisweilen ab. Er tut manchmal weh. Und er ist recht unterhaltsam.


Beate Grimsruds autobiografischer Roman „Verrückt“ und frei erzählt den Lebensweg der Schriftstellerin Eli und all ihrer psychotischen Persönlichkeiten durch Kindheit, Karrieren, Psychatrien und Therapien. Mit fünf Jahren taucht die erste Jungenstimme in ihr auf: Espen. Bald folgen Emil und Erik. Diese drei bestimmen ihr Denken und Handeln. Erik lässt sie randalieren, sich verletzen, andere angreifen. Espen weint für sie. Sie alle reden auf sie ein und Eli kann kaum mehr tun als „Ja, ja, ja!" zu antworten und zu folgen.

altEli säuft. Eli nimmt Drogen. Eli schreibt, schickt ihre Geschichten bei Sendern ein und hat sofort Erfolg. Sie bricht aus und zusammen. Die Mutter duldet keine Trauer, keinen Schmerz. Der Vater ist neurotisch. Die geliebte Schwester verlässt erst die Heimat, dann stirbt sie. Eli taumelt weiter durch Drogen, Erfolg, Sport und Psychose. Sie verlässt Norwegen für Schweden, schreibt fortan in Norwegisch. Weitere Stimmen kommen hinzu: Ein Prinz noch im Kopf, eine Frau und zwei Männer im Ohr. Freunde retten sie immer wieder, begleiten sie in den Therapien. Liebe inspiriert sie, befreit sie. Und zerstört sie. Baut sie wieder auf.

Wieder und wieder wird sie fixiert. Wieder und wieder schreibt sie und wird gefeiert. Das alles ist manchmal kaum auszuhalten. Grimsrud erzählt distanzlos in stets kleinen Sequenzen. Sehr selten gibt es mal eine Außenperspektive durch einen Auszug aus einer Patientenakte.

All diese Sequenzen sind wie wohldosierte Schmerzen. Zugleich sind sie kurze Einblicke in extremes Leben und Erleben. Grimsrud wird gefeiert dafür: Für „Verrückt“ und frei erhielt sie den Norwegischen Kritikerpreis und war von schwedischer und norwegischer Seite für den Nordischen Literaturpreis nominiert.

Psychosen sind faszinierend. Und offenbar unterhaltsam – selbst für Psychater und Neurologen: Oliver Sacks hat mit seinen Anekdoten neurologischer Phänomene aus der Praxis wie Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte eine große Leserschaft. Filme wie Birdman, Memento, Fight Club und A Beautiful Mind lassen ihre Zuschauer schauernd fragen nach Realität und der Gewissheit ihrer Wahrnehmungen.

Doch die Frage ist – sollte sein – was wird erzählt anhand dieser Krankheit? Welchen Zweck hat die Krankheit in der Erzählung? Denkbar sind da viele. Zumindest könnte das Phänomen Psychose auch Nichtbetroffenen vermittelt werden – denn schnell kann man ja zum Betroffenen werden. Bewusst sollte dabei aber auch sein, dass vielen Formen psychotischer Krisen, ihr Auftreten und ihre Manifestation, auch prägbar sind. Unser Bild von Psychosen bestimmen also auch Psychosen mit.

Beate Grimsrut erzählt von einer Person mit vielfältigen psychotischen Krisen. Sie erzählt faszinierend, inspiriert von ihrem eigenen Schicksal. Und das ist es, was sie erzählt. Ihr Erleben. Ihre Wahrnehmung. Und der Leser liest zu. Nicht weniger. Nicht mehr.

Beate Grimsrud: Verrückt und frei
btb
Gebundene Ausgabe: 480 Seiten
ISBN: 978-3-442-75336-9 | E-Book ISBN:978-3-641-12162-4


Leseprobe


Abbildungsnachweis:
Header: Beate Grimsrud. Foto: © Cato Lein/Verlagsgruppe Random House
Buchumschlag

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